Brigitte Heittzl
DER RUINEN- UND
ROLLWERKSTIL IN
OBERÖSTERREICH ENDE
DES 16. JAHRHUNDERTS
Die hohe Wertsihätzung, die man im ausgehenden
16. [ahrhundert den Werken der süddeutschen In-
tarsisten, zumal der in Schwaben und in Tirol täti-
gen Meister, entgegenbraohte, hat sich überall dort,
wo solche eingelegte Arbeiten verwahrt werden, als
Vermächtnis über die Generationen bis zu uns her-
auf erhalten. Diese Kabinettschränke und Schreib-
tisclze durften zu ihrer Entstehungszeit in kaum einer
der damals eben aufkommenden Kunstsammlungen
als Behälter kleiner Kostbarkeiten fehlen, und jeder,
der etwas auf sich hielt, war darum bemüht, eines
der kunstobllen kleinen Möbel zu besitzen; daher
wurden sie auch als Geschenke bevorzugt. So kam
es, daß eine erstaunlich große Zahl die jahrhunderte
überdauert hat.
Beide Umstände, ihre Menge und das mit ihnen
verbundene Renommee, Meisterleistungen der Tisch-
lerleunst zu sein, gaben den Anstoß dazu, daß Liese-
lotte Müller mit ihrem 1956 erschienenen Standard-
werle erstmals den Versuch unternahm, diesen gro-
ßen Bestand nach Meistern und lokalen Werkstätten
zu ordnen. Damit war das wissensehaftlide Gespriidr
über dieses Thema in Gang gebracht und fordert
seither zur Bekanntgabe weiterer Exemplare auf,
die L. Müllers Ergebnisse ergänzen und präzisieren
können. Ein Beispiel wie der Kabinettsdtrank in
Krernsmünster, der datiert ist und von dem der
Name des Meisters feststeht, ist in hervorragendem
Maße dazu geeignet, neue Erkenntnisse zu vermit-
teln und weitere Zuordnungen zu ermöglichten. W.-G.
Die vor einigen Jahren in den Besitz des OU.
Landesmuseums in Linz gekommenen Türen
aus fürstlich starhembergischem Besitz veran-
lassen, die Auswirkung des süddeutsch-tiroli-
sd1en Ruinen- und Rollwerkstils der 2. Hälfte
des 16. Jahrhunderts in Oberösterreidr zu be-
trachten. Die außergewöhnliche Qualität dieser
drei Türen ließ zuerst an eine künstlerische Her-
kunft aus Süddeutschland denken. Ein im Stift
Kremsmünster befindlicher Kabinettschrank
von 1591 jedoch, der eindeutig als in Linz ent-
standen in den Kammereirechnungen belegt ist,
läßt diese Annahme nicht mehr eindeutig zul.
Er entspridit den von Möller als tirolisch be-
zeichneten Kabinettsduränken des späten 16.
jahrhundertsg. Weitgehend übereinstimmende
Kabinette befinden sich in Stodrholm 3. Für
diese nimmt Möller eine gemeinsame Werk-
stätte an, der audi das Kremsmünsterer Kabi-
nett anzusd1ließen wäre. Der Schöpfer des Ka-
binetts war der damalige Stiftstisdiler und
Hausmeister des Kremsmünsterer Hofes in Linz
Kaspar Krapf 4. Der Name Krapf, der in Tirol
gebräudilidi ist, läßt es durchaus zu, anzuneh-
men, daß der Mann von Tirol zugezogen ist.
Kremsmünster war ja ein altes Kunstzentrum.
Die Beschäftigung eines so bedeutenden Künst-
lers in der untergeordneten Position eines Haus-
meisters muß man aus der damaligen soziologi-
schen Situation verstehen. Der Hausmeister
des Kremsmünsterer Hofes hatte in Linz eine
durchaus eigenständige Position, vergleichbar
der eines Verwalters, wie aus den Quellen her-
vorgeht }. Krapf war auch als Kurator bei Kauf-
verträgen tätig, und knapp vor seinem Tode
(1600) beauftragte ihn Kaiser Rudolf II. mit
verschiedenen Agenden, darunter mit nichts Ge-
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ringerem als dem Entwurf eines Planes für das
neuzuerbauende Linzer Schloßß. Es ersdieint
zwar befremdend, daß ein Kunsttischler Bau-
pläne entwirft, da jedod-i kein anderer Kaspar
Krapf in Linz faßbar ist, der noch in Frage
käme, nimmt die Forschung eine Identität
der beiden an '. Das Kremsmünsterer Kabinett,
das einzige faßbare Werk des Künstlers - von
dem Prälatenstuhl der Stiftskirche hat sich
nichts erhalten -, zeigt eine den Stockholmer
Kabinetten ähnlidie, reiche Intarsierung mit
verschiedenen Tierdarstellungens. Die Außen-
seite des Kabinettschranks ist nur mit geometri-
schen und Rankenornamenten sowie einfachen
figuralen Darstellungen verziert. In den recht-
eckigen Feldern der Türen sind die Darstellun-
gen weiblicher Genien, auf einem Sodtel ste-
hend, eingelegt. Die Linke spielt Laute, die
Rechte hält ein Budi mit dem Abc und dem
Datum 1591 sowie einen Schlüssel. Bei geöff-
neten Türen bietet sich die ganze Pracht der
Einlegearbeiten dar. Die Innenseiten der Türen,
die vielen Laden und die Innentüren sind reich
intarsiert. Diese reiche additive Gestaltung ent-
spricht ganz dem manieristisdien Prinzip der
Übersteigerung der Ausdrudtsformen. Die In-
nenseiten der Außentüren zeigen zwei Musi-
kanten, einen Flötenspieler und einen Tromm-
ler in einer reichen Ruinenarchitektur, die auf
einer Wiese steht, die mit Rollwerk bedeckt ist.
