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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIII (1968 / Heft 96)

 
 
 
 
 
 
 
Richard Steiskal-Paur 
DER EMAILMALER 
LEOPOLD LIEB, 
VATER ODER g 
SOHN?  er 
Ein Sammler herirhtet über einen Fund 
Vor einigen Jahren tauchte in Rom eine 
achtpassige Email-Konfektschale auf, die ich 
erwerben und repatriieren konnte. Irn Fond 
der Schale war vor einem Säulenpostament 
ein dudelsackblasender Knabe und ein blu- 
mengeschmücktes tanzendes Mädchen in 
bunten Farben gemalt. Auf dem Boden der 
Rückseite befand sich die Signatur des Email- 
malers: jon Leopold Lieb. invent: et pinx: 
 JwPO-z) 134a. 
Äruxeniti drin; . 1 
äSs-DEDA i.  2 
Das Künstlerlexikon Thieme-Beckerl, über 
diesen Künstler befragt, berichtet folgendes 
darüber: „Iimail- und Porzellanmaler, geboren 
Wien 1771, gestorben ebenda 6. Dezember 1836, 
Sohn eines Emailleurs, kam 1792 zur Aus- 
bildung im Historienfach an die Wiener Aka- 
demie und betätigte sich fernerhin zunächst 
als Emailmaler (voll bezeichnete Emailplatte im 
Besitz der Countess of Hopetown) ..." 
In G.  Pazaureks Standardwerk „Deutsche 
Fayenee- und Porzellanhausmaler"1, das vom 
Künstlerlexikon als Quelle zitiert ist, wird die 
Angabe wesentlich vorsichtiger formuliert. 
Hier heißt es: „Dagegen lernen wir einen 
Wiener Emailleur namens Lieb kennen, dessen 
Sohn Leopold (1771-1836) seit 1800 einer der 
geschicktesten und fieißigstcn Figurenmaler der 
Porzellanfabrik geworden ist, der nicht nur 
große Historien, z. B. nach Lampi, Portraits, 
Heiligenbilder, sondern geradezu alles malte. 
Er mag schon als junge bei seinem Vater auch 
Porzellan bemalt haben, nicht nur Emails, wie 
das signierte tanzende Mädchen mit dem 
dudelsackspielenden Knaben." 
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.305 
Aus diesen Ausführungen Pazaureks geht 
hervor, daß die bei Thieme-Beeker ange- 
führte Emailplatte eine Arbeit des Sohnes ist. 
Obwohl die Malerei der Konfektschalc wie 
auch ihre Form stilistisch noch als Spät- 
barock zu bezeichnen sind, bestimmen mich 
jedoch einzelne Motive, wie die Säule und 
die Girlanden, eine Entstehungszeit um 1780 
anzusetzen. Um diesen Zeitpunkt hatte der 
Sohn Liebs jedoch erst ein Alter von neun 
Jahren. Es scheint mir völlig unwahrschein- 
lich, daß er daher als der Verfertiger dieser 
Malerei angesehen werden kann. 
G. E. Pazaurek stützt sich bei seinen Angaben 
auf einen Beitrag von  W. Braun in der Zeit- 
schrift „Kunst und Kunsthandwerk"3, wo es 
heißt: „ln englischem Besitz (Countess of 
Hopetown) befindet sich nach Chaffer (l) eine 
emuilliertc Platte, die fein mit einem dudelsack- 
spiclcndem Knaben und einem blumenge- 
schmückten tanzenden Mädchen bemalt ist; es 
ist signiert: Fon Leopold Lieb invt et pinxt." 
Da sich diese Signatur sicherlich auf die der 
Konfektschale bezieht, obwohl sie nicht 
exakt wiedergegeben ist und eine Platte 
keine Schale ist, muß angenommen werden, 
daß weder G. E. Pazaurek noch E. W. Braun 
dieses Stück je gesehen haben. 
An diesem Punkt meiner Nachforschungen 
lag es nahe, auch ]. Folnesics's „Geschichte 
der Wiener Porzellanmanufaktur" zu befra- 
gen4. Dort heißt es: „Einer der fruchtbar- 
sten Maler war Leopold Lieb. Er war 1771 
als Sohn eines Emailleurs in Wien gebo- 
ren . . ." Wiewohl Folnesies des weiteren 
sehr ausführlich über Leopold Lieb berich- 
tet, erwähnt er mit keiner Silbe das von sei- 
nem Mitarbeiter E. W. Braun zitierte si- 
gnierte Stück, dessen Existenz ihm sicherlich 
bekannt war, da ja Brauns Aufsatz zwei 
Jahre vor dem Porzellanwerk erschienen ist. 
Für diese Unterschlagung Folnesics's mag 
