Aus dem jahre 1700 ist uns ein Stich er-
halten, der einen Begriff gibt von der
Innenausstattung des Hoftheaters Leo-
polds I. in der Wiener Hofburg. Die Ab-
bildung zeigt das üppige Barockproszenium
des Theaters mit dem gemalten Vorhang 1.
Es handelt sich da um Arbeiten des Fran-
cesco Galli-Bibiena. Der Vorhang, dem
Bühnenausschnitt angemessen länger als
breit - eine verhältnismäßig seltene Vor-
hangform -, ist, abgesehen vom reichen
ornamentalen Dekor, in der allegorischen
Gestaltung des Mittclteils recht bescheiden,
wenn man Vergleiche mit späteren Wiener
Vorhängen anstellt und sich gleichzeitiger
anderer Arbeiten in verschiedenen Städten
erinnert. Es ist nicht mehr darauf darge-
stellt als eine ziemlich lockere, leichte
Gruppierung von etwa einem Dutzend
Genien, wobei die kleine Wolkengruppe
links das amüsanteste Detail ist.
Inhaltlich wie stilistisch ist ein weiter
Sprung bis zum nächsten Beispiel. Der Vor-
hang des alten Burgtheaters (National-
Theaters) in Wien, das einst am Michaeler-
platz stand und wegen vieler baulicher Un-
zulänglichkeiten nach fast anderthalbjahr-
hundertelanger bedeutender künstlerischer
Geschichte aufgegeben werden mußte 7
wegen seiner unübcrschaubaren Gänge und
steilen Treppen hieß es im Volksmunde
„Winkeltheater" -, konnte ins neue Haus
hinübergerettet werden. Dieser an den
Seiten verbreiterte Originalvorhang des
alten Burgtheaters diente auf der breiteren
Bühne des neuen Hauses am Franzensring
allerdings nur noch als Zwischenaktsvora
hang. Nach dem Entwurf von Heinrich
Füger (1751w1818) war der Vorhang von
Joseph Abel (Figuren) und Joseph Schön-
bcrg (Landschaft) im Jahre 1794 gemalt
worden.
Das Vorhanggemälde stellt Apollo im
Kreise von Hirten dar, die seiner Erzählung
lauschen. Es ist eine ruhige, geschlossene,
idyllische Komposition unter den großen
Bäumen einer antikisierenden Landschaft.
Wie Fügers Vorhang sich im alten Burgthea-
ter ausgenommen hat, bezeugen noch zwei
Ölgemälde von Franz Matsch 2, ein Kupfer-
stich von181O und Gusrav Klimts Bild „Blick
gegen die Bühne des alten Burgthcaters" 3.
Heinrich Füger war übrigens Schüler des
Malers und Bildhauers Adam Friedrich
Oeser (1717-1799) in Leipzig gewesen, der
seinen berühmten Theatervorhang 1766
gemalt hatte. Er war also in der Tradition
der Vorhangmalerei nicht unerfahren. Den-
noch ist bemerkenswert, daß ein Miniatur-
maler wie er sich zu diesen gigantischen
Formaten der Vorhänge hingezogen fühlte;
er hat auch für das Ackermannßche Neue
Komödienhaus in Hamburg, das spätere
Deutsche Nationaltheateglßll einen Vor-
hang geliefert. Was Fügers künstlerische
Art im allgemeinen angeht, meint Gustav
Pauli in seiner „Kunst des Klassizismus und
der Romantik", Füger sei eine „gefällig
sentimentale Mattigkeit" eigen gewesen,
und zu Fügers Vorhängen insbesondere
sagt er: „Am meisten barock und vielleicht
am glücklichsten wirkt er in dem Vorhang-
gemälde des Wiener Hoftheaters, einer über
Wolken locker gruppierten Götterver-
Sammlung." Diese Schilderung legt nahe,
daß Pauli sich hierbei nicht auf den schließ-
lich ausgeführten Vorhang bezieht, sondern
auf eine in der Nationalgalerie Berlin
befindliche Handzeichnung Fügers, die
Wirklich eine solche Göttervcrsammlung in
bizarr-phantastischer Landschaft zeigt.
Eines ehrwürdigen Vorhangcs erfreute sich
beispielsweise auch das Kärntnertortheater
in Wien im Jahre 1769. Schmid beschreibt
in seiner „Chronologie"4 diesen Vorhang:
„Die Bühne bekam einen ganz neuen Vor-
hang von dem Herrn von Hohenberg, zwar
von allegorischer, aber von keiner Oeseri-
sehen Erfindung, noch viel weniger Aus-
führung." Der Schöpfer des Vorhanges, der
mit so gezielter Kritik bedacht wird, die
zugleich wiederum verrät, welch hoher
Achtung sich Oesers Leipziger, von Goethe
sanft verspotteter Vorhang überall erfreute,
war der Hofarchitekt und Maler Hetzendorf
von Hohenberg (1732-1816) 5, der Er-
bauer der Gloriette im Schönbrunner Park.
In seiner Frühzeit, in der er noch ganz und
gar in Rokokovorstellungen wurzelte, war
er vornehmlich als Dekorations- und
Theatermaler tätig. l766]67 stattete er
das Schönbrunner Schloßtheater aus.