KÜNSTLERHAUS:
rige Frühjahrsausstcllung der Gesellschaft bildender Künst-
ler Wiem im Künstlerhaus verdient insoferne ein ganz besonderes In-
teresse, als die Veranstalter in dankenswerter Weise eine Sondcrschau
„50 ]nl1re venezianische Illalrrei" eingebaut haben, die überreich an
äußerst sehenswerten und interessanten Werken war. Mit Besehämung
müssen wir uns angesichts so mancher ganz erstklassiger Leistung ein-
gestehen, wie wenig geläufig uns doch das Kunstschaffen der Lagunen-
stadt eigentlich ist - nur einer geringen Anzahl von Kennern wird
etwa der Namen Pio Semcghini vertraut sein. Dabei handelt es sich
bei diesem Nestor der Ausstellung (1878) um einen Impressionisten,
dessen Leistung wohl kaum viel geringer bewertet zu werden braucht
als die seiner französischen Vorgänger. Seine Bilder sind von duftiger,
zarter Struktur, reinste Hingabe an das Glück des Licht-Erlebnisses,
damit also beste, vornehmste venezianische Tradition. Fortsetzer, Ver-
tiefer seines Werkes ist Filippo de Pisis, ein italienischer Kokoschka,
der seinen Pinsel mit unvergleichlicher Verve über die Malfliiche tanzen
läßt, ihn gleichsam als Zeiger eines Seelen- und Erlebnisbarometers
einsetzend. Was bei Kokoschka noch nordisch-brutal und über-direkt
anmuten mag, wurde bei de Pisis von romanischem Formwillen geban-
digt, aber nicht unterdrückt. Einer der viel zu wenig gewürdigten Ur-
väter der modernen Kunst ist Gino Rossi (1884-1937), ein echter
analytischer Kubist durchaus eigenständiger, kraftvoller Prägung.
Dieser Gruppe älterer Künstler stehen die Jüngeren gegenüber, von de-
nen wir Giuseppc Santomaso (1907), Gino Morandi (1915), Emiliu
Vedova (1919), Giuseppe Zigaina (1924), Albino Lucatello (1927) und
Albert) Gianquinto (1929) besonders hervorheben wollen. Leidenschaft-
liches, aufwühlcndcs Farben-Erlebnis kennzeichnet die Kunst Santoma-
sos; figurativc Elemente sind weitgehend überwunden, abgestreift, dcm
Kolorit kommt Symbolwert zu. In vielleicht noch stärkerem Maß gilt
dies von Gino Morandi, der ganz ins Visionäre verstößt, während Ve-
dovas bewegte, lebensdurchpulste Abstraktion in ihrer Dynamik wohl
am ehesten aus einer tiefen Auseinandersetzung mit futuristischen An-
regungen zu verstehen sind. Giuseppe Zigaina nähert sich expressionis-
tischen Werten an und zeigt, was der sogenannte „sozialistische Realis-
mus" in der bildenden Kunst sein könnte, wenn... Lucatello hinwie-
derum wühlt geradezu in der Farbe, seine hochpastosen Bilder gleichen
chen erstarrter, vielfürbiger Meeresbrandung, man vermeint, sie tosen
und dröhnen zu hören; Ginanquinto, ein Autodidakt, hat Elemente
volkstümlichen Schaffens zu höchster Formenkultur gesteigert.
SECESSION:
PAUL MEISSNER: WELT NACH DEM TAGE NULL.
Selten nur gibt es Ausstellungen, die so packend, ergreifend wirkten wie
diese in der Wiener Secession. Der erste Eindruck, der sich ganz spontan
und unmittelbar - unabweisbar aufdrängte: Hier war einer am Werk,
dem es gelungen ist, dem Bilde von Sais, den Schleier herabzureißen -
aber was sich zeigte, war grauenhaft, unüberbietbar schrecklich. Ver-
wesung, Versteincrung, Skelettierung, Schlacken, Schlamm, alles grau
in Grau - Welt nach dem Chiliasmus eines dritten Universalkrieges.
Die Bildtitel bekräftigen das spontane Erleben: immer wieder dominiert
das Thema „Hiroshima", totale Vernichtung ist Trumpf. Was bleibt,
ist, um einen anderen Bildtitel zu zitieren, „Reduktion einer Figur",
oder auch „zerbrechende Form". Und ähnliche Titel könnte man auch
über all die anderen Schöpfungen setzen, die durchwegs Ausgeburten
einer tiefen, bedrohlich echten Welt - und Zukunftsangst sind.
Und so scheint sich uns Meissner in die nicht sehr stattliche Zahl jener
Künstler einzureihen, bei denen die Frage nach bloß formalen Quali-
täten sinnlos, ja frivol ist: hier spricht einer zu uns, der Träger und
Künder einer Botschaft ist, gleichsam ein Emissär letzter, kommender
Finsternisse. Heute gibt es kaum noch Kunst, die einen in die Knie
zwingen und die Hände zum Gebet zusammenführen könnte; Meissner
ist diese Kraft gegeben, ihm, dem Künstler der totalen Angst .
KURT GOEBEL: KUNST NACH DEM TAGE NULL.
