telalterlichen Menschen kommt
nicht von ungefähr, vielmehr wen-
det sich seine ganze Geisteshaltung
einer viel veräußerlichteren, mate-
rielleren Grundtendenz zu. Der S0-
ziologe datiert die Anfänge des Ka-
pitalismus ins 14. und 15. jahrhun-
dert, das Zeitalter neuer Wirt-
schafts- und Produktionsformen.
Die Kunst löst sich vom symboli-
schen Sinn, wird erdbezogencr, wie
auch die bürgerliche Dichtung, in
der sich ein derber, höchst diessei-
tig orientierter Naturalismus breit-
macht. Einzelheiten des Lebens
werden gesehen und gemalt. Schließ-
lich wird es möglich, das Räumliche,
Atmosphärische darzustellen; das
Sittenbild entsteht, wie in den für
die Herzöge von Burgund und den
Herzog von Berry angefertigten
Stundenbüchern, die in gewisser
Hinsicht den Ursprung bürgerlicher
Malerei vom Porträt bis zur Land-
schaft bilden.
Die Bilder werden nun auf einen
Rahmen angewiesen, der den fest
umgrcnzten Ausschnitt einesErden-
teils umfaßt. Das Abbild wird zum
Vorbild, wobei es sich zunächst
noch um naturübergeordnete Kom-
positionen handelt; damit beweist
sich auch, daß der Mensch die Na-
tur zu sehen beginnt, wie sie ihm
der Maler zeigt.
Freilich wurde die Welt der Dinge
und Taten vor der Entdeckung des
irdischen Bereichs nicht einfach
ignoriert, aber sie wird wie durch
ein Fenster gesehen. Nur langsam
hebt sich der Goldgrund, der die re-
ligiösen Darstellungen in eine über-
irdische Sphäre gerückt hat, wird die
Landschaft in das Altar- und An-
dachtsbild hineingenommen, dem
frommen Werk aber stets unterge-
ordnet. Sie ist schmückendes Bei-
werk,und die ausgesprochene Land-
schaft entsteht erst mit dem Her-
vortreten des Mcnschen aus seiner
Anonymität. Die Brüder van Eyek
setzen einen Beginn, indem sie die
gesamte sichtbare Welt in ihre Bil-
der einbeziehen, und um die Mitte
des 15. Jahrhunderts, drei Jahre
nach Jan van Eycks Tod (1441) ent-
steht die erste bestimmbare. vor-
handene Landschaft im „Wunder-
baren Fischzug" des Genfer Altars
von Konrad Witz. Über Pieter Brue-
ghel d.Ä., Rembrandt und Rubens,
gelangt sie zu immer größerer
Breite, wird sie eine der entscheiden-
den Selbstverständlichkeiten abend-
ländischer Malerei; Philipp Otto
Rungc sah 400 Jahre später in
der Landschaft die letzte Möglich-
keit des Europäers.
Noch bildet die Landschaft aber
Staffage, Hintergrund, Beiwerk. Als
erster stieß Albrecht Altdorfer die
letzten frommen Vorwände zurück,
um zum ersten selbständigen Land-
schaftsbild Europas zu gelangen. Bis
4
dahin war das menschliche Ge-
schehen vom Landschnltshintcr-
grund noch völlig getrennt; selbst
Dürer gelang der letzte, entschei-
dende Schritt noch nicht, ihm ver-
danken wir jedoch jene Reihe von
Aquarellen, die von einer vorläufi-
gen Selbständigkeit zur Begleitland-
schalt zurückgeführt wurden, die
spätere Landschaltskunst also in ge-
4 Die Drahtziehmühle. Silberstiltzeich-
nung von Albrecht Dürer um 1517718.
Bayonnc, Musec Bonnat.
5 Ein Landschafzszeichncr am Zimmer-
Iensler. Holzschnitt aus dem Jahr 1531
von Hieronymus Rodler.