Seite 306
Internationale S a m m 1 e r - Z c i t u n g.
Nr. 20
vorwärts schreiten und modernisieren, vermag ich nicht
zu akzeptieren. Für mich unterliegt es keinem Zweifel,
daß wir Ritterrüstungen und die im innigen Zusammen
halte mit ihnen stehenden heraldischen Figuren nur in
dein Stile ihrer Zeit, sei cs: romanisch, gotisch oder
Renaissance, nie aber im modernen Stile darstellen
können. Es ist nicht nur möglich, sondern sogar wahr
scheinlich, daß die Ritterrüstungen, Turniere und die
dazu gehörigen Wappen, würden sie heute noch be
stehen, ebenfalls weiteren Zeit- und Stilumwandlungen
unterworfen wären, sowie es tatsächlich auch damals
der Fall war. Nun hat aber diese Ritterzeit aufgehört und
wir müssen bei der heraldischen Kunst zum mindesten
bis zu dieser Abschlußzeit zurückgehen. Wenn also
heraldischer Schmuck immer seltener wird, und in den
Fällen, wo man ihn anwendet, falsch und häßlich ist, so
kann cs nur als ein bedauerliches Zeichen von Unkennt
nis oder Indolenz gedeutet werden.
In früheren Jahrhunderten haben sich nahezu alle
hervorragenden Zeichner, Maler und Bildhauer mit dem
Wappenwesen befaßt und es mit Verständnis zu einem
hervorragenden Kunstzweige entwickelt. Wer kennt
nicht die herrlichen heraldischen Kupferstiche und Holz
schnitte unseres berühmtesten Meisters auf diesem Ge
biete, Albrecht Dürers? Hans H o 1 b e i n, dessen
weltberühmte Madonna in der Dresdener Bildergalerie
noch immer Tausende von kunstsinnigen Menschen zur
Bewunderung hinreißt, hat cs nicht verschmäht, sich
ebenfalls mit Wappen zu beschäftigen.
Nun und waren etwa Jost Amann, Wendel. Dittcr-
lein, Virgilius. Solis, Lucas Cranach und viele andere
mehr keine Künstler? Alle haben uns unvergleichliche
Werke auch auf dem Gebiete der heraldischen Kunst
hintcrlassen.
Obwohl nun diesem Kunstzweige durch das ein
gangs erwähnte Aufhören der Turniere die praktische
Basis entzogen wurde, lebt er dank diplommäßiger
Wappenverleihungen weiter, und zwar nicht nur in
adeligen, sondern auch in bürgerlichen Kreisen, in
letzteren trotz der im Jahre 1818 erfolgten Sistierung
der Ausgabe von bürgerlichen Wappen, ln der Heraldik
liegt ein ethischer, künstlerischer Zweck, und so wie
einst, hat auch heute noch der adelige sowie der bürger
liche Mann den intensiven Wunsch, sein Heim mit einem
solchen Familienzeichen zu schmücken und es _ mit Stolz
zu führen. Es liegt in diesem Schmuck eine farben
freudige lebendige Zierde. Was wäre in früheren Jahr
hunderten die Kunst der Glasmaler und Graveure ohne
die Wappen gewesen?
Wie kräftig der Sinn für das Wappenwesen weiter
lebt, beweist die Schweiz, wo die heraldische Kunst von
altershcr bis auf den heutigen Tag eine eifrige Pflege
stätte hat und wo sie sich bestens mit der Demokratie
verträgt.
Das gleiche können wir von der freien Stadt Ham
burg sagen, wo jeder notable Bürger sein Wappen führt.
Es ist bekannt, daß in Salzburg und Tirol jeder zweite
Bauer sein Wappen hat. Auch das immer weitere Fort
schreiten der sozialdemokratischen Bewegung kann den
Wunsch, Familienzeichen zu besitzen, nicht eindämmen.
Blicken wir nach Nordamerika, so finden wir, daß in der
City ungezählte Kaufleute ein Wappen haben. Und wie
steht es mit Deutschland? Nahezu die Hälfte der Abge-
ordnetenmandate dieses Reiches befindet sich dort in
den Händen der Sozialdemokratie und ungehindert
schreitet trotzdem das Wappenwesen fort. Es zeigt dies
eben nur, daß der Sozialdemokrat die Führung eines Fa
milienzeichens keineswegs als aristokratisches Vorrecht
ansieht. Es wäre höchstens zu erwägen, ob und wie man
wohl das bürgerliche Wappen von dem adeligen unter
scheiden könnte.
