passt sein. im Gebirge, wo die kleine Tochter frühzeitig die Gehilftn der Mutter werden
muss, wo der Schulbesuch dlrchschnittlich ein viel kürzerer ist als ihn die bequemen
Verkehrsmittel der Stadte in jeder Jahreszeit zulassen, muss der Unterricht sich viel
kürzer fassen und vor Allem, je nach den Bedürfnissen des gewöhnlichen Lebens, ein-
zelne Arbeitsfächer besonders betonen.
ln Schweden bringen die Schülerinnen der Volksschule Flachs und Garn zu den
Unterrichtsstunden und lernen da spinnen und weben. ln Tirol und Kärnthen tragen die
Kinder die alten Kleider ihrer Eltern und Geschwister zur Schule, um das abgenutzte
Zeug dort ausbessern zu lernen und neugestaltet nach Hause zu bringen. Solchem Finger-
zeige muss die Schule Rechnung tragen. Ohne die Kunstfertigkeit des Nahens ist eine
Mutter, eine Hausfrau, eine Magd am Lande ganz entsetzlich armselig daran; die Ordnung
im Hause, die Nettigkeit der Kinder hängt zum grossten Theile davon ab, ob die Mutter
die Nadel zu führen versteht; in den Schulen am Lande ist daher als wichtigster Gegen-
stand des Unterrichtes das Nahen und Ausbessern einzuführen.
Ein ganz vortreffliches Lehrprogramm hat eine lndustrieschule aus dem Aargau
zur Ausstellung gebracht. Dasselbe lautet: ,
l. Classe: Anfangsgründe des Strickens; Stricken der Strümpfe.
ll. Classe: Fortsetzung; Anstricken, Nahen, Vorstich, Hinterstich, Steppstich, Saum-
stich, Endelstich.
lll. Classe: Stricken, Wiederholung, Piquetmuster; Nahen: Kinder- und Mädchen-
hemden, einfache Nutzgegenstande.
IV. Classe: Strickttbung (Nebenarbeit), Stopfen, Einstricken der Ferse; Maschen-
stich, Patentstich, Muster einfacher Art; Merken: 2 Alphabete und die Grundzahlen; Nahen:
Frauenhemden, Bettwäsche, Ausbessern des Weisszeuges.
V. Classe: Strickübung (Nebenarbeit), Wiederholung des in der vorigen Classe
Erlernten. Nahen: Knaben- und Mannerhemden, Ausbesserungen verschiedener Art und
deren Anwendung an Weisszeug und Kleidern. Hakelstiche, Zuschneiden von Wasche.
Vl. Classe: Stricken (letzte Vervollkommnung). Nahen: Mannerhemden, Klei-
dungsstücke, Ausbessern, Verweben, Vorstechen, Einsetzen; Zuschneiden von Weisszeug.
Kenntniss sammtlicher bei den weiblichen Handarbeiten vorkommenden Slolfe. Haushal-
tungskunde.
Der Unterricht an den Volksschulen Wiens hat durch längere Zeit an einem Pro-
visorium des behrprogrammes gekrankelt, welches sich in den eingesandten Arbeiten
geltend machte; seit einigen Monaten ist das letztere festgestellt und es dürfte nunmehr
nur an dem Ernste, mit dem es eingehalten wird, liegen, um ein günstigeres Resultat
des Unterrichtes zu Stande zu bringen. Dass dieser Ernst nur durch kräftige, sach-
verstandige Ueberwachung erzielt werden kann, ist selbstverständlich.
Ein anderes und das schwerste Hinderniss, das derzeit noch dem gewünschten
Erfolge der Arbeitsschule im Wege steht, ist der Mangel an tauglichen Lehrerinnen;
dieser letztere wird in den Berichten aus Schlesien, aus Karnthen, aus Oberösterreich
betont. In vielen Landschulen ertheilt die Frau, die Tochter des Lehrers gegen ein
kleines Honorar, oft (was am wenigsten zweckentsprechend ist) aus blosser Gefälligkeit
den Unterricht in den weiblichen Handarbeiten; in Karnthen, wo ahnliche Verhaltnisse
Platz greifen, wurde der Unterricht an einzelnen Schulen wieder sistirt, weil solche Leh-
rerinnen mit ihren Gatten oder Vatern übersiedelten und sich kein Ersatz für die bis-
herige Lehrkraft fand; in Oberösterreich haben alle Candidatinnen, welche sich bisher
dem Arbeitslehrerinnen-Examen bei der Linzer Prüfungs-Cotnmission für Volks- und
Bürgerschulen unterzogen, den technischen Theil der Prüfung mit befriedigendem, in
Haushaltungskunde - und noch mehr in Pädagogik - mit höchst ungenügendem Erfolge
bestanden.
Es ist keine Frage, dass vor Allem die Lehrerin den Zweck des Unterrichtes er-
reichbar machen, den Bestand einer Schule sichern kann. Für Stunden des Tages ist
eine Schaar von Kindern auf ihre Gesellschaft angewiesen; Geduld, Liebe zur Arbeit,
Ordnungssinn müssen sie von der Lehrerin erwerben, wenn sie dieselben nicht vom
Hause mitbringen. Der Natur vieler weiblicher Arbeiten nach bleibt der junge Geist nur
halbbeschaftigt, während die Hände Stich an Stich und Masche an Masche reihen. Für
diesen jungen, aufkeimenden, empfanglichen Geist sollte die Lehrerin Beschäftigung Wissen
durch Erzahlung, durch Beispiel anregend wirken und ihm namentlich nicht Musse zu
nutzlosem Gedankenaustausche lassen.
Die Frage der Besetzung einer Lehrstelle, wie sie die Arbeitslehrerinnen nament-
lich am Lande einnehmen, ist eine sehr schwierige, und wie viel Einfluss eine solche
Frau ubt, die lebrend und unterweiaend ihre kleine Madchengerneinde tagtäglich, iahraus
und iahrein um sich versammelt, haben seit Jahrhunderten schon die Lander bewiesen,
Fortsetrung auf der Beilage.