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Roman „Cceur d'amour epris" (cod. 2597)
Martyrium dar, das er „par paraboles" schildern will. Dieses Nachwort
bekräftigt, was er gleich zu Beginn des Gedichtes andeutet und was eine
meisterlich ausgeführte Illustration unserer Handschrift erklärt. Zu dem Bette
des liebeskranken, halb wachenden, halb träumenden Königs tritt nachts
Amour, nimmt ihm Coeur aus der Brust und blickt auf einen ganz in Weiss
gekleideten jungen Mann, Vif Desir, in dessen Haltung sich Überraschung
über den Vorgang ausdrückt. An dieses Bild hat Paul Durrieu wohl zunächst
gedacht, wenn er (Bibl. de l'Ecole des Chartes 1892, S. 142) behauptete, das
Wiener Exemplar sei „execute d'apres l'ordre du roi amateur et enlumine sous
ses yeux et, en tout cas, par son miniaturiste de predilection". Haben wir hier
doch eine Darstellung voll reizendster Intimität vor uns: der Halbschlaf des in
seinem Bette ruhenden Königs ist durch meisterliche Behandlung von Augen
und Mund gekennzeichnet, und der Realismus geht so weit, dass er den un-
bekleidet im Bette ruhenden König noch unrasiert darstellt. Amour trägt die
bekannten Symbole: Flügel, Bogen und Köcher mit Pfeilen; auf Desirs
Rockschössen bemerkt man goldene Flämmchen.
Ganz unvergleichliche Meisterschaft zeigt sich in der Lichtbehandlung.
Die Beleuchtung der Szene geht von dem Winkel rechts aus, das heisst von
dem Nachtlichte, das unter einem kleinen Gestelle verborgen ist; durch
glücklich gewählte Stellung der Personen ist erreicht worden, dass in dem