MAK

Volltext: Monatszeitschrift IV (1901 / Heft 4)

 
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Wuliher Maria Neuwirth 
RUDOLF HEINZ KEPPEL. 
SEIN WEG ZUM STIL DER 
ESSENTIELLEN IMAGOGRAPHIE 
Es begann mit dem intensiven. geistigen Erleben 
unbekannter, maskenöhnlicher Menschengesichter 
aut' Straßen und Plätzen und in der Straßenbahn, 
Antlitze, die Gleichgültigkeit. Angst. Dämonie. 
Resignation oder stumpfe Verzweiflung verrieten. 
Diese Gesichter des anonymen Alltags bildeten 
für den Maler und Graphiker Professor Rudolf 
Heinz Keppel ein so frappantes Ereignis, daß er 
sie oft noch Wochen später aus der inneren. 
geistigen Schau graphisch reproduzieren mußte. 
Das Resultat war eine geniale Liniensprache, das 
seelische Produkt eines Künstlers. das mit einer 
Nachahmung der Natur überhaupt nichts mehr 
zu tun hatte. Jedes Blatt war meilenfern jeder 
karikaturistischen Nuance. es enthielt Mitfühten 
und Mitleiden eines tief innerlichen, stark philo- 
sophisch veranlagten Künstlers. Rudolf Heinz 
Keppel hatte die ersten Quader für den Bau 
seines geistig orientierten Welt-.,Bildes" gesetzt. 
Die völlig unsentimentalen. graphischen Aussagen 
waren die Basis weiterer kontemplativ erschauter 
Situationen. die sich ebenfalls auf geistiger Ebene 
zu Kompositionen figuraler Gattung verdichteten. 
Dabei kam Rudolf Heinz Keppel seine eminente 
Sicherheit in der Bildung des Figuralen zustatten. 
Die aus dem Geistleben geschöpften Gebilde 
hatten andere, nur vom Sinn der dominierenden 
Aussage diktierte Formen. Sie waren keine 
Spiegelung und auch keine Nachbildung der 
Natur. Rudolf Heinz Keppel befaßte sich nun mit 
teils farbigen Monatypien auf hauchdünnern 
Japanpapier. schuf Einzelblötter und Zyklen. so 
die Mappenwerke ,.Die Frau". "Das Liebespaar". 
nlch enthülle" (Gestalten der Apokalypse). ,.Die 
sieben Todsünden". „Die Blumen". ,.Der Kelch". 
Der Beschauer soll hart und kraftvoll "ange- 
griffen", nicht bloß ,.ergriffen" und zu einem 
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Dialog veranlaßt werden. Er sieht erschütternde, 
grausige. abstoßende Aussagen, auch vor dem 
priapeischen Distrikt wird nicht haltgemacht. 
Niemals bedient sich der Künstler einer Schock- 
wirkung. die rnit Aberglauben. Alpträumen und 
Spukphünomenen kokettiert. Klarheit ist Gebot. 
Zivilisatorische und Kulturlügen werden ent- 
kleidet, Wahrheit ist unteilbar. Hinter jedem 
graphischen Blatt steht eine positive Wett. Keppels 
Gedanklichkeit ist niemals erbarmungslos. 
Es folgen graphische Manifestationen mit reli- 
giösen. edelmenschlichen und hymnischen Motiven. 
Der eindringliche Wille des Künstlers muB ..aus- 
sagen". es sollen die Seelentore der Brüder und 
Schwestern durchschritten werden. Ziel ist eine 
brüderliche. allesumfassende Welt. 
Professor Rudolf Heinz Keppel hat für seine 
Monotypien eine eigene, einerseits lapidare. dann 
wieder subtile Technik erdacht und entwickelt. 
Diese Monotypien. seine Lithographien und 
sonstigen graphischen Blätter haben ihn zu einem 
Graphiker von internationalem Rang empor- 
gehoben. So konnte es geschehen. daß der seiner- 
zeitige Direktor der "Albertina". Dr. Otto Benesch. 
bei der Besichtigung der KeppeVschen graphischen 
Kollektion im Künstlerhaus 1962 erregt ausrief: 
..So ein Künstler lebt in Österreich und man weiß 
es nicht," Und zu Rudolf Heinz Keppel gewendet: 
.,lhre Blätter sind mindestens ebenso gut wie 
die Graphiken von Frans Masereel. George Gross, 
Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel!" 
Mit den modernen ..Abstrakten" teilt Rudolf Heinz 
Keppel die Überzeugung. daß der Naturalismus 
tot ist. Während jedoch die "Abstrakten" noch 
immer von einem Naturerlebnis ausgehen und 
dieses wie ein elektronisches Denk- und Rechen- 
zentrum - also mechanisch - fast bis zum Null- 
punkt des Deutbaren reduzieren, halt Keppel 
aus einem geistigen Reservoir seine Impulse und 
Gesichte. Der uralten Menschensehnsucht nach 
..Bilden" dient die Darstellung seiner geistigen 
Welt und eines neuen Menschenantlitzes, das 
dieser gemäß ist. 
Ein Blick in die Vergangenheit belehrt uns. daß 
Keppel ein gelöutertes Derivat seines patriarchali- 
schen, elterlichen Heimes ist. Der wortkarge Vater 
steiermärkischer Abkuntt war Maschinen-lnstru ktor 
und mußte berufs halberseinen Haushalt in Deutsch- 
land. Österreich und in Ungarn aufschlagen. 
lndustriefachleute aller Sprachen verkehrten in 
seinem Hause. Vater Keppel war von einer 
undogmatischen, tiefen Religiosität erfüllt. Er las 
jährlich der Familie das Weihnachtsevangelium 
von Lukas aus der Bibel vor. Frau und Kinder 
nahmen dies als sakrale Handlung entgegen. 
Die Mutter. die Rudolf Heinz Keppel 1905 zur 
Welt gebracht hatte. stammte aus Köln am Rhein 
und war eine fröhliche. herzensgute Frau. sang 
mit wahlklingender Stimme Volkslieder und 
erzählte mit bestrickender lnnigkeit die schönsten 
Märchen und Erlebnisse aus ihrem Leben. Rudolfs 
Schwester war ein musikalisches Wunderkind. 
Als freischaffender Maler und Graphiker war 
Rudolf Heinz Keppel in den dreißiger Jahren ein 
anerkannter Gestalter von spirituell romantischen 
Graphiken. von expressiven Landschaften und 
großen Kompositionen: "Apokalypse". "Blut- 
Liebende' . ..Vor dem Gewitter" (Staats- 
preis) .Vater und Sohn" und vieles andere. Dann 
kam die Frage. deren Beantwortung den Künstler 
vollkommen von der Abbildung der Natur löste 
und ihn auf das primüre Kunstpostutat der Aus- 
sage hinwies: gibt es eine unüberbrückbarere 
Kluft als die zwischen der "Nachtwache" von 
 
	        
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