DIE GLASHÜTTEN ZU HALL UND INNSBRUCK
IM 16. JAHRHUNDERT
Von ERICH EGG
Mit Kaiser Maximilian I. hatte um 1500 die Renaissance ihren
Einzug in Tirol und Süddeutschland gehalten. Zu ihren Neue-
rungen gehörte eine anspruchsvollere Lebenshaltung bei Hof,
Adel und Bürgerschaft und nicht zuletzt eine Ausweitung von
Festen und Trinkgelagen. Neben den metallenen Becher und das
einfache deutsche Noppenglas traten immer mehr die vielfälti-
gen Formen der Glashütten von Murano. Der rege Handelsver-
kehr zwischen Venedig und Süddeutschland, der über die Tiro-
ler Pässc ging, brachte im Zusammenhang mit einer neuen Welt-
offenheit und einem höheren, von den italienischen Stadtkulturen
bceinflußten Lebensstandard seit 1500 das venezianische „weiße
Glas" nach dem Norden. Die begehrte Farblosigkeit der vene-
zianischen Gläser war von der an den Meercskiisten gewonnenen
Natronasche bedingt, während die aus Buchen gewonnene Kali-
asche der deutschen Binnenländer den Gläsern eine grünliche,
weniger durchsichtige Farbe verlieh. Man schätzte vorerst nicht
so sehr die vielfältigen Formen der Glashütten von Murano als
die Farblosigkeit der Gläser. Welche Freude man an diesen ve-
nezianischen Gläsern hatte, bezeugen die zahlreichen Darstel-
lungen farbloser Gläser auf den Bildnissen der deutschen Maler
der Dürerzeit, vor allem bei Jörg Pencz und Sebald Beham. So
wurden trotz der strengen Auswanderungsverbote in Murano
im österreichischen Raum Versuche unternommen, Glashütten
für „weißes vcnedigisches" Glas aufzubauen. Schon vor 1526
erstand in Wien eine Glashütte des Nicolaus Piti, die in letzte-
rem jahr in deutsche Hände überging und ebenso in Laibach
eine von süddeutschen Glasherren betriebene Glashüttc. Das
Interesse der Augsburger an solchen Hüttengründungen ist ver-
ständlich, da diese Stadt in der Verarbeitung der italienischen
Einflüsse zu einer deutschen Renaissance eine führende Stellung
innebatte und anderseits die großen Augsburger l-Iandelsfirmen
zur Repräsentation der prächtigen Gläser bedurften.
I. Die llaller Glushütte unter Wolfgang Vitl
(1534-1540).
S0 wurde auch ein Augsburger Bergunternehmer Wolfgang Vitl
der Gründer der Glash ütte zu Hall im Inntal. 1534 ver-
lieh ihm König Ferdinand I. das Privileg, eine Glashütte mit
einem Ofen für weiße Gläser zu errichten. Zugleich wurde die
damals durch die zahlreichen Schmelzhütten schwierige Holz-
zuteilung geregelt und auf 20 Jahre die Errichtung einer an-
deren Glashütte für das Inntal untersagt. Der Bezug der Natron-
asche (Soda) aus dem Mittelmccrgebict war wegen der veneziani-
schen Verbote sehr schwierig, weshalb Vitl 1536 ein zweites Pri-
vileg zum Anpflanzen von Kräutern für die Erzeugung von Na-
tronasehe auf 15 jahre erhielt. Erfolg hatte dieser Versuch in
dem für Seepflanzen wenig geeigneten Tiroler Klima nicht. In
diesem Privileg wird aber bereits festgestellt, daß Vitls Glas-
hütte Gläser nach venezizinischem Muster aus eigener Erfindung
und mit großen Kosten zum gemeinen Nutzen und besonderen
Ruhm der deutschen Lande herstelle. Das Gebäude der Glas-
hütte hatte Vitl bereits 1533 auf der Haller Schiffslcnde erbaut
und den jährlichen Bezug von 30 Meilern Natronasche aus Ve-
nedig konnte er schließlich mit Hilfe des kaiserlichen Bot-
schafters in Venedig sicherstellen. Seine Glasmacher waren
Italiener, wahrscheinlich in der Mehrzahl aus der Genossen-
schaft von Altare (bei Savona), da die Auswanderung aus Murano
unter schwerste Strafen gestellt war. Die hohen Kosten des Auf-
baues der Glashütte und die schwierige Eroberung eines neuen
Absatzgebietes stürzten Vitl in schwere Schulden. Nur sein Tod
1540 bewahrte ihn vor dem totalen Zusammenbruch.
Über die Gläser dieser ersten Tätigkeit der Haller Glashütte
lassen sieh nur Vermutungen anstellen. Mit einiger Wahrschein-
lichkeit ist nur der Trichterpokal mit dem Wappen des Salz-
burger Erzbischofs Matthäus Lang (gestorben 1540), als einziges
erhaltenes Werk der Vitlschen Hütte anzusprechen (Österr. Mu-
seum für angewandte Kunst, Wien). Außer dem mit Ölfarbe
kalt gemalten Wappen hat er an der Cuppa reichen Rankende-
kor in Gold. Die schöne Garnitur (Kanne, Vase und Teller) des
Administrators von Passau, Herzog Ernst von Bayern, von 1536
im Bayrischen Nationalmuseum dürfte eher eine Arbeit von
Murano sein, da der Haller Glashütte im dritten jahr ihres
Bestehens ein derartiges Kunstwerk kaum zugetraut werden
kann.
II. Die Haller (llaxhüttn unter Sebartian Höchxtetler
(1541-1569).
1541 übernahm Vitls Hauptgläubiger, der Augsburger Sebastian
Höchstetter, Faktor der großen Augsburger Bergwerks- und
Handwerksgesellschaft Hörwart, die stillstehende Haller Glas-
hütte. ' ' '
Nach anfänglichen Schwierigkeiten führte er sie um 1550 zu
hoher Blüte, vergrößerte das Gebäude zu seinem heute noch er-
haltenen ansitzartigem Bestand und erhielt 1551 den Adelsstand
mit dem Prädikat „von Seheibenegg". Im Adelsprivileg wird er-
wähnt, daß er in Scheibenegg (wie die Glashütte jetzt hieß)
das „künstlich und zierlich werckh des venedigischen Glasma-
chens aufgerichtet" habe. Der Betrieb arbeitete jetzt mit zwei
Öfen, bezog zum Entfärben der Glasmasse „Mangeneß" aus Kuf-
stein und „Saffrafarb" von Nürnberg, den Kristallquarz aus dem
Valstal nahe dem Brenner, den "l'on für Ofen und Tiegel von
Fürstberg (Fürsteneck bei Passau?) die Natronasche meist über
Genua aus Spanien. Höchstetters Glasscheiben (jährlich zwei bis
drei Millionen Butzenschciben) und seine Trinkgläser setzen sich
gegen die scharfe Konkurrenz Venedigs durch, auch die Regie-
rung stellt 1561 fest, daß das Haller Glas sich mit dem venedigi-
sehen an Schönheit messen könne. Mit Unterstützung der Re-
gierung werden auch die Versuche von italienischen Glasma-
chern, in Bozen 1556 und 1566 eine Glashütte als Konkurrenz
zu errichten, abgewiesen, (h man befürchtete, dafl „unruhige
Leute und Banditen" ins Land gezogen würden.
Das Ansehen Höchstetters bezeugen die Besuche des Kurfürsten
johann Friedrich von Sachsen 1552 und Erzherzog Ferdinand II.