nicht mehr gesehen hatte, als Dürer ihr das
Bildnis in Mecheln schenken wollte, gerade
dieser Realität wegen Mißfallen an der
Tafel zeigte, obwohl diese Wirklichkeit
durch die feine Pinselarbeit, durch die Farbe
eine weitgehende Läuterung erfahren hat.
Nicht unwesentlich gewinnt dieses Gesicht
an rnaiestätischcr Würde durch die kalli-
graphische Umrahmung des Haares. Es ist
unglaublich, was Dürer hier aus den An-
deutungen der Zeichnung (und aus Erinne-
rung und Wissen) herausholt: zarte, feine
Harchen an der Stirn, schöngewellte weiche
Locken über dem Ohr, dazu der ehrfurcht-
heischende Zweiklang von Silbergrau und
eher warmem Inkarnat, das auf gelblichern
Grund mittels dünner Rosalasuren, schwärz-
lichen Schatten und sicher gesetzten Weiß-
höhungen aufgebaut ist.
Eine Änderung besonderer Art hat am
Schluß auch das Motiv der beiden Hände
mit dem Granatapfel erfahren. In der Wie-
ner Tafel hält die linke Hand allein den
Apfel, während die Finger der Rechten, die
in der Kohlezeichnung so heftig zugriEen,
im Nürnberger Leinwandbild schon etwas
kraftlos herabglitten, nun vollends vom
Apfel sich lösen und in fast gleicher Anord-
nung wie in Nürnberg auf der Bildkante,
auf der unteren Rahrnenleiste wie auf einem
Parapett sich aufstützen. Aus der ursprüng-
lichen Aktion des Zugreifens dieser Hand
ist also - ein merkwürdiger Vorgang! -
durch eine Drehung um neunzig Grad ein
passives Ruhen geworden. Natürlich hat
sich auch hier bei Verwertung der Vorstufe
in gleicher Größe die Formgebung des Ein-
zelnen entsprechend der neuen Funktion
wesentlich geändert. Die Finger der rechten
Hand, auf der jetzt der Apfel liegl, sind jetzt
an sich entlastet. Trotzdem werden Daumen
und Zeigefinger wörtlich aus der Kohle-
zeichnung (ohne Berücksichtigung der
Nürnberger Fassung) übernommen. Der
Zeigeßnger ist im ersten Glied etwas mehr
eingebogen; der Mittelfinger aber löst sich,
stärker gestreckt, weiter vom Zeigehnger
los: der Apfel wird jetzt präxenfierl. Die auf
den Rahmen aufgestützten Finger der ande-
ren Hand verraten in der Stilgebung deut-
lich den Anschluß an die Fassung des Nürn-
berger Bildes, aber ebenso deutlich ist zu
erkennen, wie hinsichtlich der Durchbil-
dung im Detail die Naturstudie, die Kohle-
zeichnung virulent wird. Die Fassung des
Wiener Bildes ist eine glückliche Synthese
von Naturbeobachtung und Stil und geht
in der Festigkeit der Formen, im Reichtum
seines Gehaltes, in der Kraft und Dichte
des Audrucks weit über die beiden Vor-
stufen hinaus. Wie schichten sich jetzt die
drei ersten Finger, der kleine, der Ring- und
der Mittelfinger, in aufsteigender Form sich
leicht überschncidend, nebeneinander; wie
hebt sich, davon abgesondert, die Spitze des
Zeigefingers spielerisch vom Bildrand, von
der Fensterbank; wie wird hinter dieser, in
noch weiterem Abstand, auch der Ballen
des Daumens wieder sichtbar!
Das Motiv dieser Hände, die sich auf den
Rahmcnrand stützen, als wäre der Rahmen
ein Fenster, seine untere Leiste die Fenster-
14 Dhk 15mm. lllldnix vmu- fxiunncs. 313 115mm. [nur
don. NJTIUHAI lhlkn (wpnuhxzcd m Cnmlvix m lhc
Tllßikfüv?
bank, hatte damals schon eine fast hundert-
jährige Geschichte. Van Eyck war wohl der
erste, der in den beiden schmalen Flügeln
des Genter Altares mit Adam und Eva (be-
zeichnenderweise ganz oben im Werk, ähn-
lich übrigens auch in den zwei Grisaillen
darüber) dem Rahmen eine solche Bedeutung
gab. Die Kante der unteren Rahmenleiste
ist die Solbank der Raumnische, in der die
beiden Gestalten stehen; Adams Fuß tritt
sogar über den Rahmen, d. h. aus dem
Nischenraum hetaus. In der Zeit des so hef-
tigen Suchens, der Wirklichkeit habhaft zu
werden, war dieses sachliche Inbeziehung-
setzen von Rahmen und Bildraum ein pro-
bates Mittel zur Verstärkung des Realitäts-
grades und fand insbesondere auf dem Ge-
biet der Bildnismalerei rasche Verbreitung.
Beim Meister von Flemalle, bei Rogict van
der Weyden, bei Memling, bei Dirk Bouts
usw. finden sich herrliche Beispiele. Ein
später Nachkomme dieser Malerei, joos van
Cleve, bringt das Motiv, wie man glaubt
in Anschluß an ein älteres Bild, in einem
rundbogig gerahmten, 1510 datierten (in
mehreren Varianten erhaltenen) Bildnis-
täfelchen mit der Person Maximilians in
Verbindung. Bald liegen in diesen Bildnis-
sen beide Hände übereinander auf der Fen-
sterbrüstung, bald nur eine der beiden, bald
sind, wie später bei Dürers Kaiser, nur die
Finger der einen Hand auf die „Balustrade"
gestützt, während die andere Hand, meist
in enger kompositioneller Verbindung da-
mit, einen Brief, eine Schriftrolle, eine WaHe
usw. hält. Auch in der Wiener Galerie findet
sich schönes Vcrgleichsmaterial. Der Hof-
narr Gonella z. B. lehnt sich mit beiden Ell-
bogen in die vorn Rahmen gebildete Fen-
sternische. Als ein sehr reizvolles Beispiel,
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