teiligt. um das ganze Ausmaß dieses
Vorganges entsprechend einschätzen zu
können. Ich meine damit. daß Sie sofort
zu diesen neuen Dingen persönlichsle
Stellung nehmen mußten. in ästhetischer
Hinsicht - ob das Neue Sie genügend
kleidet - und in der leidigen materiel-
len Erwägung: wie werden Sie die
Mehrkosten durch den Mehrverbrauch
an Stoff tragen können? Dieser sorgen-
volle Umstand hat Sie gewiß so sehr
beschäftigt, daß die große Metamor-
phose geschehen war. bevor Sie sich
der Änderung der Dinge ganz klar
geworden sind.
Wenn ich hier dieses krasse Beispiel so
eingehend behandle. so tue ich es in
der Überzeugung, daß wir auf diese
Weise uns eher klar machen können.
was es eigentlich ist. das die Mode
macht.
Der Abschnitt. dessen Ende wir in
dieser Weise erlebt haben. hat mit der
Jahrhundertwende begonnen und un-
geföhr 25 Jahre gedauert. Er hat ein-
gesetzt mit dem Fallen des Mieders. mit
dem ersten Reformkleid. Dieses Reform-
kleid - es war zunächst etwas ab-
schreckend Hößliches. ein wahrer Mön-
nerschreck und ein dankbares Objekt
der damaligen so sehr humorvollen
Simplizissimus-Zeichner - dieses Re-
(nrmkleid brach radikal mit der Wes-
pentaille und hing einen etwas pyrami-
dal geformten Sack auf die Schultern
der Frau. der sehr zum Überfluß noch
mit breiten Ornamenten im damaligen
Jugendstil dekoriert wor. Daß dieses
Kleid zumeist die Schultern der damali-
gen Frauenrechtlerinnen in Deutsch-
land und Österreich beschwerte. möge
man heute von der historischen Ent-
wicklung aus diesen tapferen Frauen
mit so viel Idealismus. Selbstverleug-
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nung und sicherer Voraussicht ausge-
stattet, hoch anrechnen. Denn damit
wurde etwas geboren. was über die
Mode weit hinausragte und als weib-
liche Tracht dieses Jahrhunderts an-
gesprochen werden kann. saweit wir
dieses bisher übersehen. Es ist sehr
bemerkenswert, daß in dieser kulturel-
len Entwicklung gerade Deutschland das
Fundament legte. Denn diese Erfindung.
so geschmacklos sie zunächst war.
wurde in Paris als wertvoll genug
angesehen. um von sehr fahigen Künst-
lern. wie es besonders ein Paul Poiret
war. ausgebaut und mit französischem
Können für die ganze zivilisierte Welt
adaptiert zu werden.
Was später daraus wurde. entstand
in konsequenter. logischer Weiterent-
wicklung. Nach der Befreiung von dem
Korsett kann die von der Hutnadel.
Der Frauenhut wurde. den Kopf wirke
lich ..hütend". über ihn gestülpt. ohne
daß ein fremdes Befestigungsrnittcl, die
mit Recht wegen ihrer Allgemeine
geföhrlichkeit viel gefürchtete l-lutnadel.
nötig war. In Wien war es Helene
Oditon. die als erste auf der Bühne
demonstrierte. wie dieser von der Hut?
ncidel befreite Hut zu gebrauchen ist.
Und dann kam die Befreiung von der
Schleppe im Salon und von dem staub-
kehrenden Rock. Viel später kamen die
kurzen Haare i eine wirkliche Be-
freiung von einer ungeheuren Fessel!
Die Tendenz des Kürzens des Frauen?
rockes war dabei die größte und
wichtigste Aktion und brauchte deshalb
auch iui- ihre Unternehmung und allein
VOF und Zuruck schließlich ganze
Z5 Jahre.
