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Volltext: Alte und Moderne Kunst XV (1970 / Heft 109)

gebenden Völker unterschieden: die Künstler 
haben die Pflanzenranke aus dem unschein- 
baren, um cin völlig anderes Hauptfeld ge- 
dachten Rahmendasein hervorgeholt und zum 
Thema der Hauptdarstellung selbst gemacht. 
Damit haben sie ein uraltes Motiv der Kunst, 
das eben deswegen, weil es schon so alt war, 
als Nebensache empfunden und buchstäblich 
an die Seite gerückt wurde, wieder kraft- und 
machtvoll in den Vordergrund gezogen, nam- 
lich das Motiv der reinen Verzierungl Sie 
sind nur als solche gedacht. Sie sollten dem 
Auge Ruhepunkre bieten, Freude bereiten, 
gefällige Empfindungen hervorrufen und der 
Seele anheimelnde Stätten zum Verweilen 
öiInen. Welches Mittel aber Wirkt freund- 
licher, welches Zeichen wirbt mehr um den 
Betrachter als die Sprache der Blüten, Blumen 
und Blätter? Sie galten von jeher als Symbole 
der Zuneigung. Um „Liebe" auszudrücken, 
brauchte der muslimische Künstler nirgends 
die vielleicht erregende, jedenfalls aber ver- 
botene Nacktheit des menschlichen Körpers 
darzustellen. Seine Ranke, deren Wirkung mit 
der Farbpalette gesteigert wurde, war reine 
Zier. Damit diente sie sowohl als Symbol des 
Lebens, denn „das Leben ist Zier . . ." (Koran 
LVII, 20 und XXVIII, 60), als auch der 
Schönheit. Heitere Farben, anmutige Kurven, 
sanfte Linien, einen Blick in den Garten des 
Paradieses zu schaffen i dies war das Ziel, 
das die Künstler zu erreichen sich mühten, 
und in diesem Streben hoben sich auch die 
der Natur gegebenen, edlen Triebe. Und 
soviele Völker und Rassen auch im Laufe 
der Jahrhunderte zum Islam kamen - sie 
alle trugen dazu bei, das Wie, die Art und 
Weise an dem „typisch islamischen" Gepräge, 
zu gestalten. Das Gepräge aber gibt sich 
nicht durch die Erhndung von etwas un- 
möglich Neuem zu erkennen. Sondern was 
vorhanden war, wurde so umgeformt, daß 
Eigenständigkeit erwuchs, neues Leben in 
den Ornamenten erwachte, und so entstand 
auch etwas „Neues" an dem Bau der Kunst, 
den die Völker schmückten. 
IV 
Die Hinweise, Anweisungen und Richtlinien, 
welche für die Künstler verbindlich waren, 
ergaben sich nicht nur aus manchen Worten 
im Koran selbst, sondern auch aus einer Stelle 
in den „Überlieferungen", den Hadil. Marzük 
(S. 179) hat sie herausgesucht und mitgeteilt. 
Ich gebe sie hier wieder: „Buhäri erzählt in 
der Kette seiner Überlieferungenw, von 
Sa'id hen Ahi-l-Iiuxni sei zu berichten: Ich 
war bei Ihn "Ahhä: - Allah erfreue sich an 
beiden. Da kam ein Mann, der sagte: O Ihn 
'Ahhär, siehe, ich bin ein Mensch, ich lebe 
von dem, was meine Hände schaffen, und 
siehe, ich habe dieses Bildnis gemacht! Ihn 
Zelhhär antwortete: Was soll das! Hast du 
nicht gehört, was der Prophet i Segen und 
Heil über ihn - sagte? Ich hörte, er sprach: 
Wer ein Bildnis herstellt, den wird Allah 
peinigen, bis daß er dem Bildnis Geist ein- 
haucht - und der Mensch wird ihm nie 
Geist einhauchen! Der Mensch verlor seinen 
Atem und sein Gesicht wurde bleich. Ihn 
"Ahhä: sprach weiter: Wehe über dich! Ich 
wollte unbedingt, daß du dies spürst. Greife 
diesen Baum an - und jedes Ding, es ist kein 
Geist darin!" 
