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Volltext: Alte und Moderne Kunst XI (1966 / Heft 87)

jaroslav Peäina 
EIN UNBEKANNTES 
KINDERBILDNIS VON 
LUCAS CRANACH D.  
lm Frühjahr des Jahres 1965 wurde unter 
der Leitung der Nationalgalerie in Prag im 
Schloß Dux eine Gemäldegalerie eröiTnet, 
die eine interessante Rekonstruktion dessen 
darstellt, was bis zu unseren Tagen von 
der einst berühmten Waldsteidschen Samm- 
lung in Dux erhalten geblieben ist, die 
leider schon im 18. Jahrhundert zerstreut 
wurde]. Zusammen mit anderen Ge- 
mälden wurde ein Knabenbildnis unter- 
sucht und restauriert, das deutliche Merk- 
male von Ctanachs Kunst aufwies 2. Tat- 
sächlich gelang es dem Prager Restaurator 
j. Vachuda, dessen PHege dieses Gemälde 
anvertraut wurde, im Verlauf der Arbeit 
neben der Jahreszahl 1526 auch Cranachs 
Originalsignatur freizulegen, die die Ur- 
heberschaft dieses Malers voll bestätigt3. 
Das auf einer dünnen Heizplatte (Höhe 
36,7 cm, Breite 24,4 cm) gemalte und später 
auf beiden Längsseiten stark beschnittene 
Bild4 stellt die zu drei Vierteln nach rechts 
gewendete Halbtigur eines Knaben im 
Kindesalter dar. Das dichte, hellbraune 
Haar ist in die Stirn gekämmt, die großen 
braunen Augen blicken in die Richtung 
der Kopfwendung, der auch die Drehung 
des Körpers entspricht. Die in halbe 
Körperhöhe gehobenen Hände halten etwas 
kraftlos einen breiten, nußbraunen Pelz- 
kragen fest, der einen dunkelroten, mit 
schwarzen Schatten modellierten Mantel 
säumt, dessen breit geraHte und mit Perlen 
bestickte Ärmel in geschlitzte Manschetten 
enden. Unter dem geöffneten Mantel, 
über den eine doppelte goldene Kette 
herabhängt, erscheint ein rotes, ebenfalls 
mit SchlitzöHnungen geziertes Gewand. 
Der Hals des Knaben trägt ein gewundenes, 
goldenes Halsband mit zwei aufgefädelten 
Ringen. Ein kühler, weiß- und blaurosa 
Hautton charakterisiert das Pigment des 
Gesichts und der Hände. Sattes Rot bleibt 
14 
Lucax Cranzch d. Ä" Bildnis eine: Knaben. aigu. und 
dll. 1526. Öl auf Holz, 36.7x2A,4cln. Ehemals in 
der Sanunlung Waldstcin, dzl. in Schloß Dux ausgestellt
	            		
nur den Lippen des geschlossenen Mundes vorbehalten. Wie alle Bildnisse Cranachs aus den zwanziger und dreißiger Jahren, ist auch dieses Gemälde von einer Porträtauffassung charakterisiert, die sich hart an der Grenze des Individuellen und Allgemeinen, des Einmaligen und Typischen, des Persön- lichen und Unpersönlichen, der Stilisierung und Natürlichkeit bewegt. Der Maler konzentriert sich hier auf die Grundzüge, die allerdings ebenso einzigartig wie für die Zeit typisch sind. Das Individuum wird in dieser Auffassung zugleich zum Träger der Eigenschaften seiner ganzen Gesell- schaftsklasse, zum Repräsentanten seiner Zeit und Generation. Dazu kommt noch der Umstand, daß es sich bei diesem Porträt wahrscheinlich um eine Werkstatt- arbeit nach einer Studie des Meisters handelt5 und auch dieser Vorgang in nicht geringem Maße zum Verwischen der ursprünglichen physischen Erscheinung des Porträtierten beitrug, die durch weitere Abstraktion zweifellos viel von der ur- sprünglichen sinnlichen Lebensnähe der vorauszusetzenden Skizze verlor. Vom Charakter einer Werkstattarbeit zeugt auch die verhältnismäßig flüchtige Ausführung, die besonders in der Mantelpartie auf- fällt. Dieser Neigung zur Typisierung des Por- träts entspricht auch die konsequente Überführung des Volumens in die Fläche, was nicht einmal die Diagonale verhindern kann, die beide Schultern der Figur ver- bindet und diese aus der Vertikalachse und der BildHäche herausdreht. Die Hächige Auffassung wird noch unterstrichen durch die verstärkte Rolle, die der stilisierenden Linie, besonders der Umrißlinie, auf Kosten der dreidimensionalen Modellierung der Form