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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XVIII (1883 / 208)

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intime Leben der österreichischen Völker und deren Cultur bezieht, we- 
niger beachtet, obgleich gerade diese Partien für den Künstler nützlich sind. 
Vor dem Bewegungsjahre 1848 war die österreichische Geschichtsliteratur 
gebunden durch die damals herrschende Censur und durch die geringe 
Freiheit des Gedankens und der Presse, welche eine Grundbedingung jeder 
historischen Literatur ist. Es konnte sich daher in jener Zeit keine große 
Geschichtsliteratur entwickeln, da man das nicht ungescheut aussprechen 
durfte, was das Endziel jeder Geschichtsforschung sein muss, die Wahrheit. 
Auf dem beschränkten Raume, innerhalb dessen sich die damalige Ge- 
schichtsforschung bewegen durfte, hat selbstverständlich auch die Freiheit 
und Schönheit des Ausdruckes nichts gewonnen; dieser ist schwerfällig 
geworden, weil dem Flug des Gedankens das Bleigewicht der Censur 
angehängt war. Dass nach dem Jahre 1848 die Geschichtsforschung aller- 
dings vollständig freie Bahn bekommen hat, insbesondere, wenn es sich 
um die streng wissenschaftliche Forschung handelt, kann Niemand leugnen, 
ebensowenig, dass es gegenwärtig viele Gelehrte in Oesterreich gibt, 
welche die großen Ziele der wissenschaftlichen Geschichtsforschung beherr- 
schen. Aber deren Arbeiten bewegen sich vor Allem auf dem Gebiete der 
strengen Wissenschaft und sind daher weniger geeignet, in Künstlerkreise 
einzudringen. 
Neben dieser neu erwachenden Geschichtsliteratur, von welcher die 
Künstler allerdings zu wenig Notiz nehmen, macht sich in der österrei- 
chischen populären Geschichtsliteratur eine seichte, oberflächliche Dar- 
stellungsweise bemerkbar, welche nicht populär im vollen Sinne genannt 
werden kann, und darum auch nur in geringem Maße Verbreitung gefunden 
hat. Keinem aufmerksamen Beobachter sowohl der gelehrten als der po- 
pulären Geschichtsliteratur, besonders der Magyaren, Polen und Slaven, 
kann der Umstand entgehen, dass jetzt mit unverkennbarer Vorliebe jene 
historischen Erinnerungen behandelt werden, welche die Selbständigkeit 
der einzelnen österreichischen Völker und jene Zeit zum Gegenstande 
haben, wo diese Länder noch nicht in den österreichischen Staatsverhand 
eingetreten waren. Es liegt dies wohl zweifellos in der Natur des mo- 
dernen Nationalitätsgedankens, welcher das bewegende und treibende Ele- 
ment der Geister geworden, das an den Thoren der Staaten pocht und 
an ihren Fundamenten rüttelt. Jede Nation sucht bei uns ihre staatenbil- 
dende Kraft hervorzukehren und wiegt sich in Ideen von Nationalstaaten, 
die abseits vorn österreichischen Staatsgedanken liegen. Diese Richtung der 
Geschichtsliteratur, die also gewissermaßen die Staaten der Zukunft vor- 
bereiten sull, geht Hand in Hand mit jenen historischen Darstellungen 
der Künstler, welche die Vergangenheit der einzelnen österreichischen 
Völker mit einer Gloriole umgeben, und auf diese Weise die Bestre- 
bungen der modernen Geschichtsliteratur unterstützen. Diese Umstände 
fordern uns auf, das Wechselverhältniss der Geschichte und Malerei zu 
dem österreichischen Staatsleben zu prüfen. 
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