Abb. m. Tiroler Holzkrippe (Thaur), Mitte des XIX. Jahrhunderts
Naturformen im einzelnen sind getreue Wiedergabe der Wirklichkeit (Fels-
schichtung, Baumstrunk, Rasen). Dieser Felsen ist grundverschieden von
einem barocken Krippenberg (Abb. 5 und 6).
GEISTIGE AUFFASSUNG.
Was in den vorhergehenden Abschnitten über die Auffassung gesagt
wurde, sei nun ergänzt und zusammengefaßt. Wie die Naturanschauung, so
ändert sich auch der geistige Gehalt in der Figurendarstellung. Das Motiv,
die Auswahl der Figuren, bleibt für das XVIII. und XIXJahrhundert ziemlich
gleich; die I-Iauptvorgänge der Weihnachtsgeschichte, die Geburt, die An-
betung der Könige und Hirten, das sind die gebräuchlichen Bilder. Hiezu
kommt die Darstellung im Tempel, die Hochzeit zu Kana und der Kindes-
mord, und dazwischen gestreut zahlreiche Bilder und Einzelgestalten aus
dem Volksleben, zum Beispiel die Anbetung der Könige (Abb. 5, 7). Die
Figuren sind so gestellt, daß sie sich der heiligen Familie zuwenden. Die
barocken Krippen vereinigen die Figuren auf einer ebenen Bühne. Jede
Gestalt ist für sich geschnitzt, nur äußerlich für eine gewisse Stellung be-
rechnet. Sie ist geistig vereinzelt. Der innere Zusammenhang ist durch das
gleiche, allen gemeinsame Gefühl hergestellt. Eine enge sichtbare Verbindung
der Figuren untereinander fehlt. Deshalb sind auch Gruppenbildungen selten.
Die innere Einheit ist bei Holziiguren in einem höheren Grade erreicht als
bei bekleideten, denn die Schnitziigur ist einheitlich durchgebildet, während
die bekleidete aus Teilen zusammengesetzt ist, die anatomisch in keiner
Beziehung stehen. Bei Krippen mit Kleideriiguren ist es das künstlerische
Mittel der Farbenpracht und des Lichtes, welches die geistige Einheit bewirkt.
Im Laufe des XIX. Jahrhunderts tritt die heftige Gefühlsdarstellung
zurück. Die barocke Empfindung wird von der sanften romantischen
Stimmung abgelöst. Zum Gefühl gesellt sich die Vorstellung. Die Auffassung
von einem Grundgedanken in jedem Kunstwerk, die der großen Kunst eigen