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BYAM SHAW Saß VON P. G. KONODY-
LONDONSP
AN kann wohl begreifen, dass die Leistungen von Byam
Shaw den Feinden der königlichen Kunstakademie
ein Dorn im Auge sind. Wohl mögen die Vertreter
der neuen Richtung viel an seiner Malweise und
an dem Stofiinhalt seiner Werke zu tadeln finden;
nichtsdestoweniger ist er ein glänzender Beweis,
dass die Schule der Royal Academy nicht als
Quantite negligeable zu betrachten ist und noch
manches bedeutende Talent hervorbringt. Damit
soll allerdings nicht gesagt sein, dass Byam Shaw
zu den akademischen Malern zu zählen ist. Nein!
Er ist von ihnen durch einen Golf getrennt, der sich an Weite wohl mit jenem
messen kann, welcher sich zwischen den Impressionisten und den akademi-
schen Malern erstreckt. Denn Byam Shaw, der Verzogene Liebling der Royal
Academy, dem schon in frühesterjugend die schmeichelhafteste Anerkennung
zuteil wurde, ist, mit Ausnahme des greisen Holman I-Iunt, der hervorragendste
lebende Vertreter der präraphaelitischen Richtung, woraus zu ersehen ist,
dass die Schranken der Akademie keineswegs so enge gezogen sind, als dies
von ihren Feinden behauptet wird.
Um sich ein Bild über die genaue Stellung Byam Shaw's unter den
modernen Künstlern Englands zu schaffen, ist es notwendig, mit einigen
Worten die heute so wohlbekannte Geschichte der präraphaelitischen Be-
wegung zu rekapitulieren, umsomehr, als der genaue Sinn der so bezeichneten
Bewegung häufig missverstanden wird. Der poetisch-romantische und religiös
angehauchte Geist, welcher die wichtigsten Mitglieder der Brüderschaft
beseelte, ist oft fälschlicherweise als das I-Iauptkennzeichen der Richtung
angesehen worden. Tatsächlich sind die Prinzipien der Präraphaeliten rein
technischer Natur. Das Streben dieser Malergruppe war, zu treuer Natur-
Wahrheit zurückzukehren, die unwahren Atelierschatten und die übermässige
Anwendung von Asphalt abzuschaffen, Licht und reine Farbe in die Bilder
einzuführen und die Erscheinungswelt genau in freier Natur zu studieren und
wiederzugeben. Diese Grundregeln waren keineswegs neu, als sich Rossetti,
Millais, Holman I-Iunt und die minder bedeutenden Mitglieder des Bundes
zusammenscharten, um ein feindselig gestimmtes Publikum zur Anerkennung
zu zwingen. Ford Madox Brown hatte schon Jahre vorher in demselben Sinne
gearbeitet und den bittern Becher des Hohnes der Unverständigen bis zum
letzten Tropfen geleert. Dass bei ihm der Erfolg ausblieb, ist wohl dem
Umstande zuzuschreiben, dass sein Können stets weit hinter seinem Wollen
zurückblieb. Seine Bilder interessieren heute hauptsächlich dadurch, dass sie
den endlosen Kampf eines über das eigene Können hinausreichenden Genies
ausdrücken.
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