zufällt, durch die Beschränkung der Binnenzeichnung auf ein Mindestmaß sowie durch die gleichmäßige, volle Beleuchtung des Kopfes, der sich von der dunklen Folie des neutralen Hintergrundes kontrast- reich abhebt. Das Bild gibt nur die Haupt- ziige der Physiognomie, des Kustüms und des Beiwerks wieder, und der Maler ver- weilt auch hier nicht einmal bei den Einzelheiten. Die genaue Datierung des Gemäldes er- leichtert seine Eingliederung in die Reihe von Cranachs Bildnissen aus den zwanziger Jahren. Gerade aus dem Jahre 1526, das für das PorträtschaHen Cranachs außer- ordentlich fruchtbar war, blieben mehrere signierte und mit dieser Jahreszahl be- zeichnete Gemälde erhalten, mit denen unser Bild auch die gleiche Entwicklungs- stufe der Porträtauffassung, das Verhältnis zwischen Figur und Fläche, die Art ihrer Einfügung in den Rahmen und natürlich auch das Kostüm teiltö. Es hat mit ihnen die Dreiviertelwendung nach links gemeinsam (die auch sonst bei Cranach absolut überwiegt), die Darstellung als Halbligur und die Haltung der Hände, die jedoch bei der Mehrzahl von Cranachs Bildnissen stärker beschäftigt sind. Auch das Verhältnis zwischen dem beleuchteten Antlitz und dem dunklen Hintergrund wiederholt sich auf einer Reihe der ange- führten Beispiele. Der Pelzkragen des Mantels, die Kette und das Halsband mit den aufgefadelten Ringen sowie die Perlen- stickerei kommen in vielen weiteren Ge- genstücken von Cranach aus dieser Zeit vor. Unser Bild unterscheidet sich von ihnen nur durch sein kleines Format, das mit Rücksicht auf das Modell wahrschein- lich absichtlich gewählt wurde7, und natür- lich auch durch geringere Qualität. Der Platz unseres Bildes in der Gruppe von Cranachs Porträts aus dem Jahre 1526 ist also festgelegt. Seine Bedeutung liegt jedoch vor allem darin, daß es sich um ein Kinderbildnis handelt, das, wie be- kannt, in Cranachs Schaffen nur selten, ja ausnahmsweise vorkommtß. Außer dem bekannten Mädchenbild im Louvre, das gleichfalls aus den zwanziger Jahren stammt, und den zwei Bildnissen der sächsischen Prinzen Moritz und Severin (Darmstadt, Großherzogliche Sammlung)9 sowie dem weniger bekannten, signierten und 1529 datierten Porträt eines unbekannten Prinzen (aber nicht sächsischer Herkunft) in Köln (Wallraf-Richartz-Museum)10 ist, soweit wir wissen, auf dem Gebiet des Staffeleibildes kein weiteres Beispiel für ein Interesse Cranachs am Kinderbildnis erhalten ge- blieben. Der Grund dafür ist nicht ganz klar. Vielleicht lag es am Mangel an Ge- legenheiten, also an Bestellungen, vielleicht auch am Umstand, daß die Kinderl-igur diesem Maler etwas fremd war. Es ist kein bloßer Zufall, daß das Interesse für die Lebenstreue in weit größerem Maße in den Männerbildnissen Cranachs als z. B. in seinen Frauenporträts zur Geltung kommt. Die beiden Darmstädter signierten Kinder- bilder entstanden im gleichen Jahre wie die Bildnisse der sächsischen Kurfürsten Johann des Großmütigen und Johann des Beständigen (Weimar, Schloßmuseum und Dresden, Galerie)1l. Obwohl wir den Knaben auf unserem Bild vorläufig nicht identißzieren können - zum Unterschied von den beiden sächsischen Prinzen linder sich seine Darstellung nicht unter den deutschen Renaissancemedaillen -, darf man doch auf Grund der Entstehungszeit und der reichen Ausstattung annehmen, daß auch er ein Angehöriger des sächsischen Hauses war. Schließlich ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß das Porträt mit jenen der sächsischen Herzöge und Prinzen im Zusammenhang steht und im gleichen Jahre geschaffen wurde. ANMERKUN GEN 1 - l 1 1 Der Katalog der Galerie im ursprünglichen Zustand erschien im Jahre 1737 in Brux im Druck. 