Der Frage der Kunstgeographie
hat die XViener Forschung im-
mer wieder ihre Aufmerksam-
keit zugewandt. Dokumentatio-
nen, auf die man sich hiebei
stützen kann, müssen in erster
Linie in den Werken der Klein-
kunst gesucht werden. Handels-
wege und Wallfahrtsstraßen sind
zum Ausgangspunkte solcher Be-
trachtungen gemacht worden.
Ihnen sind die Bestände der
Kirchenschätze anzuschließen,
welche die verschiedensten Rück-
schlüsse in kunstgeographischer
Hinsicht ermöglichen können.
Aus diesen Beständen ist nun
bereits die Trennungslinie in der
mittelalterlichen Kunst ersicht-
lich, daß nämlich im allgemeinen
nur Kunstwerke kleineren Aus-
maßes für kunstgeographische
Untersuchungen in Betracht
kommen. Die internationale
Verflechtung sei hier an einer
Gruppe von Elfenbeinen kurz
skizziert.
Die zwei wesentlichsten Werke
über diese Elfenbeine, von Fer-
randis und Cott, die als Corpus
zu betrachten sind, lassen in
ihrem aufgezählten Bestand
einige Werke vermissen, die hier
kurz nachgetragen seien.
Die Elfenbeinarbeiten umfassen
rechteckige Kästchen, zylindri-
sche Dosen und Krummstäbe.
Der ursprüngliche Verwendungs-
zweck der Behälter war für
Schmuck gedacht. Später hat man
sie dann als Reliquiare benützt.
Die Elfenbeinplatten der Käst-
chen sind auf einen Holzkern
aufgeleimt. lhr äußerer Schmuck
besteht in flachen Schnitzereien,
vielfach auch in gemalten Dar-
stellungcn und in vergoldeten
Beschlägen.
Die siculo-arabische Gruppe, mit
Ausgangspunkt in Palermo, ar-
beitet im 12. und 13. Jahrhun-
dert. Die moz-arabische Gruppe
führt diese Richtung im 14. und
15. Jahrhundert fort. lhr Sitz be-
findet sich in Siidspanien. Für
die Gruppe der Krummstäbe
dürfte eine venezianische Werk-
statt, die nachempfunden arbei-
tet, im 13. und 14. Jahrhundert
verantwortlich sein.
Ferranclis verzeichnet in seinem
Werk Bestände in SalzburglNonn-
berg, St. Peter sowie im Dom,
weiters das Kästchen in der
Schatzkammer in Wien. Cotr ka-
talogisiert Krumrnstäbe aus Ad-
rnont, Altenburg, Götrweig, Klo-
sterneuburg und Salzburg; wei-
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ters in Salzburg einen Tau-Stab,
eine Pyxis und ein Kästchen.
Aus Wiener Bestand drei Käst-
chen.
Zu diesem erfaßten Bestand, der
auf der Grundlage publizierter
Objekte beruht, können einige
Objekte angefügt werden. Das
Österreichische Museum für an-
gewandte Kunst besitzt eine
Pyxis, deren Deckelspange aus
Silber ist. ln Linz besitzt das
Oberösterreichische Landesmu-
seum ein Kästchen, dessen
Zustand etwas fragmentarisch ist,
aber doch wohl als echt anzusehen
ist. Die Art der Malerei findet
eine Parallele in einer Pyxis in
Baltimore, die mutmaßlich eben-
falls nachgemalr wurde. Der
schwere Farbauftrag scheint dar-
auf hinzuweisen. Hinsichtlich der
gemalten Darstellungen über-
wiegt der EinHuß der islamischen
Welt, doch kennen wir aus dem
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Halle'schen Heiltum eine Pyxis,
die Darstellungen der deutschen
Gotik zeigt. Das gleiche gilt
für ein dort abgebildetes Käst-
chen.
Außer den beiden angeführten
Objekten mangelt in den Kata-
logen beispielsweise eine Pyxis
in Münchener Privatbesitz sowie
ein Kästchen des Diözesan-
museums in Brixen, das hier
nachgetragen sei. Möglicherweise
ist auch der Pastoralstab des
Stiftes Fiecht in Tirol eine siculo-
arabische Arbeit. Die überaus
starke Stilisierung läßt einen siche-
ren Schluß nicht so ohne weite-
res zu, nachdem auch die ur-
sprüngliche Form nicht mehr
vorhanden ist, da sie abgeschlif-
fen erscheint.
Die Pyxis des Museums für an-
gewandte Kunst hat eine silberne
Deckelspange, deren Ausformung
glatt und mit einer Inschrift
versehen ist. Ebenfalls aus Sil-
ber, auch in gotischen Formen,
ist die Verzierung einer zylin-
drischen Pyxis des SL-Annen-
Museums in Lübeck, deren Da-
tierung in das 13.f14. Jahrhundert
anzusetzen ist. Metalldeckel, in
glatter Form, jedoch
goldetem Metall, besitzen eine
Pyxis in Madrid aus dem 12. Jahr-
hundert sowie eine Pyxis des
Victoria and Albert Museum
in ver-
aus dem 12. Jahrhundert, deren
Deckel ringförmig graviert ist.
Das vergoldete Metall ist Kupfer.
Die Pyxis des Museums für an-
gewandte Kunst ist als eine
Arbeit vermutlich des 15. Jahr-
hunderts anzusehen.
Bei den Kästchen zeigt sich, daß
eine große Gruppe weder mit
Traggrirf noch mit Henkeln ver-
sehen ist. Das Linzer Kästchen
gehört zu dieser Gruppe. Ein