wertvoll, weil sie in seltener Reichhaltigkeit eine Entwicklungsgeschichte der einzelnen
Möbeltypen während der ganzen deutschen Gotik bietet, angefangen von den frühen
Formen, die noch erstaunlich viel romanische Residuen enthalten, bis ins XVI. Jahrhundert
hinein, wobei das starke Festhalten der gotischen Tradition bemerkenswert erscheint.
Für jede einzelne der während des XIV., XV. und beginnenden XVI. Jahrhunderts
gebrauchten Möbelgattungen gibt es auf Kreutzenstein eine Fülle von Anregungen und
Feststellungen. Es werden zunächst die Truhen in ihren zahlreichen und vielseitigen
Abwandlungen gebracht, in der Hauptsache deutsche, aber auch einige interessante Ver-
gleichsstücke von italienischer und französischer Herkunft, so (auf Tafel x29) ein Florentiner
Cassone, das in dem neulich erschienenen Werke von Schubring fehlt, dann ein prächtiges,
aus Eichenholz geschnitztes Stück des XIV. Jahrhunderts, das mit der oft abgebildeten
Truhe des Pariser Cluny-Museums und einer Truhenvorderwand der Sammlung des Herrn
Dr. Albert Figdor in Wien verwandt ist. Die deutschen Truhen mit Reliefschmuck in Flach-
schnitzerei aus Kreutzenstein stammen zumeist aus den österreichischen Alpenländern,
doch finden sich auch aus Süd- und Norddeutschland sehr wichtige und gute Arbeiten.
Stattlich ist die Reihe jener schweren, wuchtigen, westdeutsch-westfälischen Eichentruhen
mit breitem verästelten Eisenbeschlag, die bis in die Mitte des XVI. Jahrhunderts hineinragen.
Für manche der älteren und seltenen Kreutzensteiner Truhen gibt es recht interessante
und lehrreiche zeitgenössische Analogien, besonders in den Miniaturen. So finden wir den
Typus der satteldachförmigen Truhe, wie sie Walcher auf Tafel 107 und x08 abbildet, schon
in der Oldenburger Sachsenspiegelhandschrift von r336f aber auch in den Siebenbürger
Truhen (Walcher, 109 und 1x0) lebte diese Form jahrhundertelang weiter. Deshalb muß
ich dem Verfasser bezüglich der Datierung dieser sächsischen Truhen widersprechen.
Er setzt dieselbe nämlich viel zu früh an. In solchen Truhen pflegten die deutschen
Bauern in Siebenbürgen auf der Kirchenburg ihre Kornvorräte aufzubewahren und es
ist in ihnen ein uralter Typus erhalten, der sich bis in die romanische Zeit zurück-
verfolgen läßt. Da die Siebenbürger Sachsen im XII. Jahrhundert aus der Rhein- und
Moselgegend eingewandert sind und wir dieselbe Form auch in der Schweiz und in
Skandinavien nachweisen können, allerdings nur in späteren Nachläufen der Volkskunst,
so ist anzunehmen, daß wir hier uraltes germanisches Erbgut vor uns haben. Die bei
Walcher abgebildeten Siebenbürger Truhen gehören aber nicht mehr dem XV. und XVI.
Jahrhundert, sondern sind Werke einer konservativen Volkskunst aus dem XVIL, ja sogar
dem beginnenden XVIII. Jahrhundert. Übrigens spricht auch die bunte Bemalung derselben
mit primitiven Mustern in Leimfarben dafür. Das Troppauer Museum besitzt zwei solcher
bemalter Siebenbürger Truhen, eine Spende seines Ehrenkurators, des Herrn Baron Georg
Beess-Chrostin, die mir Gelegenheit geben, mich über solche Werke zu unterrichten. Der
genaueste Kenner der alten Siebenbürger Kunst, Dr. Viktor Roth in Hermannstadt, ist nun
der Ansicht, daß die Herstellung der Truhen schon im XIV. Jahrhundert aus den Händen
der deutschen Kolonisten in die der rumänischen Gebirgswalachen übergegangen ist, denn
diese erzeugen bis in die Jetztzeit hinein solche, zu deren Ausarbeitung nur das Handbeil,
kein Hobel benützt wird. Soweit die Stücke dekoriert wurden, besteht der Schmuck in
Kerbschnitzornamenten oder in der lebhaften Bemalung. Letztere auch allerdings wieder
zum größten Teile von den sächsischen Bauern ausgeführt, wie die echt deutschen Muster
beweisen.
Der rheinische Stollenschrank mit vertieften Maßwerkfeldern in den schmalen
Seitenteilen und den reichen Eisenbeschlägen auf der breiten Mitteltür zeigt auf letzterer
außerdem ein geschnitztes Feld mit der Darstellung Simsons, wie er den Löwen bezwingt.
Es ist hierzu anzumerken, daß für diese Schnitzerei ein Stich des Meisters E. S." als Vor-
bild gedient hat.
3' Herausgegeben von F. von Alten. Oldenburg 187g. Abgebildet: Henne am Rhyn, „Kulturgeschichte
des deutschen Volkes", I, Seite 373.
H" Abgebildet: Geißberg, „Anfang der deutschen Kupferstiche etc.", Seite 43.