1.6:!
gerissen, deren Mittelpunkt das so lange vernachlässigte Kunstgewerbe
bildete. Ueberall bekam man wieder Augen für das nAltmodische, Alt-
fränkischeu, sammelte und studirte Urväter-I-Iausrath, versuchte längst
vergessene Kunstfertigkeiten wieder zu beleben, forschte in der Geschichte
und grübelte, und naturgemäß gaben die Ausstellungen Kunde von dieser
Bewegung. Schon 1855 ließ sich nicht verkennen, dass dem großen
Publicum gegenüber die Kunstindustrie die Führung übernommen hatte.
Durch zwei Jahrzehnte und länger behauptete sie sich in dieser
Stellung und erreichte unleugbar schöne Erfolge, die wohl von längerer
Dauer gewesen wären, hätte man die Dinge sich ruhig entwickeln lassen.
Aber das verhinderte die Eifersucht der großen Länder und ihrer
Hauptstädte, deren Beispiel bald auch kleinere Länder und Städte folgten.
Ueberall wollte man ein so glänzendes und anziehendes Schauspiel auf-
führen wie 1851 in London, und zwar so bald als möglich, nicht, wie
zuerst angenommen war, von zehn zu zehn Jahren; überall sollte die
Kunstindustrie Neues zeigen, und daher blieb ihr keine Zeit, um mit Bedacht
zu schaffen, die empfangenen Anregungen zu verarbeiten, auf Neuerungen,
die zugleich Verbesserungen, zu sinnen. Nicht lange, und die Unter-
nehmer gaben in ihren Programmen das Bekenntniss ab, dass die Industrie
nicht mehr die für die Deckung der Kosten einer großen Ausstellung er-
forderliche Anziehungskraft besitze. Es wurden Disciplinen einbezogen,
die noch nie Jemand zur Industrie gerechnet hatte, Thätigkeitszweige,
deren Arbeit überhaupt nicht zur Anschauung gebracht werden kann,
und zumal, seitdem rexposition universellen mit dem bequemen, alle
Grenzen aufhebenden Ausdruck uWeltausstellungu übersetzt worden war,
sollte der ganzen Welt die ganze Welt vorgeführt werden, "was auf der
Erden und in dem Himmel ist, die Wissenschaft und die Natura, Ver-
gangenheit, Gegenwart und Zukunft! Und da das Unmögliche nicht
möglich zu machen war, musste die Ausstellung, wie wir bereits vor
Jahrzehnten voraussagen durften, den Weg der Messen gehen, die sie
verdrängt hatte. Was Befriedigung der Schaulust zu versprechen schien,
wurde willkommen geheißen; stand es zugleich in einer wenigstens
scheinbaren Beziehung zu dem Programm der Ausstellung, so war dies
eine angenehmeZugabe. Die Unterhaltungs- und Erfrischungslocale nahmen
einen immer breiteren Raum ein, oft einen so breiten, dass die Industrie
daneben völlig übersehen werden konnte. Babylonische Thürme ließen
sich nicht überall herstellen, dagegen brachte die alte Gasse Londons
auf einen fruchtbaren Gedanken, und eine alte Stadt gehörte bald zu
den unentbehrlichen Requisiten einer größeren Ausstellung.
In unserer Zeit der theils unvermeidlichen, vielfach aber gänzlich
unnöthigen Zerstörung alter Städte ist der Wunsch, sich wenigstens noch
an alten Städtebildern zu erfreuen, sehr begreiflich. Es zeigt sich da,
dass noch ein Stück Romantik sich in die Gegenwart gerettet hat. Doch
werden nicht, wie zur Blüthezeit der Romantik, unmögliche Ritterburgen
13 '