Dieser Gesichtspunkt sollte in großem Maßstabe durchgeführt werden,
und zwar nicht blos für die Radirung, sondern auch für den Kupferstich,
zumal beide technisch in ihrer Reinheit getrennte Kunstzweige doch in
der Ausführung oft miteinander verbunden sind. Als es aber an die
Ausführung ging, zeigten sich Hindernisse, indem nämlich das uWerk-t
der einzelnen Künstler nicht genugsam sich vereinigen ließ, von den
meisten aber eben nur ein oder das andere Blatt zur Verfügung stand.
Man musste also den Plan in dieser Richtung, wenn nicht aufgeben,
doch beschränken, in Rechnung darauf, dass die gesunde ldee in einem
nächsten Jahre sich fortsetzen ließe. S0 sind es nur vier Namen, welche
auf dieser Ausstellung den ursprünglichen Gedanken vertreten.
Wollend oder nicht wollend, gerne oder ungern, musste man nach
Ergänzung trachten und so eine zweite Abtheilung aus jenen Meistern
der Radirung und des Kupferstiches bilden, von denen nur einzelne
Werke zu erhalten waren. Das ist an sich ja kein Unglück, vielmehr ist
die Ausstellung für den Besucher, der nicht aus diesen Kunstzweigen
ein besonderes Studium macht, nur um so interessanter geworden. Sie
zeigt mehr Mannigfaltigkeit, vielleicht auch mehr hervorragende Meister-
werke, als es sonst der Fall gewesen wäre. Dass diese Abtheilung, welcher
englische, französische, deutsche und auch Wiener Arbeiten angehören,
recht reichhaltig ausgefallen, ist das Verdienst der Herren Artaria,
welche sich sehr um diese Zusammenstellung bemühten.
Ein besonderer Umstand verleiht noch dieser Abtheilung - zum
großen Theil allerdings auch der zuerst geschilderten Abtheilung - ein
erhöhtes Interesse. Fast sämmtliche ausgestellte Blätter sind sogenannte
Künstlerdrucke, d. h. solche Abdrücke, welche die Künstler von ihren
eigenen Werken für sich selber haben machen lassen, zum Theil aber
sind es auch Probedrucke auf den verschiedenen Stadien im Fortschritt
der Arbeit. Durch den ersten Umstand ist der Beschauer sicher, stets
einen Abdruck von erster Vollkommenheit vor sich zu haben, der zweite
aber befähigt ihn, tiefer in das Werden und Wesen solcher Kunstwerke
einzudringen, was eigentlich zum vollen Verständniss und somit auch
zum wahren Genusse nothwendig ist.
Und das gilt von der Radirung noch in besonderer Weise. Wir
haben schon vorhin die Radirung als die individuellste aller Vervielfäl-
tigungskünste bezeichnet. In früheren Zeiten war sie es als sogenannte
Malerradirung, d. h. als Arbeit des Malers, der sein eigenes Werk, seine
eigene Erfindung mit Nadel und Aetzung auf der Kupferplatte zur Ver-
vielfältigung wiedergibt. In dieser Art zeigt sich die Radirung von der
größten Mannigfaltigkeit; jeder Künstler schafft sich seine eigene Manier,
seine eigene Handschrift. Der eine arbeitet rasch und flüchtig auf derben
Etfect; er wirft seine Idee auf die Platte hin, nur um sie wie in einer
Skizze festzuhalten; ein anderer führt aus bis zur möglichst genauen
Wiedergabe des Gegenstandes bis zu voller malerischer Wirkung. Die