Die ältesten Stufen italischer Kunst und Industrie.
Von Dr. Moriz H o e r n e s.
(Schluss.)
Die Lebensdauer der Terramaren fällt rund etwa in die Zeit von
1550 bis iioo oder iooo v. Chr. Geburt. Sie gewähren uns durch den
Schleier jener Veränderungen hindurch, welche die Sesshaftigkeit im
Norden der Apenninhalbinsel mit sich brachte, einen Blick in die gräco-
italische Urzeit, die vielleicht nicht chronologisch, aber nach dem Maße
des Culturfortschrittes ziemlich nahe an die genannte Periode heranreicht.
Die Einflüsse des höher entwickelten Mittelmeergebietes sind in dieser
Zeit noch äußerst gering. Zwar ist der Besitz der Bronze im Allgemeinen
dem Einfluss dieser östlichen Culturzone zuzuschreiben, und die Ver-
wendung von Bernstein in den Terramaren wäre nicht denkbar ohne das
Vorhandensein jenes großen, mitteleuropäischen Handelsweges, der von
der Bernsteinküste der Nordsee das fossile Harz zu den Umwohnern des
Aegäischen Meeres brachte. Aber weitere Folgerungen, die man in jüngster
Zeit aus dem Vorkommen der gleichen Fibelformen in mykenischen Volks-
gräbern und in einigen Terramaren, dann aus ähnlichen Schwerttypen, aus
dem Erscheinen hausförmiger Aschenurnen mykenischen Stiles in Kreta,
aus der Verschmähung der Fischkost in der Urzeit beider Halbinseln
nicht nur auf Verwandtschaft, sondern auch auf maritime Handels-
beziehungen zwischen den Mykenäern und den Terramaricolis gezogen
hat, müssen wir, leider gegen einen so ausgezeichneten Forscher wie
P. Orsi, entschieden ablehnen, ohne jedoch hier auf die Gründe unserer
Andersmeinung eingehen zu können.
Die Terramaren reichen nicht in die erste Eisenzeit hinein; ja
schon vor dem ersten nennenswerthen Auftreten dieses Culturmetalles
ist ein colossaler Umschwung eingetreten. Mit einem Schlage befinden
wir uns in einer anderen, wenn auch zum Theil benachbarten räum-
lichen Zone, nicht mehr in Venetien, der östlichen Lombardei und der
westlichen Emilia, sondern in einem viel weiteren Gebiet, das sich von
der Umgebung B0logna's (zwischen dem Panaro, dem Po und der Adria)
über den Apennin nach Mittelitalien, durch ganz Etrurien und noch
weiter über den Tiber bis zu den albanischen Hügeln erstreckt. Mit
einem Schlage sehen wir uns in einer expansionsfähigen, durchaus fort-
schrittlich angelegten Cultursphäre, welche nur aus geographischen
Gründen an der Adria, d. h. im östlichen Oberitalien und am Tyrrbe-
nischen Meere, d. i. in Etrurien und Latium, eine verschiedene Ent-
wicklung gefunden hat.
Hier ist ein durchaus neuer Zug in der ältesten Culturgeschichte
Italiens: der Drang zur Seeküste, aber nicht um, wie die Griechen, auf
dem Meere neue Wege zu suchen, sondern blos um den Verkehr einer
reichen sesshaften Bevölkerung mit überseeischen handeltreibenden Na-