Die siebzehn Laden des Kabinetts sind mit Tier-
darstellungen in Ruinenlandstthaft mit Roll-
werk verziert. Die Tiere liegen und stehen auf
einer stilisierten Wiese. Die beiden kleinen In-
nentüren zeigen einen springenden Rappen und
einen Schimmel vor reicher Ruinenlandsduaft. Bei
den Tierszenen handelt es sich um je zwei iden-
tische I-Iirsdv, Affen- und Bärendarstellungen
sowie je drei identische Bären- und Einhorn-
darstellungen. Elefant, Raubkatze und Kuh
finden sich in Einzeldarstellungen. Sämtliche
Details der Intarsien des Kremsmünsterer Ka-
binetts lassen sid1 aus dem Kreis der Ruinen-
und Rollwerkmöbel ableiten: Die genienhaften
Frauengestalten finden sich im Tiroler Kunst-
kreis, am I-Ialbscrhrank von Schloß Friedberg,
allerdings in volkstümliduer Form". Die Rui-
nenarchitektur der Türen kommt am Schreib-
kabinett in Stockholmer Privatbesitz vor 1".
Im Stift St. Florian, in der Nähe von Krems-
münster, befindet sich ebenfalls ein Kabinett
des Ruinen- und Rollwerkstils, welches ganz
ähnliche Kompositionen an den Innenseiten der
Türen aufweist. Die Laden sind mit Jagdszenen
verziert, die Außenseiten jedoch im Gegensatz
zu dem Kremsmünsterer Kabinett auf das reich-
ste intarsiert. Es handelt sich hier um ein aus-
gesprochenes Prunkkabinett, zweifelsohne eben-
falls tirolisd-ier Kunstprovenienz. Das Stück ist
ardiivalisdi nicht belegt, man weiß daher nicht,
ob es in Kremsmünster bzw. Linz entstanden
ist oder ob es von anderswoher angekauft wurde.
Eine Entstehung durch den Kremsmünsterer
Tischler Krapf wäre nicht auszuschließen - vor
allem die Analogie der Türen spricht dafür -,
ist jedodi durdi nichts zu beweisen. Die Krems-
münsterer Tierdarstellungen finden sich an den
Kabinetten im Nordiska Museet und Stockhol-
mer Privatbesitz". Möller nimmt für beide
Kabinette eine Werkstätte an, die sie nach Tirol
lokalisiert. Die Kremsmünsterer Szenen sind
durch Rollwerk sehr bereichert, was mehr dem
I, 2 Kabinertsdirank von Kaspar Krapf, Gesamtansicht und Vor-
derseite, 1591. Stift Kremsmünster
ANMERKUNGEN l-ll
In". Hinweis m den Titan" um," um: sowie auf das
St. Florianer Kabinett verdanke irh Herrn Dr. Franz Win-
disdrgraerz vom Usterreidiisdien Museum für angewandte
Kunst in Wien. - Willibrord Neumiiller, Ardaivalisd-ie Vor-
arbeiten zur Österreichischen Kunstropographie, Wien 1961!
545.
'Lieselorte Möllerf Der Wrangelsdarank und die verwandten
süddeursdu-n lnrarsienmöbel des 16. Jahrhunderts, Berlin 1956.
' Möller Abb. 154,156.
s Vgl. Fußnote L
I Llnztr Regesren, Bind ß v1.
'l.inzer Regcsten, Bind ß l Cll68 - Linzer Regesten, Band
c lll A m09.
l Das Museum im Linzer Sdaloß, Festkatalog, Linz 1963, 5. 47.
s Vgl. Fußnote J - Neumüller 694.
' M"ller Abb. 152.
" Möller Abb. 155.
H Vgl. Fußnote s.