daß das Modell zur Kanzel und die Kanzel selbst um 1721122 in Wien
entstanden sind (Abb. I).
Es ist nun naheliegend, zur Feststellung des Meisters die sehr zahlreichen
ungefähr gleichzeitig entstandenen Kanzeln des Wiener Kunstkreises zum
Vergleiche heranzuziehen. Hiebei stellen wir fest, daß die von Georg Raphael
Donner 1740 inventierte" Kanzel im Dom zu Gurk mit der 18 Jahre früher
entstandenen Passauer Kanzel in der Gesamtkomposition eng zusammen-
hängt (Abb. 2).
Der Schalldeckel trägt beidemale eine im Dreieck aufgebaute Figuren-
gruppe: Zu oberst sitzt eine weibliche Figur, welcher hier und dort ein fast
gleichgeformtes Rundtempelchen als Symbol beigegeben ist. In Passau stellt
die Figur vermutlich die göttliche Weisheit vor, welche mit Bezug auf die
Bibelstellen „sapientia aedilicavit sibi domum"""" und „sapientia disponit
omnia suaviter"""'"" ein Tempelchen auf der Hand trägt und die Weltkugel im
Schoße hält. In Gurk versinnbildet die Figur die siegreiche Kirche, welche
die I-Iäresie zu Boden schleudexti- Über dem Kopf der weiblichen Figur ist
in Gurk und warH sicher auch in Passau ein Strahlenkranz mit der Taube des
heiligen Geistes, des Trägers der Weisheit, angebracht. Zu Füßen der Figur
sitzen, die Dreieckskomposition füllend, in Passau: die von der Sapientia
entsandten Gestalten des Propheten und des Apostels, welch letzterer die
Fackel des Lichtes trägt; in Gurk linden wir an ihrer Stelle die allegorischen
Figuren des Glaubens und der Hoffnung. Die Mitte des Schalldeckelrandes
nimmt in Passau die Gruppe der allegorischen Figuren des alten und neuen
Bundes ein, welche der göttlichen Weisheit entflossen sind; in Gurk tritt an
ihre Stelle die mächtig aufzüngelnde Flamme, welche die lutherische Bibel des
stützenden Ketzers verzehrt. Die Karnisse des Schalldeckels ist in Passau
und Gurk mit Lambrequins verziert. Die schmale, die Pfeilerbreite füllende
Kanzelrückwand, welche in Passau die Reliefdarstellung des zwölfjährigen
Jesus im TempeLH-l- in Gurk das Relief des guten Hirten trägt, ist hier und
"' Zeitgenössischer Bericht des bischöflich Gurkschen Archivnrs Johann Syhn. Publiziert in „Carinthia",
I, 1895: F. G. Hann, „Beiträge zur neueren Kunstgeschichte des Gurker Domes nach archivalischen Auf-
zeichnungen im Archive des Domkapitels zu Gurk". Syhn lebte r7no bis 1782 als bischöflicher Archivar in Gurk,
war also Augenzeuge der Donnerschen Arbeiten. Wenn er demnach 176g in seinen überaus gewissenhaft
gearbeiteten „Annales Gurcenses" ausdrücklich berichtet, daß die Kanzel „ein Werk der Donnersehen lnvention"
ist und daß die Reliefs nach Zeichnungen der Gebrüder Bibiena von Donner gearbeitet wurden, so ist wohl eine
Verwechslung Syhns, wie E. Tietze-Conrat („Unbekannte Werke G. R. Donners", „KunstgeschichtlichesJahrbuch
der Zentralkommission" rgo5, Seite 220 2x) meint, wonach die Gesamtkomposition von den Bibiena herrühre,
während die Schilde von Donner allein entworfen wären, recht unwahrscheinlich. Die Gesamtkomposition
Donner abzusprechen, widerstreitet aber auch den Resultaten unserer vorliegenden Untersuchung.
w" Sprüche, g, x.
3" Weisheit, 8, x.
1- Über die Ikonographie der Gurker Kanzel vgl. R. von Hann in „Car-inthia", I, 1896, Seite 45 ff. Bei der
ikonographischen Ausdeutung der Darstellungen der Passauer Kanzel kann ich mich auf mündliche Auskunft des
Herrn Hochschulprofessors Dr. Leonhard Schmöller-Passau stützen.
H- Wir können dies rnit größter Bestimmtheit daraus schließen, daß die Kanzel der Wallfahrtskirche in
Maria Taferl, welche 1725 als Kopie der Passauer Don-lkanzel hergestellt wurde, den völlig gleichen Strahlenkranz
mit der Taube des heiligen Geistes wie in Gurk aufweist. Vgl. hierüber „Österreichische Kunsttopographie", IV,
Seite gz und x05, Abb. 106.
H-i- Diese Reliefdarstellung ist ebenso wie das Relief der Ecclesia und die Embleme von Martyriums-
Werkzeugen an der Kanzelbrüstung, wie wir an dieser Stelle schon feststellen wollen, nicht als eigenhändige