Das ungeachtet aller Bemühungen der berufenen
Behörden immer wieder beobachtete Aufblühen nicht
reeller »Genealogen und Heraldiker«, welche gegen ent
sprechendes Honorar ihren Kunden Familienwappen und
Familienchroniken aufs Geratewohl zusammenstellen,
beweist ebenfalls, daß der Wunsch, ein Familienzeichen
zu besitzen, noch heute ein intensiver ist.
Der Wappenschwindel hätte niemals solche unge
heure Dimensionen annehmen können, wenn nicht vor
fast 100 Jahren die Ausgabe bürgerlicher Wappen sistiert
worden wäre. Die letztere Verfügung ist, nächst der
früher erwähnten Ignoranz maßgebender Kreise, gewiß
mit ein Hemmnis der weiteren Entfaltung der heraldi
schen Kunst.
Welch ungeheuren Aufschwung könnte die Wappen
kunst und das Kunstgewerbe nehmen, wenn der Staat
wiederum die Ausstellung von Wappenbriefen auch an
nichtadelige Personen aufnehmen wollte.
Tausende von wohlhabenden Familien würden ihre
Privathäuser und deren Innenräume, ihre Möbel und
Geräte mit Wappen schmücken und so der Kunst, dem
Kunstgewerbe und (durch die Wappen Verleihungstaxen)
dem Staate bedeutende Summen zufließen lassen.
Der Laie oder der oberflächliche Beobachter mag
der Meinung sein, mit dem Kopieren eines älteren oder
Aufreißen eines neuen Wappens habe die Aufgabe der
praktischen heraldischen Kunst ihre Grenzen gefunden.
Dem ist aber nicht so. Wie unendlich vielseitig läßt sich
wohl seine Kunstfertigkeit verwenden. Betrachten wir
nur die Ahnentafeln und Stammbäume, welche außer
den verschiedenartigsten Wappen oft allegorische Fi
guren, Landschaften, Architektur und Porträts aut-
weisen und dadurch schon bei den Entwürfen eine reiche
künstlerische Phantasie und bei der Durchführung ein
bedeutendes Können sowie eine Vielseitigkeit erfordern,
wie wenig andere Kunstzweige.
Umfangreich ist die Verwendung der Wappen bei
den Entwürfen für Glasmalerei. Plastiken und Ex libris,
besonders die letztere, jetzt wieder in voller Blüte
stehende Kleinkunst führt ihren Ursprung auf die Blüte
zeit der Wappenkunst zurück. Durch Jahrhunderte hin
durch wurden im Exlibris nur Wappen verwendet und
die alljährlichen Publikationen der Exlibris-Gesell
schaften, welche Faksimiledrücke' solcher Blätter
bringen, zeigen uns Reichtum der Phantasie und Kraft
der Zeichnung.
In den kleinen Raum des Wappens eines neu Nobi-
litierten soll oft eine Fülle von Gedanken in entsprechen
der und geschmackvoller Weise vereint werden.
Welch farbenfreudigen Wandschmuck bildet nicht
ein vornehm und stilvoll gehaltenes, mit Figuren und
Ornament versehenes Wappen, und wie vielseitig, oft
geradezu prachtvoll der Wappenschmuck an Gebäuden
zu verwenden ist, zeigen uns die meisten Berliner Staats
gebäude. Sic beweisen allerdings auch, daß man sich
dort höherenorts dafür interessiert und die ausübenden
Organe damit wohl vertraut sind oder sich mit ge
diegenen Heraldikern ins Einvernehmen setzen.
Es wäre also in erster Linie Sache der k. k. Heral
dischen Gesellschaft in Wien, sich nicht nur ganz auf die
wissenschaftliche Heraldik und Genealogie früherer Jahr
hunderte zu werfen, sondern auch der künstlerischen
Ausübung der Heraldik ihre freundliche Aufmerksamkeit
dadurch zu widmen, daß sie durch Vorträge, kleine Aus
stellungen und künstlerische Publikationen diese Sache
kräftigst unterstützt.
Es mögen des weiteren die Gelehrten sowie die bil
denden Künstler versuchen, die Tätigkeit des praktischen