Wie abe" müßtc die Kunst aussehen, wenn nach dem jüngsten Gericht
noch Leben und Kraft bliebe, die Hypostasierung des Da-Seins ins for-
mal Geläuterte zu fordern und zu schaffen? Eine denkbare Möglichkeit
scheint uns in den „Raumgraphiken" von Kurt Goebel angedeutet -
sie sind, bezeichnend genug, im kalkweißen Keller der Secession ausge-
stellt und selbst mit Kalk verkrustet; sehr sinnvollerweise hat man fast
in allen Fällen darauf verzichtet, diese eigenartigen Bildungen vor
schwarze Hintergründe zu setzen. Der Gesamteindruck ruft Erinnerun-
gen an Alraunen, an wirre Gebilde des Zufalls (Drahtverfilzungen etwa)
oder Pcnicillinbärte hervor. Auf jeden Fall steht Goebcls Schaffen ganz
unter dem Zeichen des Nächtlich-Lunaren, Tellurischen, Todesseitigen.
Daß die Arbeiten im Wesentlichen spielerisch gemeint sind und sich auf
der Ebent- des Bewußten im Bereich des künstlerischen Form-Experi-
ments bewegen, erhöht ihre erschreckende, menetekelhafte Abscitigkcit
nur. Formal lassen sich Goebels Schöpfungen noch am ehesten mit der
Kunst der „Suprematisten" der Zwanzigerjahre (Malewitsch und Genos-
sen) ableiten. Aber ein vergleichender Blick genügt, um zu zeigen,
welch schreckhaftcr Ernst aus provokantem Spiel geworden ist...
OSKAR MATULLA: DAS LEBEN GEHT WEITER.
Trotz Meissner und Goebel ist die Bilanz der Mai-Ausstellung in der
Secession (qualitativ eine der hochwertigsten) im Fazit des Inhaltlich-
Bedeutungshaften nicht negativ; Oskar Matulla, ein Meister von her-
vorragender Farbbegabung, ein Könner von Rang gehört zur großen
Gruppe jener (durchaus zu bejahender) „Formalisten", die stets vom
Naturvorbiltl ausgehen, dieses aber in geistvollem Gcgcnspiel von Ana-
lyse und Synthese ins Flächenhaft-Ornamentale und ästhetisch Eigen-
ständige umsetzen. Väter dieser Methode waren Picasso und Braque,
unzählige Spätere gingen gleiche Wege; es ist durchaus statthaft, hier
von einer Art Esperanto zu sprechen. Charakter und Talent des Ein-
zelkünstlers alleine vermögen von den Gefahren einer solchen „Espe-
rantisicrung" zu schützen. Nun, Matulla steht durchaus auf der Licht-
scite des Lebens, er spielt mit Formen und Farben wie ein Musiknnt
mit Klängen und Akkorden. Großartig gekonnt sind seine Arbeiten,
vor allem die Farblithos, ein todsicherer Geschmack bewahrt vor dem
Abgleiten ins Extreme und Banale; die Palette hängt weitgehend von
Boeckl'schcn Vorbildern ab, der durchaus österreichische Grundton der
Arbeiten Matullas ist also gegeben, sein Esperanto hat unverkennbar
Wiener Akzent. Das Fazit: Wie schön, daß es immer noch Inseln des
Fricdcns gibt, ferne dem Zugriffder Lemuren . .. E. K.
ALBERTINA:
Zu den Festwochcn legt die Albertina in einer fast 250 Katalognummcrn
umfassenden Ausstellung von ihren Neuerwerbungen alter Meister vom
14. bis zum 19. Jahrhundert Rechenschaft ab. Es ist eine schöne Aus-
stellung, die dartut, daß es seit 1950, also in den letzten acht Jahren
trotz einer veränderten Marktlage dem Direktor der Albertina, Prof.
Dr. Otto Bcncsch, gelungen ist, mit verhältnismäßig bescheidenen Mit-
teln eine ganze Reihe vorzüglicher Blätter zu erwerben.
Schon dic österreichischen Arbeiten aus der Mitte des 1-1. Jahrhunderts
beweisen das. Als besondere Gewinne aus dem Bereich der alten Kunst
aber haben eine Fedcr-inTusche-Zeichnung von Hans Holbein d. J.,
zwei ein Wappenschild haltende Engel mit männlichen Köpfen vor
einer Renaissance-Architektur, und zwei Rembrandt-Zeichnungen zu
gelten. Die Albertina besaß bisher noch keinen Holbein, sodaß der
Erwerb dieses Blattes, das aus London stammt, eine Lücke ausfüllt.
Auch eine: der beiden Rembrandtzeichnungen, ein Schauspieler, der
gerade die Bühne betritt, kommt aus englischem Privatbesitz.
Einen starken Anteil an den Neuerwerbungen hat das 19. Jahrhundert
mit vor allem vielen österreichischen Blättern von Carl Schindlerf,
Anton Romako und mehr als dreißig Aquarellen von Rudolf von Alt,
die allein schon die Ausstellung sehenswürdig machen. Auch zahl-
reiche Miniaturen - die Albertina hat die Miniaturensammlung erst
1938 aufgenommen -, darunter prächtige Arbeiten von Friedrich Hein-
rich Füger, und eine Reihe guter illustrierter Bücher, mit deren Samm-
lung erst Dr. Benesch selbst begann, runden das Bild einer Schau ab,
die wahrhaft festlichen Charakter hat.
jl.