dürfen, daß Ostendorfer, der um 1519 noch
mehrere Aufträge für die Wallfahrt zur
Schönen Maria übernommen hatte, schwerlich
zwei Altäre im selben Jahre vollenden konnte.
Das andere signierte Werk, der Schmerzens-
mann des Neuburger Heimatmuseums, ent-
stand gleichfalls 1520 (Abb. 4). „Mit dem
Christuskopf auf dem Schweißtuche von 1520
gehen nur überein Augenschnitt und Dornen-
krone. Alles andere ist locker gemalt, die
llaarbehandlung eine gänzlich andere. . ."9.
Mag die Beurteilung des Bildes durch seinen
schlechten Zustand erschwert sein, so zeigt
sich in ihm doch ganz deutlich ein mehr
volkstümlich expressives Temperament, das
der vom Schweißtuch-Bildfragment allzu ein-
seitig geprägten Vorstellung von der „stillen
und beseelten" Art des „vornehm gesinnten
Kleinmeisters" nicht entsprichtlo. Dagegen
bestehen wiederum enge Beziehungen zu der
lebhaften und derberen, in gleichem Maß zur
Verzerrung neigenden Darstellungsweise der
ljligius-Bilder. Neben dem kennzeichnenden
Augenschnitt gibt es noch die auffällig ge-
spannt vortretenden und spitz zusammen-
laufenden Halsmuskeln, wie sie im Bild der
Heilung eines Lahmen an dessen Halse
wieder in Erscheinung treten. Sollte hier auch
die gleiche Form des weiten Halsausschnit-
tes eine zufällige Übereinstimmung sein?
Sollten sich die historischen Nachrichten und
die ikonographische Bestimmung als zu-
treffend erweisen, woran schwerlich zu zwei-
feln ist, so wäre in diesen verhältnismäßig
sehr gut erhaltenen Gemälden ein Hauptwerk
Michael Ostendorfers wiedergewonnen, an
dem sich unsere Vorstellung vom bisher
schwer faßbaren Frühstil des Meisters nun
auf einer unerwartet breiten Grundlage orien-
tieren könnte. Deutlich ließe sich feststellen,
welches spezifische Mischungsverhältnis sich
aus der Bindung an Altdorfer und dem
eigenen, weniger hochgespannten Ausdrucks-
vermögen ergeben hat. In der Erörterung der
Beziehungen zwischen den Eligius-Tafeln und
den beiden einzigen gesicherten Frühwerken
ging es in erster Linie um den Nachweis des
Gemeinsamen in der Handschrift, seiner
Manier. Im Folgenden sind die vorliegenden
Äußerungen zum Stil des Monogrammisten I
kurz zusammengefaßt (soweit auf die Nürn-
berger Tafeln bezogen) und als vorläunge
Kennzeichnung des frühen Ostendorfer zu
dessen späterem Schaffen in Verbindung ge-
setztll. Die Abhängigkeit von seinem mut-
maßlichen Lehrer ist evident, er muß Werke
wie dessen St. Florianer Altar genau gekannt
haben. Der Künstler wiederholt den Typen-
schatz nicht schülerhaft, sondern besitzt ein
ganz eigenes Erzählertalent und eine be-
sondere Farbenauffassung. Das Schulgut er-
fährt bei ihm eine Umsetzung ins Volkstüm-
liche, Anspruchslosere, und diese Tendenz
zum Einfachen, oft vierschrötig Derben
nimmt in seiner über drei Jahrzehnte währen-
den Tätigkeit zu. Ostendorfer war mit einem
starken und ursprünglichen Farbensinn begabt.
In der kräftigen, kontrastbetonten Farbgebung
bevorzugt er in der Frühzeit neben grellen,
braunen und blauen Tönen vor allem Rot
und Grün in den verschiedensten Schat-
tierungen. Später verstärkt sich die Neigung
zu einem gedämpften, dunklen und stellen-
weise branstigen Kolorit. Der Auftrag der
Farben ist fest, oft körnig. Gelegentlich wird
die Farbe aufgespritzt und dann mit dem
Pinselstiel bearbeitet, ein Verfahren, das
ebenfalls im Spätwerk zu beobachten ist. -
An den Nürnberger Tafeln Hel stets das
eigenwüchsige Erzählertalent auf. Hier kann
an die etwa gleichzeitige, höchst anschauliche
Schilderung der Wallfahrt zur Schönen Maria
in Ostendorfers bekanntem Holzschnitt er-
innert werden. Später kommt ihm diese
Begabung in mannigfachen Arbeiten für die
Buchillustration zugute, doch belebt sie auch
noch den Schematismus seines späten Re-
formationsaltares von 1553-1555. Ä Im künst-
lerischen Aufbau fehlt ihm „jegliche vom
Sinn der Bilder ablenkende dramatische (d. h.
