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So stehen also bei uns die Dinge. Wir vermissen den wahren, rich-
tigen, geschmackvollen Einband und vermissen auch bei dem Publicum
Sinn und Interesse für denselben; was Ansprüche erhebt, was scheinen
und glänzen will, das wird auswärts gemacht, und in dieser scheinenden
und glänzenden Arbeit herrscht ein falscher Geschmack. Ausnahmen lassen
wir mit Vergnügen zu; wir werden sie zum Theile noch kennen lernen.
Die Ueberzeugung von dieser Sachlage, der Wunsch, anregend, för-
dernd, bessernd einzugreifen, vor Allem auch dem Lande selbst an Arbeif
zurückzugeben, was es leisten kann und soll -'-solche Ueberzeugung und
solcher Wunsch haben die Ausstellung von Bucheinbänden veranlasst,
welche seit mehreren Wochen einige Säle des Oesterr. Museums ausfüllt.
Der praktische Gesichtspunkt hat sie hervorgerufen, und der praktische
Gesichtspunkt beherrscht auch völlig den Eindruck. Es wäre wohl möglich
gewesen, von allen Enden der Welt Prachtwerke der Buchbinderei oder,
richtiger gesagt, der auf den Bucheinband angewendeten Goldschmiede-
kunst herbeizuschalfen, aber der Sache selbst wäre damit Wenig gedient
gewesen. Es sind auch solche Werke vorhanden, und es werden noch
mehrere erwartet, aber der Nachdruck musste auf dasjenige gelegt werden,
was der heutigen Verwendung sich empfiehlt, was praktisch, lehrreich und
geschmackvoll zugleich ist.
Aus diesem Grunde bilden die Arbeiten seit jener Zeit, da die Erfin-
dung der Buchdruckerkunst einen gewissen Massenbedarf hervorrief, also
die Leder- und Pergamenteinbände aus dem 16., 17. und 18. Jahrhunderte.
den Hauptbestandtheil der älteren Abtheilung. Sie kamen zum Theile aus
der Ambraser Sammlung, aus den Sammlungen des Museums, aus dem
Besitze von Privaten, ganz vor Allem aus der Liechtensteinkchen Fidei-
commiss-Bibliothek, welche eine fast unerschöpfliche Fülle schöner Ein-
bände der letzten drei Jahrhunderte enthält, zum Theile noch mit Mono-
grammen und Wappen der Familienglieder verziert, ein Zeugniss, dass
in diesem Hause die Kunstliebe selbst in diesen bescheidenen Dingen von
Geschlecht zu Geschlecht ununterbrochen sich fortgepiianzt hat.
Aber der praktische Gesichtspunkt war nicht der einzige für diese
Ausstellung, und so bilden auch die Ledereinbände der letzten drei Jahr-
hunderte nicht den einzigen Inhalt der älteren Abtheilung. Um vollständig
einen Gegenstand mit Kenntniss und Urtheil zu beherrschen, ist es nöthig,
seine Geschichte zu kennen, und daher wurde denn ßhch zugleich der
geschichtliche Gesichtspunkt in das Auge gefasst und die Anordnung des
ersten Saales nach ihm durchgeführt. Für das Mittelalter freilich sind
Originaleinbände nicht gerade in großer Zahl zu erhalten, aber hier konnten
die Sammlungen des Museums theils mit einer Collection von Beschlägen,
theils mit galvanoplastischen Copien oder Zeichnungen und Photographien
eintreten. So ist selbst Byzanz mit den frühesten und kostbarsten Arbeiten
vorhanden.
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