Richard Steiskal-Paur
DER EMAILMALER
LEOPOLD LIEB,
VATER ODER g
SOHN? er
Ein Sammler herirhtet über einen Fund
Vor einigen Jahren tauchte in Rom eine
achtpassige Email-Konfektschale auf, die ich
erwerben und repatriieren konnte. Irn Fond
der Schale war vor einem Säulenpostament
ein dudelsackblasender Knabe und ein blu-
mengeschmücktes tanzendes Mädchen in
bunten Farben gemalt. Auf dem Boden der
Rückseite befand sich die Signatur des Email-
malers: jon Leopold Lieb. invent: et pinx:
JwPO-z) 134a.
Äruxeniti drin; . 1
äSs-DEDA i. 2
Das Künstlerlexikon Thieme-Beckerl, über
diesen Künstler befragt, berichtet folgendes
darüber: „Iimail- und Porzellanmaler, geboren
Wien 1771, gestorben ebenda 6. Dezember 1836,
Sohn eines Emailleurs, kam 1792 zur Aus-
bildung im Historienfach an die Wiener Aka-
demie und betätigte sich fernerhin zunächst
als Emailmaler (voll bezeichnete Emailplatte im
Besitz der Countess of Hopetown) ..."
In G. Pazaureks Standardwerk „Deutsche
Fayenee- und Porzellanhausmaler"1, das vom
Künstlerlexikon als Quelle zitiert ist, wird die
Angabe wesentlich vorsichtiger formuliert.
Hier heißt es: „Dagegen lernen wir einen
Wiener Emailleur namens Lieb kennen, dessen
Sohn Leopold (1771-1836) seit 1800 einer der
geschicktesten und fieißigstcn Figurenmaler der
Porzellanfabrik geworden ist, der nicht nur
große Historien, z. B. nach Lampi, Portraits,
Heiligenbilder, sondern geradezu alles malte.
Er mag schon als junge bei seinem Vater auch
Porzellan bemalt haben, nicht nur Emails, wie
das signierte tanzende Mädchen mit dem
dudelsackspielenden Knaben."
Q 3
.305
Aus diesen Ausführungen Pazaureks geht
hervor, daß die bei Thieme-Beeker ange-
führte Emailplatte eine Arbeit des Sohnes ist.
Obwohl die Malerei der Konfektschalc wie
auch ihre Form stilistisch noch als Spät-
barock zu bezeichnen sind, bestimmen mich
jedoch einzelne Motive, wie die Säule und
die Girlanden, eine Entstehungszeit um 1780
anzusetzen. Um diesen Zeitpunkt hatte der
Sohn Liebs jedoch erst ein Alter von neun
Jahren. Es scheint mir völlig unwahrschein-
lich, daß er daher als der Verfertiger dieser
Malerei angesehen werden kann.
G. E. Pazaurek stützt sich bei seinen Angaben
auf einen Beitrag von W. Braun in der Zeit-
schrift „Kunst und Kunsthandwerk"3, wo es
heißt: „ln englischem Besitz (Countess of
Hopetown) befindet sich nach Chaffer (l) eine
emuilliertc Platte, die fein mit einem dudelsack-
spiclcndem Knaben und einem blumenge-
schmückten tanzenden Mädchen bemalt ist; es
ist signiert: Fon Leopold Lieb invt et pinxt."
Da sich diese Signatur sicherlich auf die der
Konfektschale bezieht, obwohl sie nicht
exakt wiedergegeben ist und eine Platte
keine Schale ist, muß angenommen werden,
daß weder G. E. Pazaurek noch E. W. Braun
dieses Stück je gesehen haben.
An diesem Punkt meiner Nachforschungen
lag es nahe, auch ]. Folnesics's „Geschichte
der Wiener Porzellanmanufaktur" zu befra-
gen4. Dort heißt es: „Einer der fruchtbar-
sten Maler war Leopold Lieb. Er war 1771
als Sohn eines Emailleurs in Wien gebo-
ren . . ." Wiewohl Folnesies des weiteren
sehr ausführlich über Leopold Lieb berich-
tet, erwähnt er mit keiner Silbe das von sei-
nem Mitarbeiter E. W. Braun zitierte si-
gnierte Stück, dessen Existenz ihm sicherlich
bekannt war, da ja Brauns Aufsatz zwei
Jahre vor dem Porzellanwerk erschienen ist.
