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die Geschichte des Sündenfalls, die Frucht des Ungehorsams, die schon in
der zweiten Generation den Todtschlag am eigenen Bruder hervorbrachte.
Zugleich aber sollte der Beschauer lernen, wie Christus die Slindenschuld
auf sich genommen und durch seine Auferstehung uns die Gewähr un-
serer eigenen künftigen Auferstehung gegeben, wie er mit verklärtem Leibe
auf Erden wandelte, in einem Leibe, der nun nicht mehr jene Schwächen
der Sterblichkeit an sich trug, welchen Adam's Leib eben auch nicht unter-
worfen war, so lange er im Paradiese weilte und nicht durch Ungehorsam
sich dieses mit der Leiblichkeit nicht nothwendig, sondern nur durch ein
besonderes Gnadenwerk gegebenen höheren Zustandes verlustig gemacht
hat. Darum steht die Schöpfung der Eva und ihre Vorführung an den
ersten Menschen unmittelbar neben Magdalena noli me tangere, und den
Frauen, die durch den Engel die Kunde von der Auferstehung des Hei-
lands erhalten. Die Thüren weisen also in ihren Darstellungen auf den
Ort hin, wohin sie gehören, in's sogenannte wParadiesu der Kirche.
Schon habe ich mich allzusehr in die Einzelheiten eingelassen und
doch kann ich noch nicht von dieser Thüre mich trennen. Nicht die
Leidenschaft, mit der die dargestellten Personen handeln, ist es, die hier
mich anzieht, die leidenschaftliche Haltung der aus der Thüre wie sich
herausdrängenden Oberleiber. Es war das eben ein Versuch des Meisters,
den Unterschied zwischen den gemessenen , flachen Elfenbeinreliefs der
Byzantiner und seiner neuen plastischen, körperlichen Weise zu mar-
kiren. Nicht dies ist es, sondern die Inschrift, welche auf der Thüre
angebracht ist und geradezu räthselhaft klingt: Anno dominice incarna-
tionis MXV Bernwardus Episcopus dive memorie has valvas fusiles in
faciem angelici templi ob monumentum sui fecit suspendi.
Als also diese Inschrift gemacht wurde war Bernwardus schon todt.
Aber wie kam diese Inschrift in die Thür? Hat am Ende gar S. Bern-
wardus auf künftige Leser so sehr Rücksicht genommen, dass er von
sich selber schreiben lässt: wdivete memoriaeu, seligen Angedenkens?
Allein der Gedanke kommt rnir als nicht annehmbar, als fast sentimental
vor. Was ist denn an der Thür eigentlich bernwardinisch? Das könnte
nur dann sicher gelöst werden, wenn ein Techniker angäbe, ob diese ln-
schrift nur eine spätere Gravur ist, oder aber, wenn sie mit der Thür
zugleich gegossen erscheint, ob die 16 Panneele aus bernwardinischer
Zeit vorhanden waren, und erst nach Bernward's Tode in die
jetzigen Thorfltigel eingesetzt worden seien. Ich muss gestehen, dass ich
bei meinem öfteren Aufenthalte in Hildesheim wohl die Schwierigkeiten
jedesmal gefühlt habe, aber nicht im Stande bin, dieselben zu lösen.
Die Gründungsgeschichte von S. Michael erleichtert uns keineswegs
die Lösung dieser Frage. Längst schon hatte Bernward daran gedacht,
ein Kloster in seiner Bischofsstadt zu gründen, aber immer wieder war
der Plan zurückgelegt worden. Er wollte es dotiren mit seinem Patri-
I!