gebenden Völker unterschieden: die Künstler
haben die Pflanzenranke aus dem unschein-
baren, um cin völlig anderes Hauptfeld ge-
dachten Rahmendasein hervorgeholt und zum
Thema der Hauptdarstellung selbst gemacht.
Damit haben sie ein uraltes Motiv der Kunst,
das eben deswegen, weil es schon so alt war,
als Nebensache empfunden und buchstäblich
an die Seite gerückt wurde, wieder kraft- und
machtvoll in den Vordergrund gezogen, nam-
lich das Motiv der reinen Verzierungl Sie
sind nur als solche gedacht. Sie sollten dem
Auge Ruhepunkre bieten, Freude bereiten,
gefällige Empfindungen hervorrufen und der
Seele anheimelnde Stätten zum Verweilen
öiInen. Welches Mittel aber Wirkt freund-
licher, welches Zeichen wirbt mehr um den
Betrachter als die Sprache der Blüten, Blumen
und Blätter? Sie galten von jeher als Symbole
der Zuneigung. Um „Liebe" auszudrücken,
brauchte der muslimische Künstler nirgends
die vielleicht erregende, jedenfalls aber ver-
botene Nacktheit des menschlichen Körpers
darzustellen. Seine Ranke, deren Wirkung mit
der Farbpalette gesteigert wurde, war reine
Zier. Damit diente sie sowohl als Symbol des
Lebens, denn „das Leben ist Zier . . ." (Koran
LVII, 20 und XXVIII, 60), als auch der
Schönheit. Heitere Farben, anmutige Kurven,
sanfte Linien, einen Blick in den Garten des
Paradieses zu schaffen i dies war das Ziel,
das die Künstler zu erreichen sich mühten,
und in diesem Streben hoben sich auch die
der Natur gegebenen, edlen Triebe. Und
soviele Völker und Rassen auch im Laufe
der Jahrhunderte zum Islam kamen - sie
alle trugen dazu bei, das Wie, die Art und
Weise an dem „typisch islamischen" Gepräge,
zu gestalten. Das Gepräge aber gibt sich
nicht durch die Erhndung von etwas un-
möglich Neuem zu erkennen. Sondern was
vorhanden war, wurde so umgeformt, daß
Eigenständigkeit erwuchs, neues Leben in
den Ornamenten erwachte, und so entstand
auch etwas „Neues" an dem Bau der Kunst,
den die Völker schmückten.
IV
Die Hinweise, Anweisungen und Richtlinien,
welche für die Künstler verbindlich waren,
ergaben sich nicht nur aus manchen Worten
im Koran selbst, sondern auch aus einer Stelle
in den „Überlieferungen", den Hadil. Marzük
(S. 179) hat sie herausgesucht und mitgeteilt.
Ich gebe sie hier wieder: „Buhäri erzählt in
der Kette seiner Überlieferungenw, von
Sa'id hen Ahi-l-Iiuxni sei zu berichten: Ich
war bei Ihn "Ahhä: - Allah erfreue sich an
beiden. Da kam ein Mann, der sagte: O Ihn
'Ahhär, siehe, ich bin ein Mensch, ich lebe
von dem, was meine Hände schaffen, und
siehe, ich habe dieses Bildnis gemacht! Ihn
Zelhhär antwortete: Was soll das! Hast du
nicht gehört, was der Prophet i Segen und
Heil über ihn - sagte? Ich hörte, er sprach:
Wer ein Bildnis herstellt, den wird Allah
peinigen, bis daß er dem Bildnis Geist ein-
haucht - und der Mensch wird ihm nie
Geist einhauchen! Der Mensch verlor seinen
Atem und sein Gesicht wurde bleich. Ihn
"Ahhä: sprach weiter: Wehe über dich! Ich
wollte unbedingt, daß du dies spürst. Greife
diesen Baum an - und jedes Ding, es ist kein
Geist darin!"
Der Kommentator gibt an, es sei aus der
Stelle dreierlei zu erschließen: erstens das
Verbot von Bildnissen. Damit sind vor allem
die hölzernen und bemalten Götzenidole ge-
meint, welche in der vorislamischen Zeit bei
den arabischen Stämmen aufgestellt zu wer-
den püegten. Zweitens enthalte die Stelle den
Hinweis auf die pflanzlichen Ornamente und
drittens den Hinweis auf die geometrischen
Ornamente.