Der Kommentator gibt an, es sei aus der 
Stelle dreierlei zu erschließen: erstens das 
Verbot von Bildnissen. Damit sind vor allem 
die hölzernen und bemalten Götzenidole ge- 
meint, welche in der vorislamischen Zeit bei 
den arabischen Stämmen aufgestellt zu wer- 
den püegten. Zweitens enthalte die Stelle den 
Hinweis auf die pflanzlichen Ornamente und 
drittens den Hinweis auf die geometrischen 
Ornamente. 
Mit dem Verbot von Bildnissen begegnete 
der Islam im arabischen Kreise nicht nur der 
Gefahr aus der eigenen Vergangenheit, son- 
dern er setzte sich damit auch ein für allemal 
gegenüber der uralten Tradition im Niltale 
durch. In Ägypten, das um 642 erobert 
wurde, war der Islam auf einen Kunstkreis 
gestoßen, der sich von jeher pflanzlicher 
Motive, mehr noch aber der tierischen und 
menschlichen Darstellung bediente, in einer 
Form, die vor der Christianisierung voll und 
ganz der Magie zugewandt gewesen war. In 
der magisch ausgerichteten Kunst galt zum 
Beispiel die Plastik eines Besitzers soviel wie 
sein Vertreter auf Erden usw. Gewiß war die 
magische Haltung vom Christentum schon 
vor dem Auftreten des Islams unterhöhlt 
worden. Allein die Werke hatten Jahrtausende 
überdauert, sie waren geblieben, man konnte 
sie allenthalben, dem Aberglauben ausgesetzt, 
sehen. Hier hat der Islam die Macht des 
Heidenturns endgültig gebrochen. Die isla- 
mische Kunst kennt keine altägyptischen 
Symbole mehr! Der Islam hat die aus Urzeiten 
stammenden Traditionen endgültig gebannt, 
sie gleichsam mit einem Schlage weggewischt, 
als 0b sie niemals gewesen wären. Ein der- 
artiger Abbruch war dem konzilianteren 
Christentum und der zugehörigen koptischen 
Kunst nicht gegeben. Der Hase um, „wcrdcn", 
das Lebenszeichen 91h als „Henkelkreuf, 
vielleicht auch der II 7 Vogel, die Gans 
(„Sohn") und nach Umwegen möglicherweise 
noch der hki - Stab des Herrschers im 
Bischofsstab, sind in die koptische Kunst 
übergegangen. Im Islam erloschen die Kräfte 
alter Motive völlig mit einer an Härte gren- 
zenden, komprornißlosen Einstellung. Damit 
erlosch auch der Geist, der Jahrtausende hin- 
durch gewirkt und der den Künstlern im 
Niltal ihren „Weg" so gewiesen hatte, wie 
der Geist der fernen Nachfahren den mus- 
limischen Künstlern die „Linie" wies. Erst 
viel später, Jahrhunderte nach dem Umbruch, 
tauchen aus nationalen Gründen zur Zeit der 
Mamluken wieder vereinzelt Motive aus der 
alten Zeit auflß, aber dies sind spärliche Er- 
scheinungen. Die islamische Kunst in Ägypten 
verwendet sonst durchaus Motive, die sie 
etwa aus der spätantiken Ptlanzenranke weiter- 
entwickelte oder die sie überhaupt, wie die 
geometrischen Muster, völlig zu ihrem geisti- 
gen Eigentum machte. 
Wo immer die Kunst Möglichkeiten fand, 
sich zu entfalten - die Künstler haben auf 
den ihnen vorgeschriebenen Wegen großartige 
Werke geschaiTcn. Man denke nur an die 
sakralen Bauten, die auf das prächtigste ge- 
schmückt wurden! Und doch haben sie nic 
das „lineare Denken", wie ich es nennen 
möchtell, aufgegeben. Daß die Künstler die 
Fähigkeit besessen hätten, auch Plastiken zu 
bilden, beweist das Beispiel des Greifen von 
Pisa, einer Bronzciigur mit kuFischen Schrift- 
zeichen, also eindeutig arabischen Ursprunges. 