Für diese Unterschlagung Folnesics's mag
wohl die Tatsache maßgeblich gewesen sein,
daß er selber Zweifel hegte, ob seine Kol-
legen Pazaurek und Braun je dieses viel-
zitierte Stück in Händen gehabt haben.
Die von mir in Rom erworbene Schale
stammt aus dem Besitz von H. E. Backcr,
dem Vertreter des Versteigcrungshauses
Christie's in London. Es lag daher der Ge-
danke nahe, daß sie mit dem zitierten Stück
aus dem Besitz der Countcss of Hopetown
identisch sein könne und das Wort „Platte"
auf eine falsche Übersetzung zurückzu-
führen sei.
Ich konsultierte daher William Chalfers be-
rühmtes Werk über die Marken und Mono-
gramme auf Keramiken und Porzellan5 und
fand dort folgende Angabe:
The Countess of Hopetown has an cnamelled
tray finely painted with a boy playing bagpipes
and a girl with Howers dancing inscribed: Fon
Leopold Lieb invent: et pinxt."
Hier also war der Schuldige zu finden, der die
Signatur als erster nicht exakt abgeschrieben
harte. Alle weiteren Autoren haben diese
Angaben übernommen. So erklärt es sich
auch, daß infolge der Unkenntnis des Ori-
ginals das englische Wort „tray" mit Platte,
zwar nicht falsch, doch ziemlich frei über-
setzt worden ist. Mit völliger Sicherheit war
nun klar geworden, daß es sich hier nur um
die von mir erworbene Konfektschale han-
deln konnte.
Ist diese Schale nun Leopold Lieb, dem Sohn
zuzuschreiben oder nicht? Die von Chalfers
und den folgenden Autoren gelesene Si-
gnatur „Fon" 4 „von" ist aus der Un-
kenntnis barocker Abkürzungen zu erklären.
Dieses „Fon" muß als „Jon" gelesen wer-
den, was die Abkürzung für „Joham-l"
bedeutet.
Um die endgültige Autorschaft festzulegen,
versuchte ich, die Lebensdaten der beiden
Lieb ausfindig zu machen. In dem Tauf-
buch der Pfarre Maria Treu, Wien-Josef-
stadt, fand ich die Eintragung, daß dem
Franz Leopold Lieb am 1. September 1771
ein Sohn Leopoldus Josephus Lieb geboren
worden ist. Über den Vater fand ich dann,
dank einer Mitteilung des Pfarrers H. Hei-
der von der Pfarre Neusiedl am See, die
Angabe, daß dem Johann Georg Lieb,
Apotheker, und dessen Gattin Elisabeth ein
Sohn geboren wurde, der am 23. Septem-
ber 174O auf die Namen Franz Leopold ge-
tauft worden ist. Daraus ging hervor, daß
weder Vater noch der Sohn Leopold Lieb
den Vornamen Johann hatten, wohl aber
der Großvater, der Apotheker von Neu-
siedl am See.
Diese Schale kann daher nur eine Arbeit des
bisher wenig bekannten Malers Lieb-Vater
sein. Einem Brauch der Zeit folgend, legte
er sich den Vornamen seines Vaters bei, des
Apothekers von Neusiedl am See. Wie die
Signatur „invenit" (erfunden) und „pinxit"
(gemalt) erkennen läßt, maß Lieb dieser Ar-
beit eine besondere Bedeutung bei. Wahr-
scheinlich war sie eine Probearbeit, die für
die k. k. Emailfabrik in der Josefstadt be-
stimmt gewesen ist, deren Direktor Christoph
von Jünger, aus einigen signierten Emails
bekannt, am 21. Juli 1777 gestorben ist.
Seine Fabrik wurde jedoch von seinem Bru-
der Johann von Jünger bis nach 1780 be-
trieben 6.
Diese Schale ist somit ein Unikat von
Leopold Lieb-Vater, von dem bisher
weder Lebensdaten noch signierte Arbeiten
bekannt gewesen sind. Aus den Ausführun-
gen jedoch ergibt sich für den Sammler die
Erkenntnis, daß selbst Arbeiten von promi-
nenten Fachleuten und Angaben der wis-
senschaftlichen Standardwerke nicht immer
frei von Irrtümern sind. Sie treten vor allem
dort auf, wo Aussagen in Unkenntnis des Ge-
genstandes, in freier Übersetzung und in nicht
exakter Abschrift weitergegeben werden.
Redaktionelle Bearbeitung: WILHELM MRAZEK
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