In diese Zeitspanne fallt das Erleben der
meisten Erfolge der Frau, die uin ihre
Befreiung auf so vielen Gebieten
Sechs Entwürfe für Dumenmoden aus den
"gmdenen" 1wcmziger Jahren von Pro-
fessor Eduard Josef Wimmer-Wisgrill
pfte. Doß die Frau dieser Zeit
i Vorgänge in ihrer Kleidung zum
ruck brachte. erscheint uns heute
sehr natürlich. Deshalb kann das
tat. das so mühsam und so folge!
ig erkämpft wurde, nicht mehr mit
e zu lun gehabt haben. sondern
als Tracht. als Kulturausdruck ge-
et werden.
doch. Nach 1925, nach der Pariser
ellung kam die Zäsur. Es kam die
lle" wieder, etwas dem abgelegten
er sehr Ähnliches. Heute wird das
e Damenhutmodell aus Paris be-
lich weit noch rückwärts aufge-
- behauptet es sich noch allein
n den Wiener Wind? - heute wird
Nachmittogskleid ganz lange und
getragen. das Abendkleid auch
er schleppend und die Frauenhaare
ich wieder lang zu "Frisuren" auf-
ckt.
iend können wir täglich solche
tatierungen machen und uns fra-
wie das möglich ist, so viel qualvoll
langwierige Eroberungen über
it wieder zu verlieren?
es also doch keine Tracht. sondern
Mode? Launische, kurzlebige, une
:henbare Mode? Ich glaube nicht,
es so ist, sondern es rührt sich im
ie das Weib!
Jr gewiß Eros! Die Erotik, die sich
wsetzte gegen gefährlichste Feinde.
ar die Gefahr. daf] die Frau sich
reit enthüllt hätte. Die Nacktheit
nicht die erotische Phantasie. die
ähnung macht gleichgültig. Es war
Sefahr. daß die Frau sich zu sehr
ünnlicht und sich dadurch ihrer
lichen Reizmittel begeben hatte. Es
höchste Gefahr. es war die zwölfte
ie, es war Feuer am Dach!
das. was dann geschah, zur Ab-
hilfe, zur Rettung. zur Erlösung: das
tat die viel gelösterte und geschmühte.
aber immer wieder alles ins wohltuende
Gleichgewicht bringende Mode! Und
diesen Vorgang. dieses Streben nach
höher gestellter Kultur. dieses etwas
intellektuell orientierte Ringen, das zur
rechten Stunde wieder irgendwie ver-
nünftig und gesund. erdgebunden para-
lysiert wird. können wir nennen: ..Das
Werden der Mode".
Bei diesem sich ewig erneuernden
Kampfe der zwei Faktoren. der Tracht
und der Mode. können wir die Tracht
nach Weininger mit M, d. h. mit männ-
lichem und die Mode mit W, also mit
weiblichem Charakter versehen und so
diese Wechselwirkung als Ausdruck
einer glücklichen Ehe bezeichnen.
So ist. trotz des scheinbaren Rückzuges
auf der ganzen Linie. nicht alles erober-
te Land verloren. Sie, meine Damen,
wissen sehr gut, daß Sie nie mit Reif-
röcken Ihr Automobil lenken werden.
sondern dies in kurzen Röcken oder
später wahrscheinlich in Hosen tun
werden. Und Sie werden anderseits
auch nicht mehr so schnell vergessen.
daß die Männer ihr Interesse für Ihre
bloßen Beine. für Ihr Hemdkleid und
für Ihre Mönnerfrisur nicht sehr lange
wach hielten, sondern. daß Sie, meine
Damen, bei den neuen fließenden Ge-
wandern. die die Glieder verhüllen
und doch zeigen. etwas erleben, was
Ihnen ganz recht gibt.
Es ist der Ausgleich. das Ausbalancieren.
die wiedergefundene Harmonie zwi-
schen Tracht und Mode. das Wieder-
gewonnene und das doch nicht Ver-
lorene vereint! Vereint. um sich wieder
zu verlieren? Also das Leben. lebendiges
Leben und deshalb doch richtiggehend
und in bester Ordnung!
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