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Von Arbeiten gothischen Styles, deren Nachbildung bisher möglich
war, heben wir aus dem Verzeichnisse zwei hervor: einen zierlichen
kleinen LederkoEer mit vergoldeten Silherheschlägen (N. 14) und eine
grosse Kanne (Nr. 45), ein schönes Tischgeräthe aus dem Ende des
15. Jahrhunderts. Die Kanne ist in ihrem Aufbaue noch völlig gothisch,
energisch und geschmackvoll sowohl in der Contour des Gefasses selbst,
als auch namentlich in der Bildung des Henkels und des Wappenhälters
an der Spitze des Deckels. Als Henkel dient eine phantastische Dra-
chenfigur, in ihrer stylvollen Conception ebenbürtig den besten Beispielen
der ungeherdigen Wasserspeier, die wir an gothischen Domen ünden.
Der im Charnier bewegliche Deckel ist als Thurm mit vergitterten
Fenstern aufgefasst, auf dem ein grün bemaltes zottiges Männchen, ein
„wilder Wsldschrat", wie ihn jene Zeit nannte, mit der gehobenen Keule
in der einen und dem Wappenschilde in der andern Hand, Wache hält.
Eine grosse Schüssel von getriebener Arbeit (Nr. 41), mit überaus
figurenreichen Darstellungen aus der biblischen und Heiligen-Geschichte,
erscheint in der Zeichnung und Behandlung des üguralen Theiles noch
in der Kunstweise des 15. Jahrhunderts, während die darauf befindlichen
ornamentalen Renaissanceformen und auch einzelne Costiime-Eigenthüm-
lichkeiten entschieden auf eine spätere Zeit deuten. Die von competenter
Seite ausgesprochene Meinung, dass dieses interessante, noch durch keine
Abbildung oder Beschreibung bekannte Werk portugiesischen Ur-
sprungs sei, hat guten Grund, denn auf portugiesischen Goldschmiede-
arbeiten des l6. Jahrhunderts finden wir dieselbe Häufung und arcbaistische
Formengebung der Figuren neben den aus Italien und Deutschland her-
übergekommenen ausgebildeten Renaissanceformen. Auf der portugie-
sischen Abtheilung der "Histoire du travail" der Pariser Ausstellung war
mehrfach Aehnliches zu sehen.
Einen grossen Reichthum von vortrefflichen Werken der Renaissance
des 16. Jahrhunderts zählt unser Verzeichniss auf, die zusammen schon
jetzt eine ganz bedeutende Repräsentation der Goldschmiedekunst jener
Blüthezeit bilden. Als das dem räumlichen Umfange nach bedeutendste
Stück nennen wir vor Allem den unter der Bezeichnung „Landschaden-
bund" bekannten Prachtpocal (Nr. Er ist eine Augsburger Arbeit
aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und ist durch seinen schönen
Aufbau und seine Verhältnisse, den überreichen Zierrath, namentlich aber
durch eine kolossale Grösse (104 Centim.) ein Stück, das kaum seines
Gleichen hat. Ucber die Herkunft des Originales und die Geschichte,
die es zweifelsohne hat, ist nichts bekannt, kaum etwas darüber, wieso
der Pccal zu dem Namen „Landschad_enbund" gekommen ist. Der „Land-
schaden" war eine Art gegenseitiger Versicherungsgesellschaft in Steier-
mark und man könnte glauben, dass unser Pocal gemeinsames Eigenthum
der Mitglieder dieses Vereine-s und vielleicht eine Art Symbol ihrer Zu-