Vordergrunde legt Ananias dem ihm entgegengehenden Saulus die Hand zur
Segnung und Heilung aufs Haupt. Der links von Ananias stehende Mann,
mit engen Beinlingen, verbrämtem Leibrock und Mütze, ist wohl Judas, bei
dem Saulus wohnte. Rechts verfolgen, unter den offenen Bogen stehend,
die Ausblick auf eine Landschaft gewähren, drei Personen mit staunenden
Gebärden das Wunder.
Das dritte Paulusbild (Abb. 6) schildert die Begegnung der beiden
Apostelfürsten, des „apostolischen Zwiegespanns der Guten", wie sie
Kyrillos von Jerusalem nennt, und ihren Abschied voneinander vor ihrem
beiderseitigen letzten Gange." Die Legende nimmt an, daß beide Apostel
an einem und demselben Tage den Martertod erlitten und beide auf der
Straße von Ostia sich zum letzten Male begrüßt hätten. Die außerordentlich
seltene Darstellung unseres Bildes geht zurück auf den apokryphen Brief
des Dionysius Areopagita an Timotheus über den Tod Petri und Pauli." Von
links naht der Zug mit Petrus, von rechts jener mit Paulus. Beide, leicht
gegeneinander vorgebeugt, reichen sich die gefesselten Hände. Was der
Mund des einen zum andern spricht, künden uns die reichen Schriftrollen;
sie sind wörtlich dem Briefe des Dionysius entnommen. Paulus begrüßt
Petrus: „Pax tecü füdamEtu' eccliä? (-_- ecclesiarum) pastor ouiü z (: et)
agnoY (: agnorum)" und ihm erwidert Petrus: „Vade i pace pdicator bonr'
(z bonorum), mediam (: mediator) i (: et) duy (2 dux)""'"" saluti' iustorum".
Ein Scherge, auf den ein Kriegsknecht einzureden scheint, faßt Petrus am
Leibrock. Hinter beiden werden noch zwei Soldaten sichtbar, von denen
einer die in der Tiroler Malerei so häufig wiederkehrende Fahne mit dem
Skorpion-f hält. Der heilige Paulus wird an einem um seinen Leib geschlun-
genen Strick von einem Gewappneten geführt, dessen erhobene Rechte mit
einer Keule gegen den Apostel zum Schlage ausholt. Ein anderer Scherge
faßt den Gefangenen an der linken Schulter. Zwischen beiden Aposteln steht
ein weiterer Soldat mit Panzer, Kettenhemd und federgeschmücktem Eisen-
hut, vielleicht ein römischer Hauptmann. Ein goldgraviertes Brokatmuster
ersetzt den Himmel.
Den Schluß der Paulusszenen bildet die Enthauptung des Heiligen
(Abb. 7). Vor einem Tore der Stadt Rom - zur Linken vom Beschauer aus
- hat soeben der wildblickende struppige Henker gewaltigen Schwunges
mit einem von beiden Händen geführten Schwerte dem vor ihm knienden
Apostel, dessen Hände noch im Gebete gefaltet sind, das Haupt vom Rumpfe
getrennt. In zahlreichen Bogen springt das Blut vom Halse zum blumigen
Boden. Rechts in der Ecke des Bildes sieht man das stark verkürzte Haupt
" Hiernach ist die Stelle bei Döring zu berichtigen, der die Apostel „in die Gefangenschaft abgeführt"
werden läßt. ,
" Boninus Mombritiua, Legendarium aut Slnctuarium, Mailand ca. 1476, ll. x95. - Lipsius, „Die apo-
kryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden". I1 (1887), S. 227.
"" Döring n. n. 0., liest fälschlich „donntor". wls, abgesehen davon, daß es den Schrifnypen des Bildes
und der Stelle bei Dionysius nicht entspricht, keinen Sinn gibt.
1' Döring n. a. O. sieht dlrin nur „ein tierkopflhnliches Abzeichen", doch ist der Skorpion unverkennbar