Bei Kazwini (l203-l283) ferner lesen wir 
von einem Reiterstandbild, an der Stelle, wo 
er über den Bau der Moschee in Bagdad durch 
al-llrlangür berichtete. Es wären also auch die 
islamischen Künstler imstande gewesen, sich 
der Plastik und Skulptur zuzuwenden. Die 
Richtlinien, welche der Islam gab, wiesen 
jedoch den Weg zu einer Kunst, in der vor 
allem die Darstellung pflanzlicher Motive 
überwiegen sollte. Es widerspricht dem nicht, 
daß auch menschliche und tierische Figuren 
in Miniaturen, auf Keramiken oder auf 
Bronzen usw. anzutrcl-Ien sind. Die Figuren 
stehen dort immer in einer Landschaft, und 
eine Landschaft gehört grundsätzlich zum 
Vegetativen, war also nicht verboten. Oder 
sie stehen im Kreise astrologischer Symbolik 
oder wurden letzten Endes durch die Zeichen 
der Schrift, der Schrift Allahs, jeder gefähr- 
lichen Magie beraubt. Die letztere Gattung 
tritt am augenfälligsten im sogenannten „bc- 
lebten" Kuli auf, einer Schriftart, in der mensch- 
liche Köpfe auf den Hasten von Buchstaben 
ruhten. 
Versucht man den Gehalt, die innere Sym- 
bolik der drei vom Islam bevorzugten Gat- 
tungen von Ornamenten herauszulesen, zu 
begreifen und zu bestimmen, so erkennt man, 
daß in der Pdanzenranke allgemein „die 
islamische Weltanschauung ihren ausdrucks- 
vollen, künstlerischen Niederschlag gefunden 
hat" (Kühnel, a. a. 0., S. 4). Die geometrischen 
Ornamente verraten dagegen schon durch 
manche Namen wie „Stern" und „Sonne" 
ihre Bindung an die Astrologie. Die dritte 
große Gruppe, die Schrift, hat um ihrer selbst 
willen Bedeutung. Sie entspringt aus dem 
Heiligsten: denn Allah selbst hat nach mus- 
limischer Auffassung beim Schreibrohr ge- 
schworen (Koran LXVIII, 1) und mit dem 
Rohr schreiben gelehrt (Koran XLVI, 3). Die 
Schrift und ihrc Entwicklung haben sich 
darum die muslimischen Künstler zu allen 
Zeiten besonders angelegen sein lassen. Neue 
Formen, ein neuer Duktus etwa, der Gefallen 
erweckte, haben sich durch Jahrhunderte hin- 
durch bis auf den heutigen Tag in der Kalli- 
graphie erhalten. Die arabische Schrift ist 
immer die besondere Ausdrucksform des 
arabisch-muslimischen Geistes gewesen. Sie 
bildete nach außen hin das einigende Band 
in einer politisch nicht immer festgefügtcn 
Gemeinschaft, der „'Urrlma" Z2. 
ANMERKUNGEN 19722 Sammlungen. Band 7, 1962, 5.9311". 
19 sahih al-Buhnri. kimb nÄ bujxf b 104. Z1 E. Kühne]. Dic Ärabtske, S 5, spricht von "linearer Spekula- 
M Vgl. die Untcrsuchun von 1. zu; Kuprischc Mustcrclcmcnlc tiun nxil abstrakter Tendenz . 
und mamlukisch: nüpftcppiche, in: Hamburger Kunst- 11 Die 'Unmm m dqr ursprüngliche. islamische Einheitsstaat, 
in dem Staat und Rßligimlsgvnuinschall idznlisch sind. S0 
O. Spies und E. Pritsch im "Klassischen islamischcn Recht". 
S. 220. in: Handbuch der Oricntalistik, hg. von D. Spulzr. 
1. Abt" 3. Ergänzungsband. Leiden-Köln 1964. 
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