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die wir uns von solchen Arbeiten zu machen pflegen, nicht stimmt, so muß
ich auch hier, wie schon an anderen Stellen, wieder darauf hinweisen, daß
unsere Vorstellung ostasiatischer Kunst bisher fast ausschließlich Werken
der letzten jahrhunderte entnommen ist und daß wir wirklich altostasiatische
Kunst zumeist gar nicht kennen. Vielleicht liegt sogar ein Hauptwert ähnlicher
Untersuchungen älterer europäischer Bilder gerade darin, daß wir dadurch
unser Bild auch der alten fremden Kunst ergänzen und die Nachrichten und
Forschungen einer fernen Kulturwelt dadurch zu kontrollieren vermögen. Es
wäre dies allein schon ein für uns gewiß sehr erstrebenswertes Ziel; noch
wichtiger scheint mir aber, wenigstens in diesem besonderen Falle, ein anderes
Ergebnis derBetrachtung zu sein. Ich mußte ja bereits an anderem Orte' darauf
verweisen, daß die italienischen Stoffe des späteren Mittelalters oft eine Ost-
asien viel näher stehende Formengebung zeigen als die des zwischenliegen-
den eigentlichen Orientes. Gewiß wird die Hauptursache der freieren Formen-
gebung Italiens darin zu suchen sein, daß sein ganzes Geistesleben allmählich
freier geworden war als das des Sarazenentums. Aber doch wäre die größere
Verwandtschaft der italienischen Stoffe mit denen Ostasiens immer noch
schwer zu erklären, wenn die Verbindung Italiens mit Ostasien, wie gemeinhin
angenommen wurde, ausschließlich oder fast ausschließlich durch Vermittlung
der von Ostasien beeinflußten sarazenischen Kunsterzeugnisse hergestellt
worden wäre und nicht durch ostasiatische Arbeiten selbst.
Nun, in unserem Bilde haben wir wohl den klaren Beweis, daß solche
originalchinesischen Stoffe tatsächlich schon in verhältnismäßig früher Zeit
der italienischen Weberei als Muster vorgelegen und sie, wenn Italien für
solche Reize eben empfänglich war, beeinfiußt haben konnten. Wir dürfen
vielleicht aber auch bei ausgeführten älteren Stoffen, die an Ostasiatisches
gemahnen, ohne wirklich ostasiatisch zu sein, nun nicht nur italienische Her-
kunft, sondern auch unmittelbare Beeinflussung durch Ostasien annehmen;"""
denn es liegt gar kein Grund vor, in dem einstweilen vereinzelten Belege
gerade eines der ältesten Beispiele vorauszusetzen. Es erschien nur nötig,
einmal den Beginn damit zu machen, daß auf derartige Belege überhaupt
hingewiesen werde. Zugleich können uns, wie gesagt, diese Stoffmuster auch
zur Ergänzung unseres Bildes altchinesischer Kunst selbst dienen.
KLEINE NACHRICHTEN Sh
HOSTIENBEHÄLTER IM KULTURHISTORISCHEN UND KUNST-
GEWERBEMUSEUM ZU GRAZ. Das Zinngefäß, das wir in drei ver-
schiedenen Ansichten abbilden, ist an seiner Basis übereck gemessen 62 Millimeter, in
seiner Mitte 80 Millimeter breit und hat bei geschlossenem Deckel eine Höhe von 58 Milli-
meter. Der sechsseitige Gefäßkörper enthält in Reliefdarstellungen je zwei Apostel in
1' „Künstlerische Entwicklung der europäischen Weberei und Stickerei", Seite x48.
4'" Man vergleiche etwa „Künstlerische Entwicklung . . ." Tafel x05. - Es sei hier daran erinnert, daß
von einer reicheren Entwicklung der italienischen Weberei, abgesehen von der älteren sizilianischen, wohl erst
vom XIII. Jahrhunderte an die Rede sein kann.