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Die restlichen Zeichnungen unserer Gruppe
dürften alle im folgenden Jahre 1909 ent-
standen sein. Die meisten sind von Schiele
selbst datiert, und die zeitlich nicht fixierten
können aus stilistischen Gründen zweifellos
in den gleichen Zeitraum gesetzt werden.
Im Gegensatz zu der matronenhaften Dame
(Abb. 4) strahlt die Studie der sitzenden
alten Frau (Abb. 7) menschliche Anteil-
nahme und Wärme aus. Die Frau sitzt,
von der Arbeit ermüdet, zusammenge-
sunken, etwas nach vorne geneigt, auf
einem nur Hüchtig skizzierten Stuhl, von
dem links im Bilde die Rückenlehne und die
Senkrechte der Vorderkante und rechts die
Seitenlehne zu sehen sind. Das Gewand,
offenbar ein Arbeitskleid mit Schürze und
Jacke, bedeckt in knittrigen Falten die
Figur bis zu den Füßen und läßt nur den
linken Schuh sehen. Die Ärmel sind bis
an die Ellbogen zurückgeschoben. Die
Hände, knorrige Arbeitshände, sind auf dem
linken Knie verschränkt. Der rechte Unter-
arm ist dadurch viel zu lang geraten und
wirkt wie ein Riegel, der die Figur in der
Mitte horizontal unterteilt. Der Blick ist
etwas träumerisch-ziellos in die Weite ge-
richtet. Das Haar liegt, mit dem Bleisttift
als schwarzer Fleck gezeichnet, in einer
wirren Frisur wie eine vetbeulte Kappe auf
dem Kopf. Die Zeichnung, die in der ganzen
Anlage, vor allem aber in der Gewandbe-
handlung, schon an den reifen Schiele
erinnert, ist wieder im einfachen, unartin
kulierten Strich schnell und sicher gesetzt.
Die kurvig gebrochene, doch keineswegs
unmelndiöse Linienführung ergibt ein
bewegtes, fast dekorativ wirkendes Form-
gebilde.
Von hohem künstlerischem Reiz ist auch
das Doppelbildnis zweier Damen (Abb. 8).
Die eine ist stehend und en face, die
andere sitzend und im Profil zu sehen. Die
Stehende blickt heiter und weltoifen auf den
Betrachter, die Sitzende beschäftigt sich
introvcrtiert mit ihren Handschuhen. Die
geöffneten Münder lassen darauf schließen,
daß sich beide unterhalten. Halskette,
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Ohrgehänge, die langen Handschuhe und
die Halskrausc sowie die üppigen Frisuren
weisen sie als Damen der vornehmen Gesell-
schaft aus. Die Konturen der Gesichter und
Körper sind mit wenigen Linien ange-
deutet, nur die Augenlider sind kräftiger
gezeichnet. Die Haare jedoch sind als
starke farbige Flächen in bizarren Umrissen
geformt. Dadurch, daß die der Stehenden
rot, die der Sitzenden aber violett gefärbt
und die Frisuren in verschiedenen, kon-
trastierenden Gebilden gezeichnet sind,
wird eine Verdeutlichung der Porträtierten
10
9 Sitzende Frau. 29 x 19 cm. Signiert:
Schiele Egon 09
IO Männlicher Akt im Prolil. 29x
19 cm. Signiert: Schiele Egon 09
11 Zurückgclchnt sitzender männ-
lichcr Akt (Der Ruderer). 2mm
31,2 cm. Signiert: Schiele ein," ou
12 Vorgchcugl sitzender männlicher
Akt. 31.7X31.4 cm. Haare in
Schwarzer Tusche. Signiert: Schiele
Egon m
13 Kauernder männlicher Rücken-
akr. 3l,4x31,5 nn. Korpt-i ocker
in Aquarell. Haare in schwarzer
Tusche. Signiert: Schiele Egon 09
ll
über ihre unterschiedlichen Gesichtszüge
hinaus erreicht. Andererseits ruft diese
Kolorierung, die ja nicht der natürlichen
Haarfarbe entspricht, eine dekorative Wir-
kung hervor. Durch ihre Stellung schließen
sich die beiden Gestalten zu einer 0rnamen-
talen Figur zusammen. Auch in diesem
Blatt ist wiederum das Vorbild Klimts spür-
bar. Sclion die Porträtierten weisen auf die
mondäne Welt, aus der Klirnts Frauenbild-
nisse in erster Linie stammen. Bei ihm finden
sich auch die Verklammerung der Gestalten
und die völlige Ornamentalisierung der