leidenschaftlich überspitzte) Gestaltung. Es
wird nur erzählt. Die einzelnen Tafeln finden
eben in ihrer Sachlichkeit ihre Erfüllung und
in dem, wie alles aneinandergereiht ist, nicht
im genauen Bildnis, im Abbild eines Kopfes
oder in der sauberen Malerei einer Örtlich-
keit" 12. Dieses Urteil über den Reformations-
altar könnte schon für den sachlich handfesten
Vortrag des Nürnberger Zyklus stehen, auch
wenn diesen noch eine lebhaftere Nuancierung
auszeichnet. Gelegentlich ist dem Maler eine
absonderliche, oft zuchtlose Formphantasie
vorgeworfen worden. Bei seinen Figuren
fallen besonders seltsame Schädelbildungen
und übertrieben langgezogene Beine auf. Die
eigentümliche Augenbildung wurde bereits
erwähnt. Der Adam des Regensburger Sün-
denfall-Bildes von 1539 könnte in seiner
merkwürdig abgewinkelten Haltung noch auf
ganz ähnlich verrenkte Stellungen des Lahmen
und des Gefesselten im Bilde der Heilung
des Besessenen zurückweisen. „Ostendorfer
versetzt seine Themen möglichst in eine
Landschaft, die im Sinne einer Raumsphäre
keine echte Landschaftsdarstellung ist, son-
dern nur als Beiwerk zur Erweiterung der
Bühne einer menschlichen Szene zu betrachten
ist. Das Figürliche herrscht immer vor."13
Sinngemäß gilt das gleiche für die Innenraum-
darstellungen. Seit etwa 1530 geht diese
gegenüber Altdorfer ohnehin reduzierte Be-
deutung des Raumes in immer stärker wer-
dendem Maße zurück. Seinem robusteren
Charakter entsprechend bevorzugt der Maler
gedrungene, massige Bildarchitekturen mit
starken Mauerzügen und schweren Gewölben.
In der früheren Zeit gelangen hierfür oft
romanisch geformte Elemente, später renais-
sancemäßige zur Anwendung. Die Vorliebe
für wuchtige Formen äußert sich im Detail
beispielsweise im Taufbecken der Nürnberger
Taufdarstellung und in seiner sehr ähnlichen
Wiederbenutzung im Taufbild des Refor-
mationsaltares.
Wenn mit den Nürnberger Tafeln nicht nur
das namengebende, sondern vor allem das
stilistisch zentrale Werk aus dem Oeuvre des
Monogrammisten I ausscheidet, wird zu prüfen
sein, ob noch andere ihm zugeschriebene
Gemälde nun ebenfalls für Ostendorfer in
Betracht gezogen werden können. Über-
zeugende Homogenität hat die Werkgruppe
um diesen Monogrammisten von Anfang an
nicht ausgezeichnet. Seit E. H. Zimmermann
werden die vier kleinen Marienbilder mit der
Heimsuchung (Cleveland), dem Tempelgang
und Tod (Privatbesitz) sowie der Himmel-
fahrt (früher Colnaghi, London) als Spätwerke
hinzugezählt. Zuletzt hat A. Stange in diesem
Sinne neben der ungewöhnlichen Vehemenz
des Pinselstriches die Reduktion der Körper-
lichkeit und das Graziöse der Figuren, die
Raumweite und insbesondere die kühne Farb-
komposition wie auch die nervöse, durch-
lichtete Konturzeichnung hervorgehoben -
also alles Eigenschaften, die den viel weniger
dilferenzierten Nürnberger Tafeln und erst
recht dem Spätwerk Ostendorfers durchaus
abgehen". Man wird doch eher F. Win-
zinger zustimmen, wenn er auf Grund der bei
beiden Zyklen so grundverschiedenen Auf-
fassungen ihre Zusammengehörigkeit ablehnt,
es sei denn, eine noch frühere Phase von
Ostendorfers Schaffen würde greifbar, in der
eine entsprechend stärkere Bindung an Alt-
dorfers Art - wie etwa bei diesen Tafeln -
in Erscheinung träte15.
