„STADT DER MÖBEL" ALS MAZEN
DER AVANT-GARDE MALEREI
Von ARNULF NEUWIRTII
Wohin steuert die Malerei um die Mitte dieses Jahrhunderts?
Bleibt der llaupteinsalz der Kräfte weiter im (iebiete der Ab-
straktion, wenn ja, welche Richtung abstrakter Malerei zeichnet
sich als bestimmend für den Stil der Gegenwart ab? Diese oft
gestellte Frage im Sinne eines Gallup-Institutes zu erforschen,
bemüht sich die italienische Industriestadt Lissonc, zwanzig Kilo-
meter von Mailand entfernt. Lissone ist das Zentrum der italie-
nischen Möbelindustrie und in Italien, wie erst recht im Auslande
durch seinv: internationale Privatbiennale moderner Malerei be-
kannt, die nach einem auf lange Sicht ausgearbeiteten Plan ihres
Beraters in Kunstdingrn, Guido Le Nori, nun schon zum zehnten
Male durchgeführt wird.
Ein Preis von einer Million Lire und sieben weitere Preise zu je
100.000 Lire wurden Anfang Oktober an acht Maler vergeben,
die mit 200 anderen an der „X. Internationalen Lissonc-Kankur-
renz 1957" teilnahmen. Die Auswahl der preisgekrönten Werke
traf ein Kollegium von Kunstkritikern mehrerer europäischer
Länder, das unter dem Vorsitz des Basler Museumsdirektors
Georg Schmidt in einem sehr sorgfältig durchgeführten Elimi-
nationsverfahren die eingereichten Malereien zu sichten hatte,
um schließlich den Preis für die Altersklasse der Künstler über
vierzig Jahren in der Höhe von einer Million Lire und 11H die
sieben jüngeren Künstler die Hunderttausendpreise zu verteilen.
Der Jury gehörten folgende Kritiker an: W. Sitndberg (Holland),
Pierre Janlct (Belgien), Umberto Apollonio, Guido Ballo, Giu-
seppe Marchiori, Franco Russoli (Italien), Piere Rouve (England).
Herta Weseher, Pierre Restany (Frankreich), Otto Mauer und
Arnulf Ncuwirth (Österreich).
Im Gegensatz zur IX. Lissonekonkurrenz des Jahres 1955, an der
sich Künstler der figurativen Richtung wie Auherjonois, Delvaux,
Migneco, liiume, Gentilini und Volpi beteiligten, haben diesmal,
mit ganz wenigen Ausnahmen nur Partisanen der ungegenständ-
liehen Malerei eingesandt. Außer Konkurrenz stellt Dubuffet
eine so weitgehend in der Form aufgelöste Gestalt in graubraunen
lirdfarben aus, daß sie in dem Meer abstrakter Bilder kaum stili-
stisch, wohl aber durch ihre hervorragende malerische Qualität
auffällt. Nur Österreich präsentiert einige Figurative, wenn auch
in der Minorität, wie die Liste seiner Lissone-Kandidaten zeigt:
Gustav K. Beck, Hans Bischoffshausen, Gottfried Fabian, Johann
ljruhmann, Gottfried Goebel, Wolfgang Hollegha, Wolfgang
Hutter, Fritz Hundertwasser, Anton Lehmden, Josef Mikl, Mar-
kus Prachensky, Arnulf Rainer, Robert Schmitt, Carl Unger.
Von den genannten Malern kamen fünf in die engere Auswahl.
Heck und Fabian in der Klasse der Maler über Vierzig. Hundert-
wasser, Bischoffshausen und Prachensky unter den jüngeren. Der
sehr scharfen und bedeutenden Konkurrenz, vor allem der
„Schule von Paris" und der stürmisch revolutionären Maler Ita-
liens gegenübergestellt, konnten sie leider keine Prämie erzielen.
Vor zweihundert der in Lissone gegenwärtig ausgestellten Wer-
ken läßt sicl: deutlich eine grundlegende Wandlung innerhalb der
abstrakten Malerei feststellen. Die „geometrisehtf Richtung im
Sinne der „StijF-Gruppe, eines Mondrian und Van Doesburg, der
Bauhaus-Künstler wie Moholy-Nagy, Albers, oder der Pariser
Schule (Herbin, Vasarely) ist diesmal in verschwindcnder Nlinori-
tüt, auff; ig nur durch den belgischen Veteranen Victor Serv-
rancks, dir Schweizer Mattmüller und von Mühlenen vertreten.
Sichtlich drängt die Entwicklung der Malerei zur expressionisti-
schen Abstraktion, zur energiegcballten Tumultmalerei, zu den
verschiedenen Formen des blinden und lyrischen Tachismus,
zum reliefartigen Aufbau der Farbpaste. Die stärksten Werke der
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AUS DER 538. KLINSTALJICLION DIES WIENER DUROTIIEL
28. BIS 30. NOVEMBER UND 2. DEZEMI
Carlo Carlonc (Scaria 1686-1775)
lintwurf für ein Deckengemitltle, Öl auf Leinwand, 9-! K 109 cm.
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Rudolf v. All (Wien ISiZ- 1905).
Interieur aus der Peterskirche in Rom, signiert R. Alt. Aquarell,
35 s; 26 cm.
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