1 Als Cranachs Arbeit wird (s im Verzeichnis der Gemälde ungefähr aus der Mim: des 19. Jahehnnderrs angeführt (J. v. Simak, Verzeichnis der Gelnalde der ehemaligen Duxer Galerie, Cawpis spoleenosri prarel sraroiitnosti Ccskych. XXVllljl922, S. 43). Zusammen mit ihm wird auch das Bild Adam und Eva und das Porträt eines Mannes in schwarzem Gewand als Arbeit dieses Malers erwilult. Das erste Bild bßflhdßl sich htutt als Arbeit aus Cranachs Werkstatt in der Nationalgalerie in Prag. das zweite läß! sich nicht idcntirizitren. Unser Bild ist dagegen im alten Katalog aus dem 18. Jahrhundert nicht angeführt. cs scheint also, daß es erst später in die Sammlung auf- genommen worden ist. Dagegen werden andere Arbeiten Cranachs genannt, die unter dem vcrstümmelten Namen Lucas Kreyner (sic!) erwähnt sind, u. zw.: unter Nr. 171 ein Madonncnbild, unter Nr. 211 ein Bild der hl. Schulastika, unter Nr. 219 das Bild des Absch eds Christi von Maria. unter Nr. 220 eine Madnnna mit dem Kind und unter Nr. 229 das Bildnis der Gemahlin des Malers. Von diesen kann man heute mit Sicherheit nur das Bild Nr. 219 identißzieren, das zusammen mit einer Reihe weiterer hervorragender Werke in der zweiten Hälfte des 18. jahr- hunderß in die Gemäldegalerie in Dresden kam. Es man: sich um eine gut: Werkstattkopie des Gemäldes aus dem Kunsrhistorischen Museum in Wicn aus der Zeir um 1520 (M. Friedlanderl]. lkosenberg, Die Gemälde von Lucas Cranach. Berlin 1932, Nr. 113). Die Zuschrei- bungen des alten Inventars können freilich nur mit Vor- behalt gelten; das triiTl auch auf eine Reihe anderer Bilder zu, die als Werke Durers und Holbeins bezeichnet werden. Für die wertvollen Hinweise, die sich auf die Sammlung in Dux beziehen. danke ich den Mitarbeitern der Nadonalglcrie in Prag. Dr. 1. Preiss und Dr. J. Safarik. die den Katalog der vorbereiteten neuen Aufstellung im Schluss: Dux bearbeiten. 3 Die Signatur und jahrszahl wurde nach dem Abnehmen der Fimisschicht und Retuschen auf dem linken Rand des Bildes über der rechten Schulter des Knaben entdeckt. Das Bild ist auf 5 mm starkem Fichtenholz gemalt. Die Grundierung unter der ganzen Malerei ist weiß ohne lmprimitur. Sie isr nicht geschliffen, so daß der Pinsel- strichstruktural auf der sonsr glatten MllfifiChC zur Geltung kommt. Unter dem lnkarnat sehe t die hlaue Grund- zeichnung durch. Die Fleisch artien sind in den Lokal- farbcn angelegt. der plasrisc e Eindruck wird durch Aufhellen und wärmere {Ole Töne erzielt. Datum und Signatur sind mit gclbweißer Farbe gezeichnet und mir der übrigen Malerei homogen. Die Maloherßiche zeigte eine Menge kleiner Beschädigungen: die bei der Restaun rierung des Bildes durch Retuschen beseitigt oder ver- kitret wurden. ' B stammte aus dem ehemaligen Waldsleirfschen Schlcß in Hirschberg, wohin Spile! ein Teil der Sammlung aus Dux übertragen wurde. Ein weiterer Teil kam ins Schlcß in Münchengritz. 5 Von der Ar! der im Aller und Typus ihnlicheren Zeich- nung eines unbekannten sächsischen Prinzen. die sich im Museum in Reims beßnder. - Ich danke hier herzlich Dr. Chrisrian Allgraf Salm in München. daß er mich auf diese Zeichnung sowie auch auf das weitere Bildnis (s. Anm. 10) aufmerksam gemacht hat. 5 F: handelt sich vor allem um die Arbeiten. die Fried- länderlllosenbetg, l. c.. unter folgenden Karalognummern und Abb. anführen: 238, 243, 244. 245. 246, 247 und 250. 7 Ein ähnliches Formal hat auch das Midchenponräz im Louvre (Fricdlinderlllosenberg. 1. c., Kam-Nr. und Abb.130). 5 H. Lilienfein. Lucas Cranaeh und seine Zeir. Bielefeld! Leipzig 1942, s. w. 9 Fricdlinderlllosexiberg. l.c KaL-Nr. und Abb. 245146. m Auch diese! Bild steht dem unseren in mancher Hinsieht nahe, weicht jedoch von ihm in der Zeichnung des Mundes sowie auch in der Frisur und der Farbe der Haare ah. 11 Friedlanderlkoaenberg, l. 6.. Kam-Nr. 243 und 250. 15
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