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zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts der Rückschlag gegen die
Reformation ein erneutes und erfrischtes Leben in der katholischen Kirche
hervorrief, ein Rückschlag, der auch auf die Kunst einwirkte.
Die Reformation in den nordalpinischen Ländern, welche dem classisch
gebildeten Heidenthum der Renaissance zur Seite ging, hatte das nicht
vermocht. Auf eine Reinigung der christlichen Lehre und des christlichen
Lebens ausgehend, war den Reformatoren, und zumal ihren Nachfolgern
in der Mitte und in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts,
das Dogma und die Predigt immer am höchsten gestanden. Der geistige
Gehalt des Christenthums hatte den Vorrang gehabt vor dem Seelischen
und Beschaulichen. Die Kunst war daher den Evangelischen nirgends
ein Herzensbedürfniss, und wenn und wo sie den überkommenen Bilder-
schmuck in den alten Kirchen heließen, da duldeten sie ihn doch mehr,
als dass sie ihn geliebt hätten. Sie gingen aber weiter noch. Ein Theil
der Evangelischen wenigstens, die Calvinisten, stellten sich der Kunst in
der Kirche feindlich gegenüber; sie verwiesen dieselbe nicht nur aus
ihrer eigenen Kirche bis zu völliger Nacktheit der Wände, wie ich schon
früher zu bemerken Gelegenheit hatte, sie veranlassten auch den neuen
Bildersturm in den Niederlanden, dern gerade die Bilder jener frühen
Meister, welchen die tiefste, ernsteste und aufrichtigste religiöse Empfin-
dung innewohnte, zum Opfer fielen. Man kann auch der Malerei selber,
wenn man sie auf deutschem oder niederländischem Boden durch das
sechzehnte Jahrhundert verfolgt, den Wandel auf's Deutlichste ansehen.
Noch das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts und der Anfang des fol-
genden ruft Gemälde hervor, die bei realistischer Formengebung und
materieller Ausführung des Details in der Kraft und Tiefe des seelischen
Ausdrucks und der frommen, schwärrnerischen Hingebung mit den Bildern
Fiesole's wetteifern. Wenige Jahrzehnte darnach holen sich die Maler
ihre idealisirten Formen aus Italien, werden aber um ebenso viel kälter
und leerer in dem geistigen und seelischen Gehalte. So ist alles, was in
der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts in den protestantischen
Ländern für die Kirche geschaffen wurde, und es ist, quantitativ be-
trachtet, nicht einmal viel, eher das Gegentheil. Nach dem Tode der
großen Meister, eines Dürer, Lucas Cranach, stand keiner auf, der auf
dem Gebiete der kirchlichen Kunst auch nur nennenswerth gewesen wäre-
Es war nicht dem neuen kirchlichen Leben, das die Reformation
brachte, sondern erst der Gegenreformation in der katholischen Kirche
vorbehalten, neuen Schwung in die kirchliche Malerei wieder hinein-
zubringen. Ohne Zweifel hat sie auch wieder religiös tief empfindende
Maler geschaffen, wobei zwar nicht an den größten von allen, an Rubens,
zu denken ist, wohl aber an die asketische Schule der Spanier mit ihren
aufgezehrten, verzückten Heiligen und den lichtumstrahlten Madonnen
Murillo's. Die Kirchen füllten sich neu mit Wand- und Deckengemälden,
begünstigt durch einen Wechsel in der Architektur, welcher neue Flächen