Die rothf-igurigen Vasen gehen nun auf dem Wege der Vereinfachung
des Ornamentes, die wir bei den schwarzfigurigen beginnen sahen, noch
einen Schritt weiter. Die Tendenz, den Raum zu füllen, verschwindet
fast ganz. Die Ranken, Blätter, Palmetten werden immer zierlicher und
spärlicher; die Umrahmung der Bilder schrumpft zu einem kurzen Stück
Mäander zusammen, welches den Boden markirt, auf dem die Figuren stehen;
oft aber fällt auch dieses weg und die Figuren schweben einsam oder
zu Gruppen vereinigt auf dem glänzend schwarzen Hintergrunde. Des
function-erklärenden Ornaments, wie Bötticher es nennt, bedarf es nicht
mehr. Die Formen der Gefässe mit ihren sanften Schwingungen und
Uebergängen, ihrer klaren Gliederung und schönen Proportionalität, sind
fein und entwickelt genug, um auch ohne Ornament dem kunstsinnigen
Auge völlig Genüge zu thun. Nur die menschliche Gestalt, als das geistigste
Ausdrucksmittel der bildenden Kunst, blieb zurück, um dem Betrachtenden
irgend eine Vorstellung heiliger oder profaner Art, die ihm an dieser Stelle
besonders bedeutsam und willkommen erscheinen musste, vor die Seele
zu rufen.
Wir sahen oben, wie die menschliche Gestalt bereits in dem ältesten
orientalischen Styl neben die von Asien herübergekommenen Thierfiguren
und phantastischen Ungeheuer trat. Oft Enden wir den Menschen im
Kampf mit diesen. Dann werden die Fabelwesen von den griechischen
Helden, einem Herakles, Bellerophon, Perseus u. s. w., verdrängt und als
Hauptstolf tritt der Gestaltenkreis der epischen Dichtung in die Malerei
der Vasen ein. Die gesammte Mythologie, wie sie das Epos ausgebildet
und durch alle Schichten des Volkes verbreitet hatte, unter den Göttern
besonders Bacchus und sein Gefolge, unter den Heroen Herakles, werden
uns in den Bildern der Thongefässe des alten schwarzfigurigen Styles
vorgeführt. Dazu die mannigfachsten ernsten und heiteren Vorgänge des
täglichen Lebens, Wettkämpfe und Uebungen, Hochzeiten, Trinkgelage
u. s. w., das Alles in derber kräftiger Auflassung, die bisweilen wohl
auch in's Rohe und Ausgelassene sich verliert, immer aber gesund und
echt volksthümlich uns anmuthet.
ln den Vasen mit rothen Figuren sehen wir dann zunächst einen
würdevollen Ernst und etwas Ceremoniös-Feierliches an die Stelle der alten
Volksthümlichkeit treten, und später in dem völlig entwickelten Styl mil-
dert sich diese Strenge zu jener zarten durchgeistigten Schönheit und echt
menschlichenAutfassung, welche die untrliglichsren Kennzeichen der attischen
Kunst der besten Zeit ausmachen. Unter den Göttern und Heroen wiegen
entschieden die attischen und ihre localen Sagenkreise vor. Auf das Epos
folgt auch in den Vasenbildern die Lyrik und das Drama: das heisst wir
können bemerken, dass die mehr subjective nnd geistig vertieftere Auf-
fassung, wie sie der Sagenstutf in diesen beiden damals blühenden Dich-
tungsarten erfuhr, auch auf die Stotfwelt und die Behandlung der Vasen-
maler von Einfluss waren. Endlich erfahren auch der Wirklichkeit ent-
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