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cyklopiscbe Verhältnisse bestimmt scheinenden, in ungebrochener Hori-
zontale dahinlastenden Gebälken u. s. w. übernommen hätte.
Wir haben nun bisher drei Renaissancen der Kunst kennen gelernt,
die in ihrem Grundcharakter die engste Verwandtschaft untereinander
aufweisen. Die "Wiedergeburtu bestand in allen drei Fällen, wie wir
gesehen haben, in der Wiederherstellung gewisser älterer Formen, die
dem jeweiligen Zeitgeschmack zusagender vorkamen, als diejenigen Formen,
die man eben als historisch gewordenes Product vor sich hatte. Aber in
keinem der drei Fälle war mit dieser Wiederherstellung von vorneherein
beabsichtigt, aus der historisch gewordenen Stilweise vollständig und
gewaltsam herauszukommen; man wollte vielmehr zunächst nur gewisse
Vorzüge älterer Stilperioden auf die eigene übertragen. Dieser ganz
entscheidende Punkt fand sich auch überall, in allen drei Renaissancen,
unzweideutig zum Ausdrucke gebracht durch den Umstand, dass die
ältere Kunstweise, aus der man sich Vorbilder holte, eine der eigenen
nächstverwandte sein musste.
Dass nur eine Benutzung nach Bedürfniss, nicht aber eine gänzliche
Wiederherstellung des Alten in Bausch und Bogen das Endziel aller drei
Renaissancen gewesen ist, geht auch aus dem Ergebnisse deutlich hervor,
zu welchem dieselben schließlich geführt haben: aus allen dreien ist
nämlich im weiteren Verlaufe etwas ganz Anderes zu Stande gekommen,
als eine Restauration der römischen Antike. Anstatt sich der römischen
Antike zu nähern, hat man sich in der That nur immer weiter davon
entfernt. Auf die karolingische Renaissance folgte der romanische Stil,
auf die toskanische Protorenaissance die italienische Gothik, auf die
italienische Friihrenaissance die sogenannte Hochrenaissance, die min-
destens auf dern Gebiete der Architektur den Barockstil direct eingeleitet
hat. Die Künstler aller drei Renaissancen haben eben den Blick stets
vorwärts gewendet gehabt, sie dachten gar nicht so schlecht von ihrer
eigenen, durch ihre unmittelbaren Vorgänger gewordenen Kunst, und
sie hielten es darum auch gar nicht für nöthig, alte, vergangene Stil-
weisen dem Wesen nach zu restauriren. Aber mit offenem Auge erkannten
sie das Schöne, das sie in verwandten Kunstweisen älterer Werke vor-
fanden, und wussten es klug für die eigenen Zwecke zu nützen und so
in der weiteren Folge ein wirklich fruchtbares Neues daraus zu gestalten.
Ausser diesen drei Renaissancen verzeichnet die Kunstgeschichte noch
eine Reihe anderer, die in neuerer Zeit auf nichtitalienischem Boden
entstanden sind. Diese nichtitalienischen Renaissancen fallen sämmtlich
später als das italienische Quattrocento, und haben den Grundzug
untereinander gemein, dass sie den Anstoß zu ihrer Entstehung särnmtlich
eben durch die italienische Renaissance des 15. Jahrhunderts empfangen
haben.
So spricht man von einer deutschen und einer französischen, einer
englischen und einer spanischen Renaissance. Es ergibt sich für uns
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