wohl die Tatsache maßgeblich gewesen sein, 
daß er selber Zweifel hegte, ob seine Kol- 
legen Pazaurek und Braun je dieses viel- 
zitierte Stück in Händen gehabt haben. 
Die von mir in Rom erworbene Schale 
stammt aus dem Besitz von H. E. Backcr, 
dem Vertreter des Versteigcrungshauses 
Christie's in London. Es lag daher der Ge- 
danke nahe, daß sie mit dem zitierten Stück 
aus dem Besitz der Countcss of Hopetown 
identisch sein könne und das Wort „Platte" 
auf eine falsche Übersetzung zurückzu- 
führen sei. 
Ich konsultierte daher William Chalfers be- 
rühmtes Werk über die Marken und Mono- 
gramme auf Keramiken und Porzellan5 und 
fand dort folgende Angabe: 
The Countess of Hopetown has an cnamelled 
tray finely painted with a boy playing bagpipes 
and a girl with Howers dancing inscribed: Fon 
Leopold Lieb invent: et pinxt." 
Hier also war der Schuldige zu finden, der die 
Signatur als erster nicht exakt abgeschrieben 
harte. Alle weiteren Autoren haben diese 
Angaben übernommen. So erklärt es sich 
auch, daß infolge der Unkenntnis des Ori- 
ginals das englische Wort „tray" mit Platte, 
zwar nicht falsch, doch ziemlich frei über- 
setzt worden ist. Mit völliger Sicherheit war 
nun klar geworden, daß es sich hier nur um 
die von mir erworbene Konfektschale han- 
deln konnte. 
Ist diese Schale nun Leopold Lieb, dem Sohn 
zuzuschreiben oder nicht? Die von Chalfers 
und den folgenden Autoren gelesene Si- 
gnatur „Fon" 4 „von" ist aus der Un- 
kenntnis barocker Abkürzungen zu erklären. 
Dieses „Fon" muß als „Jon" gelesen wer- 
den, was die Abkürzung für „Joham-l" 
bedeutet. 
Um die endgültige Autorschaft festzulegen, 
versuchte ich, die Lebensdaten der beiden 
Lieb ausfindig zu machen. In dem Tauf- 
buch der Pfarre Maria Treu, Wien-Josef- 
stadt, fand ich die Eintragung, daß dem 
Franz Leopold Lieb am 1. September 1771 
ein Sohn Leopoldus Josephus Lieb geboren 
worden ist. Über den Vater fand ich dann, 
dank einer Mitteilung des Pfarrers H. Hei- 
der von der Pfarre Neusiedl am See, die 
Angabe, daß dem Johann Georg Lieb, 
Apotheker, und dessen Gattin Elisabeth ein 
Sohn geboren wurde, der am 23. Septem- 
ber 174O auf die Namen Franz Leopold ge- 
tauft worden ist. Daraus ging hervor, daß 
weder Vater noch der Sohn Leopold Lieb 
den Vornamen Johann hatten, wohl aber 
der Großvater, der Apotheker von Neu- 
siedl am See. 
Diese Schale kann daher nur eine Arbeit des 
bisher wenig bekannten Malers Lieb-Vater 
sein. Einem Brauch der Zeit folgend, legte 
er sich den Vornamen seines Vaters bei, des 
Apothekers von Neusiedl am See. Wie die 
Signatur „invenit" (erfunden) und „pinxit" 
(gemalt) erkennen läßt, maß Lieb dieser Ar- 
beit eine besondere Bedeutung bei. Wahr- 
scheinlich war sie eine Probearbeit, die für 
die k. k. Emailfabrik in der Josefstadt be- 
stimmt gewesen ist, deren Direktor Christoph 
von Jünger, aus einigen signierten Emails 
bekannt, am 21. Juli 1777 gestorben ist. 
Seine Fabrik wurde jedoch von seinem Bru- 
der Johann von Jünger bis nach 1780 be- 
trieben 6. 
Diese Schale ist somit ein Unikat von 
Leopold Lieb-Vater, von dem bisher 
weder Lebensdaten noch signierte Arbeiten 
bekannt gewesen sind. Aus den Ausführun- 
gen jedoch ergibt sich für den Sammler die 
Erkenntnis, daß selbst Arbeiten von promi- 
nenten Fachleuten und Angaben der wis- 
senschaftlichen Standardwerke nicht immer 
frei von Irrtümern sind. Sie treten vor allem 
dort auf, wo Aussagen in Unkenntnis des Ge- 
genstandes, in freier Übersetzung und in nicht 
exakter Abschrift weitergegeben werden. 
Redaktionelle Bearbeitung: WILHELM MRAZEK 
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