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halrig unser modernes Zeitgeschlecht bewegt hat; vielleicht, ja wahr-
scheinlich eben darum, weil seine Kunstweise noch immer an die Italiener,
die unverbesserlichen Idealisten, erinnert. Die ungetheilte, grenzenloseste
Bewunderung hat dagegen in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren Diego
de Silva Velasquez gefunden. Wäre das Stoffgebiet des Velasquez nicht
ein verhältnissmäßig"beschränktes gewesen, hätte er die Historienmalerei,
auf deren Gebiete er blos die Uebergabe von Breda im Prado-Museum
hinterlassen hat, in umfassenderem Maße gepflegt, er wlirde wahrschein-
lich heute widerspruchslos von allen Nationen, nicht blos von den Spa-
niern, ftir den größten Maler aller Zeiten und Völker angesehen werden.
An künstlerischem Naturalismus, d. h. an Schärfe der Beobachtung der
Naturerscheinungen und an Kraft zur charakteristischen Wiedergabe des
Beobachteten im Bilde, kommt ihm keiner seiner Rivalen gleich. Von
seinen Porträten sagten schon seine spanischen Zeitgenossen, sie ent-
hielten bverdad, no pinturau, Wahrheit und nicht Malerei. Dieses Urtheil
-hat die moderne Forschung, unser moderner Geschmack vollständig rati-
ficirt. Velasquez war dabei nur Spanier und nur Naturalist: er malte
nichts als seine spanische Umgebung; und selbst wo er, wie z. B. während
seiner beiden italienischen Reisen, eine fremde Umgebung darzustellen
hatte, erfüllt er sie mit spanischem Geiste, bleibt er von der Kunstweise
jenes fremden Landes unberührt. In der Kunst des Velasquez Findet sich
also keine wesentlicheBeimischung italienischer idealistischer Kunstelemente.
Es erwächst uns daraus der Wunsch zu erfahren, wie denn diese
spanische Kunst sich im Barockzeitalter zur Decoration gestellt hat. Um
die diesbezüglichen Erwartungen von Vorneherein auf ein bescheideneres
Maß herabzustimmen," mag zuvor noch erwähnt sein, dass gerade in der
spanischen Malerei der Hauptmeister Velasquez eine weit isolirtere Stellung
eingenommen hat als die übrigen Hauptmeister in ihren Ländern. Rubens
beherrscht die ganze flämische Kunst in souveräner Weise; von Rembrandt
gilt dies zwar nicht in vollkommen gleichem Umfange, aber im Allge-
meinen vereinigt auch er in sich alle die höchsten und bedeutsamsten
Züge, die der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts ihren Charakter
geben. Velasquez dagegen tritt schon dadurch in einen Gegensatz zu
der großen Masse der spanischen Maler, dass er so gut als der einzige
Maler rein weltlicher, profaner Stoffe gewesen ist, während alle seine
übrigen Landsleute, ohne irgend eine bemerkenswerthere Ausnahme,
Kirchenmaler gewesen sind. Es wäre daher keineswegs sehr übertrieben,
wenn man behauptete, dass Murillo die nationale spanische Malerei des
17. Jahrhunderts weit zutreffender repräsentirt als Velasquez. Wodurch
unterscheidet sich Murillo von Velasquez? Auch Murillo ist ausgegangen
vom strengen spanischen Naturalismus, aber in seiner reiferen Entwicklung
erinnert er immer mehr an die Italiener. Es regte sich der Romane in
ihm, dem doch die schöne Form als Gefäß einer schönen Seele unent-
behrlich dünkt. Auch Murillo zieht das Göttliche in die rein mensch-