Mit dem Verbot von Bildnissen begegnete
der Islam im arabischen Kreise nicht nur der
Gefahr aus der eigenen Vergangenheit, son-
dern er setzte sich damit auch ein für allemal
gegenüber der uralten Tradition im Niltale
durch. In Ägypten, das um 642 erobert
wurde, war der Islam auf einen Kunstkreis
gestoßen, der sich von jeher pflanzlicher
Motive, mehr noch aber der tierischen und
menschlichen Darstellung bediente, in einer
Form, die vor der Christianisierung voll und
ganz der Magie zugewandt gewesen war. In
der magisch ausgerichteten Kunst galt zum
Beispiel die Plastik eines Besitzers soviel wie
sein Vertreter auf Erden usw. Gewiß war die
magische Haltung vom Christentum schon
vor dem Auftreten des Islams unterhöhlt
worden. Allein die Werke hatten Jahrtausende
überdauert, sie waren geblieben, man konnte
sie allenthalben, dem Aberglauben ausgesetzt,
sehen. Hier hat der Islam die Macht des
Heidenturns endgültig gebrochen. Die isla-
mische Kunst kennt keine altägyptischen
Symbole mehr! Der Islam hat die aus Urzeiten
stammenden Traditionen endgültig gebannt,
sie gleichsam mit einem Schlage weggewischt,
als 0b sie niemals gewesen wären. Ein der-
artiger Abbruch war dem konzilianteren
Christentum und der zugehörigen koptischen
Kunst nicht gegeben. Der Hase um, „wcrdcn",
das Lebenszeichen 91h als „Henkelkreuf,
vielleicht auch der II 7 Vogel, die Gans
(„Sohn") und nach Umwegen möglicherweise
noch der hki - Stab des Herrschers im
Bischofsstab, sind in die koptische Kunst
übergegangen. Im Islam erloschen die Kräfte
alter Motive völlig mit einer an Härte gren-
zenden, komprornißlosen Einstellung. Damit
erlosch auch der Geist, der Jahrtausende hin-
durch gewirkt und der den Künstlern im
Niltal ihren „Weg" so gewiesen hatte, wie
der Geist der fernen Nachfahren den mus-
limischen Künstlern die „Linie" wies. Erst
viel später, Jahrhunderte nach dem Umbruch,
tauchen aus nationalen Gründen zur Zeit der
Mamluken wieder vereinzelt Motive aus der
alten Zeit auflß, aber dies sind spärliche Er-
scheinungen. Die islamische Kunst in Ägypten
verwendet sonst durchaus Motive, die sie
etwa aus der spätantiken Ptlanzenranke weiter-
entwickelte oder die sie überhaupt, wie die
geometrischen Muster, völlig zu ihrem geisti-
gen Eigentum machte.
Wo immer die Kunst Möglichkeiten fand,
sich zu entfalten - die Künstler haben auf
den ihnen vorgeschriebenen Wegen großartige
Werke geschaiTcn. Man denke nur an die
sakralen Bauten, die auf das prächtigste ge-
schmückt wurden! Und doch haben sie nic
das „lineare Denken", wie ich es nennen
möchtell, aufgegeben. Daß die Künstler die
Fähigkeit besessen hätten, auch Plastiken zu
bilden, beweist das Beispiel des Greifen von
Pisa, einer Bronzciigur mit kuFischen Schrift-
zeichen, also eindeutig arabischen Ursprunges.
Bei Kazwini (l203-l283) ferner lesen wir
von einem Reiterstandbild, an der Stelle, wo
er über den Bau der Moschee in Bagdad durch
al-llrlangür berichtete. Es wären also auch die
islamischen Künstler imstande gewesen, sich
der Plastik und Skulptur zuzuwenden. Die
Richtlinien, welche der Islam gab, wiesen
jedoch den Weg zu einer Kunst, in der vor
allem die Darstellung pflanzlicher Motive
überwiegen sollte. Es widerspricht dem nicht,
daß auch menschliche und tierische Figuren
in Miniaturen, auf Keramiken oder auf
Bronzen usw. anzutrcl-Ien sind. Die Figuren
stehen dort immer in einer Landschaft, und
eine Landschaft gehört grundsätzlich zum
Vegetativen, war also nicht verboten. Oder
sie stehen im Kreise astrologischer Symbolik
oder wurden letzten Endes durch die Zeichen
der Schrift, der Schrift Allahs, jeder gefähr-
lichen Magie beraubt. Die letztere Gattung
tritt am augenfälligsten im sogenannten „bc-
lebten" Kuli auf, einer Schriftart, in der mensch-
liche Köpfe auf den Hasten von Buchstaben
ruhten.
Versucht man den Gehalt, die innere Sym-
bolik der drei vom Islam bevorzugten Gat-
tungen von Ornamenten herauszulesen, zu
begreifen und zu bestimmen, so erkennt man,
daß in der Pdanzenranke allgemein „die
islamische Weltanschauung ihren ausdrucks-
vollen, künstlerischen Niederschlag gefunden
hat" (Kühnel, a. a. 0., S. 4). Die geometrischen
Ornamente verraten dagegen schon durch
manche Namen wie „Stern" und „Sonne"
ihre Bindung an die Astrologie. Die dritte
große Gruppe, die Schrift, hat um ihrer selbst
willen Bedeutung. Sie entspringt aus dem
Heiligsten: denn Allah selbst hat nach mus-
limischer Auffassung beim Schreibrohr ge-
schworen (Koran LXVIII, 1) und mit dem
Rohr schreiben gelehrt (Koran XLVI, 3). Die
Schrift und ihrc Entwicklung haben sich
darum die muslimischen Künstler zu allen
Zeiten besonders angelegen sein lassen. Neue
Formen, ein neuer Duktus etwa, der Gefallen
erweckte, haben sich durch Jahrhunderte hin-
durch bis auf den heutigen Tag in der Kalli-
graphie erhalten. Die arabische Schrift ist
immer die besondere Ausdrucksform des
arabisch-muslimischen Geistes gewesen. Sie
bildete nach außen hin das einigende Band
in einer politisch nicht immer festgefügtcn
Gemeinschaft, der „'Urrlma" Z2.
ANMERKUNGEN 19722 Sammlungen. Band 7, 1962, 5.9311".
19 sahih al-Buhnri. kimb nÄ bujxf b 104. Z1 E. Kühne]. Dic Ärabtske, S 5, spricht von "linearer Spekula-
M Vgl. die Untcrsuchun von 1. zu; Kuprischc Mustcrclcmcnlc tiun nxil abstrakter Tendenz .
und mamlukisch: nüpftcppiche, in: Hamburger Kunst- 11 Die 'Unmm m dqr ursprüngliche. islamische Einheitsstaat,
in dem Staat und Rßligimlsgvnuinschall idznlisch sind. S0
O. Spies und E. Pritsch im "Klassischen islamischcn Recht".
S. 220. in: Handbuch der Oricntalistik, hg. von D. Spulzr.
1. Abt" 3. Ergänzungsband. Leiden-Köln 1964.
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