Von den Erörterungen weiterer Zuschreibun-
gen darf in diesem Beitrag Abstand genommen
werden. Sie sind für die Klärung des Haupt-
problems, der Gleichsetzung des Monogram-
misten I mit dem frühen Michael Ostendorfer,
von geringerer Bedeutung, wenn sie auch so
gewichtige Fragen wie die nach den Be-
ziehungen zum sogenannten Fronleichnams-
altar von 1517 in Regensburg berühren. Die
Ausstellung in St. Florian wird, so darf man
hoffen, Gelegenheit bieten, die künstlerische
Seite des Problems in all seinen Aspekten zu
diskutieren.
ANMERKUNGEN 1- 15
l Vgl. zuletzt Amiilr wyimi, Michael OSlCndOffCf. Phil. Dias.
Freiburg i. m. 1961.
1 Das sChwtißlurh der heiligen Veronika, lszo. n: CHSblllg,
StidtiiChts Musltum. f Dcr SCIIIIICIKIISIHIHKI. 15 . Neu-
lJUtg i. a. Donau. HCÜIJAIIIIHSCUHI.
Fnnlcs monastcrii s. Emmctalni Ratisboncnnis. htarb. von
Max. Picndl. in: Quellen und Fnrschungrn zur Geschichte
des ehemaligcn llcichssliflts St. Emmetnm in Rc ensburg.
Thum- und- Taxi Studien l. Kallmünl 1961, Nr. 474.
4 Vgl. WYIICII, np. cit.. s. 36m
ß m: Gemälde des u. bis 1a. Iälhthlllldtfß, min. von E. Lutzc
und E. Wiegand, Leipzig 1937, m. als-m. - E. u. Zim-
mßfltlälün, LIS Altdorfers Umkreis. In: Anzeiger dzs Ger-
22
manischen Nationalmuseums, Jg. 1932133, S. 11911". -
Katalog der Ausstellung "Albnch: Altdorfer und sein Kreis",
München 1933, Nr. 686i693. - Die Tafeln sind im Ver-
zeichnis des Nachlmcs von Furstabl Coclcslin Slciglehncr
von 1819 untcr dcn Nr. 1439771442 aufgcßihrt. An der
Identität kann nach den Bildbcschtribungcn des Verzeich-
nisscs kein Zweifel bestehen. W BIYCI. Staatsarchiv Ambcrg.
Landgericht Regensburg. Zug. 154. Nr. 7. 7 Hcrm Archiv-
dircktor Dr. Heribert Sturm hahe ich für freundliche Hilfe
bei der Einsichtnahme in die Akten zu danken.
Vgl. zuletzt A. Stangc, Mzlcrci dct Dolaausrhulc. Münchm
1964, S. 92h, 144i".
A. Slangc, op. cic. s. 145. - um" Prof. Dr. Alfred Stange
bin ich fit die bereitwilligc Überlastung du brieflichen
Mitteilung von Herrn Dr. Hans Aurmhammcr zu bcsondcrezn
Dank verpßichrer.
I Der Heiligen Leben und Leiden, Bd. 1 (Wintcrreil), Leipzig
1913, s. 185. - ZU! lkonographic dcs hl. Eligius vgl. (ßmer
Feln-ie, Die Eligiussage, Fienlmiee 1940. V x. v. Etzdorf,
Der hl. Eligius und die Typen scinn Darstellung als Patron
der Goldsdlmiede und sdnniede, m1. Diss. München 195a. e
n. A. sueeiedovee de „Vita lgü" In: Bijdragm tot de
ene, Bd. s, l956.S.90R'.,1601T-.22lli
gcschicdcnis. s.
v A. wynen, o . s. a9.
w A.Stang:,0p.cit 5.94.
H Im fol enden xi d zum Teil wörtliche zime zu: den in
Anrncr ung s gcnanntcn Arbeiten enthalten.
i: A. Wyncn. Op. ein. s. 11.
I1 A.Wyncn.op.cil., S.196f.
H A. Srangelo .e-n.. 5.92.
ß Walter Boll an die Maxienlzfcln Sei: langem für ganz frühe
Werke Michael Ostendotfeß.