IN UNSERER FORTLAUFENDEN ARTIKELSERIE
„ÖSTERREICHISCHE KUNST DLiS 18. UND 19. JAHR-
HUNDEIUFS" VEROFFENTLICIIEN WlR DEN 10. AUFSATZ
w. J. MÄHLERS
BEETHOVENBILDNISSE
UND SEINE PORTRÄTE
ANDERER
PERSONLICHKEITEN
FRANZ GLÜCK
Das erfreuliche Ereignis, daß es dem Historischen Mu-
scum der Stadt Wien im Jahre 1960 gelungen ist, das
fast lcbensgroße, 1804 oder 1805 entstandene Bildnis
Beethovens von W. J. Mähler zu erwerben und so Oster-
reich und Wien zu erhalten (Österreichische Musikzeit-
schrift, 16. Jahrgang, Heft 3, 1961), war für mich der
Anlaß zur Beschäftigung mit dem Schöpfer dieses seit
langem bekannten Porträts, das in Beethovens Wohnung
hing, als er starb, und das sich bis in unsere Tage bei
einem Zweige seiner Familie forterbtc. Nicht nur die
Qualität dieses Bildes selbst, die durch seine Wieder-
herstellung in der Restaurierwerkstiitte des Historischen
Museums der Stadt Wien noch deutlicher zutage trat,
sondern auch der Umstand, daß noch drei weitere, etwa
ein Jahrzehnt später entstandene Portrate Beethovens
von demselben Maler vorhanden waren, mußten es nahe-
lcgen, dessen übrige Arbeiten, soweit sie sich auffinden
ließen, zusammenzustellen, um sich von einem Porträ-
tisten ein klares Bild zu machen, von dem nur überall zu
lesen war, daß er ein Dilettant gewesen sei. Es ist nicht
allzuviel, was wir von ihm wissen, über sein privates
Dasein ist so gut wie nichts bekannt. Immerhin konnten
wenigstens sehr verstreute Zeugnisse zusammengefaßt
und all das übersichtlich vereinigt werden, was von sei-
nen Arbeiten und über seine 'l'."itigkeit sich feststellen
ließ.
Willibrord Josef Mählcr war Rheinländer wie Beethoven.
Er ist 1778 in Ehrenbreitstein bei Koblenz geboren und
nach einem langen Beamtenleben am 20. Juni 1860 zwei-
undachtzigjährig in Wien gestorben. Etwa 1803 war er
hierhcrgekommen, ebenso wie in dieser Zeit um 1800
viele andere Rheinländer. Er lernte Beethoven sehr bald
durch dcssen Bonner Jugendfreund Steffen von Breuning
kennen. Miihler rnuß sehr musikalisch gewesen sein, er
wird von Böckh (Merkwürdigkeiten der llaupt- und Resi-
denzstadt Wien, 1822) als „Dilettant im Singen" be-
zeichnet, und wir wissen, daß ihn Beethoven zu manchen
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seiner Konzerte eingeladen hat. Es ist ja auch bezeich-
nend, daß er gerade eine „Tonkünstler-Galerie" gemalt
hat, wie uns bezeugt wird. Nach einer Mitteilung von
Beethovens Biographen Alexander Wheelock Thayer, hat
er auch „ganz ancrkennenswerte Verse" gemacht. Vor
allem aber war er ein Maler. Lir wird zwar als solcher
auch als Dilettant bezeichnet, das geht aber nur auf den
Umstand zurück, dall er trotz einem drei Jahre währen-
den Studium bei dem berühmtesten deutschen Portra-
tisten der Zeit, Anton Graff, in Dresden und trotz der
Fortsetzung des Studiums an der Wiener Akademie (ohne
dort eingeschrieben zu sein), nie ein Zünftiger wurde.
Denn „dilettantisch" im heutigen Sinn des Wortes sind
fast alle seine Arbeiten nicht. lir beweist durchwegs ein
tüchtiges Können in der Malerei, nur gelegentlich ist ihm
eine gewisse Ungeübtheit anzumerken. Für das lichte
seiner Begabung und seiner Natur spricht es, dail er gc-
rade dort, wo er einen bedeutenden Menschen vor sich
hatte, den Ausdruck besser zu erlassen wußte. Sein Beet-
hoven-Porträt von 1804105 ist auch sein bedeutendstes
Werk überhaupt. Hier ist die Persönlichkeit kraftvoll
aufgcfaflt, mit einem verhaltenen Pathos und ohne Über-
steigerung. Es war, soweit man das von einem Leben wie
dem Beethovens, das sich in einem unerschöpflichen-
Schaffensdrang verzehrtc, überhaupt sagen kann, ein
Höhepunkt in Beethovens Dasein, in dem dieses Bildnis
gemalt wurde: die großen Klavierwerke, liidelio, die
liroica waren entstanden, und noch waren die Schatten
des Kampfes mit dem physischen Verfall nicht weit über
dicses schöpferische Dasein gefallen. So ist auch Beet-
hoven als lebensvollcr Mensch, in der Blüte des Mannes-
alters, vor einer zeitüblichen Landschaft und mit den
Symbolen des musikalischen Menschen - Apollotempel
und Lyra - dargestellt: begeistert, mit lebendig beweg-
ten Zügen, sprechenden Augen, die rechte Hand erhoben,
„als wenn er in einem Momente musikalischer Begei-
sterung den Takt scblüge", wie der alte Mähler 1860
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