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vorhergegangenen erreicht er allerdings nicht. Der schon zuvor genannte
Maler Daniel Freese, dessen Name von I 573 bis 1610 bei allen Ausstattungs-
arbeiten des Rathauses wiederkehrt, suchte durch ausgiebigste Anwendung
von Farbe noch einen höheren Trumpf auszuspielen. Er bemalt die Wand-
und Gewölbeflächen der Laube (stark restauriert) mit Figuren und Oma-
menten, er appliziert der formal etwas primitiv gehaltenen gotischen Balken-
decke des Fürstensaales über älterem farbigen Dekor ein buntes Renaissance-
gewand mit unzähligen Porträtmedail-
lons und ornamentalem Beiwerk, das
im ganzen genommen dekorativ derb
wirkt, im einzelnen aber der Verfeine-
rung entbehrt. - All diese Erschei-
nungen, zu denen sich eine Menge
anderer schmückender Beigaben gesellt,
zeigen, in welch hohem Maße gerade
jenes Gebäude die künstlerischen
Niederschläge verschiedener Jahrhun-
derte aufnahm, in welchem die Ge-
schicke der Stadt gelenkt wurden. Auch
spätere Zeiten suchten in ihrem Sinne
der alten Pracht und Herrlichkeit gleich-
zukommen. Der „HuldigungssaaP, von
dem aus Kurfürst Georg Ludwig, der
nachmalige König von England, 1706
den Erbhuldigungseid der Bürgerschaft
entgegennahm, sowie der Traubensaal
sind Schöpfungen des Spätbarocco.
Ihnen fehlt indes sichtlich jener starke
Untergrund materieller und politischer
Art, der früher Träger kraftvoll blühen-
der Kunst war. Natürlich haben die
Jahrhunderte auch am Äußeren des
stattlichen Baues mannigfache Ver-
änderungen hervorgebracht, vom Ursprünglichen manches weggenommen
(so zum Beispiel die den fünf Hauptpfeilern der Front entsprechenden
fünf Türme), manches Neue angefügt. Das letztere ist das am wenigsten
Erfreuliche.
Wo im Bürgerhause und der Stelle, an der sich das Bürgertum sicht-
lich verkörperte, das Blühen eines Gemeinwesens so kräftig zum Ausdruck
kam, weisen natürlich auch die Stätten religiösen Zweckes eine dement-
sprechende Ausbildung auf. Ihre Rolle im Stadtbilde ist eine hervorragende
gewesen, ist es zum Teil noch, trotzdem auch da mancher Verlust sich ein-
gestellt hat, hauptsächlich durch das künstlerisch unfruchtbare Puritaner-
tum der Reformation.
Abb. 71. Rathaus zu Lüneburg, Detail aus der
„Neuen Ratsstube"