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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VI (1891 / 5)

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psychologische Seite des künstlerischen Schalfens nicht berücksichtigen wollte. Beide 
Facher gehen also bei aller Gegensatzlichkeit an einer Seite in einander über. 
In Bezug auf die Sehthatigkeit des Kunsthistorikers betonte der Vortragende, dass 
sie besonders auf dem Gebiete der Fälschungen sehr in Anspruch genommen werde, da 
ja das Falschen von Kunstwerken zum Mindesten bis in die römische Kaiserzeit zurück- 
reiche. In vielen Füllen seien schone Ergebnisse der Forschung auf dem Gebiete der 
Enthüllung von Fälschungen zu verzeichnen, indess auch manche Misserfolge, wie die 
Geschichte mit der sog. Barbara Blamberger aus der Gsell'schen Sammlung, wie die 
von der Benivienibüste des Giovanni Bastianini und viele andere beweisen. Die Rück- 
schlüsse von dem thatsachlich Gesehenen auf die Entstehungszeit seien hier nicht mit 
der nöthigen Aufmerksamkeit und Vorsicht gezogen worden. Hieran knüpfte der Vor- 
tragende einen Fall, bei welchem der Vorgang des Sehens selbst (absichtlich oder unab- 
sichtlich) gefilscht oder beeinflusst wurde. Der Fall betriEz die Verweisung der angeb- 
lichen Signatur Raphaels auf einem Madonnenbilde, das man vor einigen Jahren in Wien, 
wie in anderen Städten zur Schau stellte. Das Nachfahren der, aus Zufälligkeiten bestehenden 
angeblichen Signatur mit einem hellen Zahnstocher, das der Entrepreneur beliebte, muss 
für Laien, welche ursprünglich die Signatur nicht lesen konnten, jedenfalls täuschend 
gewesen sein, da ja ihrer sehr viele die Echtheit des Bildes auf Grund der sog. Signatur 
bescheinigt haben. 
Auch gewisse gemeinsame Zuge irn Sehen des Aesthetikers und in dem des Kunst- 
historikers seien nicht zu verkennen. Beide seien gewöhnlich bemüht, überhaupt so 
deutlich als moglich zu sehen und sich dazu die günstigsten Bedingungen zu verschaffen. 
Andeutungen über die Aufstellung von Kunstwerken in Museen und Wohnungen wurden 
gegeben, wobei die geringen Vortheile und großen Nachtheile der Spiegelglaser vor guten, 
Iarbenkraftigen Oelbildern an der Hand physikalischer und physiologischer Thatsachen 
klar werden mussten. Besonders auf die ungünstigen Bedingungen beim Studium der 
Sixtina in Dresden wurde hingewiesen. (Das Glas reßectirt das rothe Licht der Wände. 
Dieses macht die Netzhaut für die entsprechenden rothen Tone unempfindlich und 
lasst dadurch das berühmte Kunstwerk in zu kühlem Lichte erscheinen.) Bei Pastell- 
gemalden und hellen Aquarellmalereien hatte das Spiegelglas eine gewisse Berechti ung. 
Bezüglich anderer Bedingungen zum deutlichen Sehen weist Frimmel auch darau hin, 
dass in vielen Galerien die Bilderwande unbedingt zu hoch seien z. B. auch in der Salle 
carree des Louvre. Aus solchen Beispielen von ungünstiger Aufstellung, deren Mangel 
durchaus nicht allgemein bekannt sind, wurde nun die Wichtigkeit abgeleitet, die für 
Kunstgelehrte, Sammler und praktische Kenner in der Erwerbung von Kenntnissen über 
Physik besonders über Optik und über die Physiologie des Sehens liege. Für das Sehen 
in der Kunstwissenschaft seien außerdem Erfahrungen über technische Fragen ganz 
unerlässlich. Ueberdies müsse der Kunstgelehrte mit den historischen Hilfswissenschaften, 
insbesondere mit Palaeographie und Epigraphik die nothige Fühlung bewahren. Hieran 
knüpfe sich die Stilkritik, die uns die bezeichnenden Merkmale der Kunst einzelner 
Nationen, Zeiten, Schulen, Künstler, erkennen lehrt. Endlich treten noch ästhetische 
Betrachtungen dazu, um das zu bilden, was man das Sehen in der Kunstwissenschaft 
nennt. Es sei dies in der strengen Form, die hier vorgezeichnet worden, ein Ideal, also 
unerreichbar. Indess führen Uebung und Schulung zu brauchbaren Ergebnissen, so dass 
man an der Sache nicht verzweifeln dürfe. 
- Am 5. Marz hielt Dr. Karl Masner einen Vortrag über sDie Grabsculptur der 
Gegenwartr, welchen wir den-machst vollinhaltlich zum Abdruck bringen. 
- Am ta. März sprach Dr. Josef Strzygowski nUeber armenische Kunstr. Der 
Ararat, zu allen Zeiten das imposante Wahrzeichen Armeniens, bildet den Markstein der 
Grenzen von Russland, der Türkei und Persien. Durch Semiramis soll dort assyriache 
Cultur Eingang gefunden haben. Ihr von Moses von Chorene beschriebener Sommer- 
.palast stand auf dem sagenumwobenen Wan Kalessi, einem Felsrücken mit Steinfunda- 
menten, Grotten, Kellern, Treppen und zahlreichen Keilinschriften. Artasches bringt 
dann von einem Heereszuge gegen Krosus die griechischen Götter mit, welche die Namen 
der armenischen Heldensage annehmen. Vereinzelt aufgefundene Statuenreste und der 
von Thiri ates erbaute Palast zu Garni, dessen ionische Fapade heute noch in Trümmern 
erhalten i , bezeugen das Eindringen griechisch-römischer Kunstformen. 
Gregor Lusaworitsch und Thiridates verachaGen dem Christenthun-i allgemeine 
Anerkennung. Zuerst unter syrischem, dann unter byzantinischem Einllusse entwickelt sich 
in Armenien eine christliche Kunst, die in zwei Richtungen ein nationales Gepräge ange- 
nommen hat: in der Architektur und in der Buchornamentilt. Die Kirchen haben centralen 
Grundriss, aind in Tuifquadern ausgeführt und zeigen in Einzelheiten so starke An- 
kllnge an abendländische Bauformen des Mittelalters, das: von, mehreren Forschern ein 
Zusammenhang beider Kunstgebiete angenommen wurde. Die reichsten Beispiele
	        
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