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Full text: Monatszeitschrift XXIII (1920 / Heft 11 und 12)

 
Abb. m. Tiroler Holzkrippe (Thaur), Mitte des XIX. Jahrhunderts 
Naturformen im einzelnen sind getreue Wiedergabe der Wirklichkeit (Fels- 
schichtung, Baumstrunk, Rasen). Dieser Felsen ist grundverschieden von 
einem barocken Krippenberg (Abb. 5 und 6). 
GEISTIGE AUFFASSUNG. 
Was in den vorhergehenden Abschnitten über die Auffassung gesagt 
wurde, sei nun ergänzt und zusammengefaßt. Wie die Naturanschauung, so 
ändert sich auch der geistige Gehalt in der Figurendarstellung. Das Motiv, 
die Auswahl der Figuren, bleibt für das XVIII. und XIXJahrhundert ziemlich 
gleich; die I-Iauptvorgänge der Weihnachtsgeschichte, die Geburt, die An- 
betung der Könige und Hirten, das sind die gebräuchlichen Bilder. Hiezu 
kommt die Darstellung im Tempel, die Hochzeit zu Kana und der Kindes- 
mord, und dazwischen gestreut zahlreiche Bilder und Einzelgestalten aus 
dem Volksleben, zum Beispiel die Anbetung der Könige (Abb. 5, 7). Die 
Figuren sind so gestellt, daß sie sich der heiligen Familie zuwenden. Die 
barocken Krippen vereinigen die Figuren auf einer ebenen Bühne. Jede 
Gestalt ist für sich geschnitzt, nur äußerlich für eine gewisse Stellung be- 
rechnet. Sie ist geistig vereinzelt. Der innere Zusammenhang ist durch das 
gleiche, allen gemeinsame Gefühl hergestellt. Eine enge sichtbare Verbindung 
der Figuren untereinander fehlt. Deshalb sind auch Gruppenbildungen selten. 
Die innere Einheit ist bei Holziiguren in einem höheren Grade erreicht als 
bei bekleideten, denn die Schnitziigur ist einheitlich durchgebildet, während 
die bekleidete aus Teilen zusammengesetzt ist, die anatomisch in keiner 
Beziehung stehen. Bei Krippen mit Kleideriiguren ist es das künstlerische 
Mittel der Farbenpracht und des Lichtes, welches die geistige Einheit bewirkt. 
Im Laufe des XIX. Jahrhunderts tritt die heftige Gefühlsdarstellung 
zurück. Die barocke Empfindung wird von der sanften romantischen 
Stimmung abgelöst. Zum Gefühl gesellt sich die Vorstellung. Die Auffassung 
von einem Grundgedanken in jedem Kunstwerk, die der großen Kunst eigen
	        
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