Heinrich R. v. Ferstel
ÖSTERREICHISCHES
MUSEUM FÜR KUNST
UND INDUSTRIE - ZUR
HUNDERTSTEN WIEDER-
KEHR DER SCHLUSSSTEIN-
LEGUNG UND ERÖFFNUNG
DES NEUEN GEBÄUDES
AM STUBENRING
Die Weltausstellungen haben wesentlidi dazu
beigetragen, die Aufmerksamkeit der Staats-
männer auf jene Fragen zu richten, welche sich
mit der Hebung der Nationalwohlfahrt be-
sdiäftigen. Auf diesen Weltausstellungen strö-
men Kunst- und Industrieprodukte aus allen
Teilen der Welt zusammen. Es zeigt sich dabei,
daß einige dieser Gegenstände geeignet sind,
die Bedürfnisse der versdiiedensten Art auf wei-
testem Gebiete zu befriedigen und den Anfor-
derungen des Weltmarktes zu genügen, wäh-
rend andere sich nur auf einem kleinen Terrain
zu behaupten vermögen. Vor allem aber hat es
sich dabei gezeigt, daß die Hebung des Ge-
schmadss ein wesentliches Mittel ist, um den
Wert der Kunst- und Industrieprodukte zu stei-
gern, das Nationalvermögen zu vermehren und
das Absatzgebiet der Kunst- und Industrie-
produkte zu erweitern. Jene Erzeugnisse haben
sich am dauerndsten den Weltmarkt gesichert,
welche den Anforderungen des Geschmacks am
meisten zu entsprechen imstande waren.
Von diesem Gesichtspunkt aus sind audi die
Kunst- und Industrieerzeugnisse der österrei-
chisdi-ungarisdie Monarchie auf den verschie-
denen Weltausstellungen geprüft worden. So
sehr man anerkannte, daß die Bewohner Öster-
reidis ein ganz besonderes Geschids haben, so
hat sich doch gezeigt, daß sie vielfadi hinter
vorgesdiritteneren Völkern zurückstehen und
daß in Usterreid-i insbesondere jene Bildungs-
anstalten fehlen, welche sich vorzugsweise mit
der Hebung des Geschmacks beschäftigen. Diese
Ersd-ieinungen traten vornehmlich auf der zwei-
ten Londoner Weltausstellung hervor und ent-
gingen der Aufmerksamkeit des damaligen Mi-
nisterpräsidenten, des Herrn E. H. Rainer,
nicht. Als der Universitätsprofessor R. v. Eitel-
berger, weldier als Berichterstatter für die Ab-
teilung der Kunst an der Londoner Weltaus-
stellung fungierte, im Frühjahr 1862 von Lon-
don nach Wien zurüdtgekehrt war, erhielt der-
selbe von E. H. Rainer den Auftrag, einen Be-
richt über Kunst und Kunstindustrie Österreichs
auf der Londoner Ausstellung in der Riditung
hin zu verfassen, daß in diesem Bericht auch
zugleich Vorschläge enthalten sein sollen, wel-
che sich auf die Hebung der Geschmacksbitldung
in Österreich beziehen. In diesem Berid-it wur-
den die verschiedensten Anstalten des Auslan-
des, die Art und Weise, wie der Kunstunterricht
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in den Schulen gefördert, die Museen der all-
gemeinen Benützung zugänglich gemacht wer-
den, entsprechend gewürdigt und insbesondere
auf das South-Kensington-Museum hingewie-
sen, das, damals auf dem Höhepunkt seiner
Entwicklung stehend, noch nicht jene außer-
ordentliche Ausdehnung gewonnen hatte, die
gegenwärtig seine Wirksamkeit eher hemmt als
fördert.
Die von Professor v. Eitelberger abgefaßte
Denkschrift wurde Sr. Majestät dem Kaiser
vorgelegt, und nachdem er im Herbst des Jah-
res 1862 von einer Studienreise, die er nach
Italien unternommen hatte, zurüdtgekehrt war,
erhielt er von Herrn E. H. Rainer die Weisung,
sich mit der Frage der Gründung eines Mu-
seums, das vorzugsweise zur Hebung des Ge-
sdirnadts berufen sein soll, zu beschäftigen.
Man sah sogleich bei der ersten Erörterung die-
ser Fragen ein, daß es bei dem Stand der Fi-
nanzen der österreichischen Monarchie absolut
unmöglich sei, ein derartiges Museum zu grün-
den, ohne daß zuvor die Möglichkeit geboten
wäre, aus den Kunstschiitzen des kaiserlichen
Hofes, des Adels, der Geistlichkeit und der
Kunstliebhaber der Monarchie hervorragende
Gegenstände leihweise in das neu zu gründende
Museum zu übernehmen.
Zu diesem Behuf wurde von Professor von
Eitelberger eine einen großen Teil der Monar-
chie umfassende Enquete unternommen, und
nachdem auf diesem Wege die ganze Angele-
genheit so weit vorbereitet war, ist von Sr.
kaiserlichen Hoheit dem Ministerpräsidenten
Herrn E. H. Rainer Sr. Majestät dem Kaiser
ein direkter Vorschlag zur Gründung eines
österreichischen Museums für Kunst und Indu-
strie gemacht worden.
Darauf erfloß das kaiserliche Handschreiben
Sr. Majestät an Se. kaiserliche Hoheit den
durchlauchtigsten Herrn E. H. Rainer vom
7. März 1863, in welchem die Gründung eines
Museums angeordnet wurde.
Es entspricht daher vollständig dem Tatbe-
stand, wenn man die Gründung dieses Mu-
seums ausschließlich als ein Werk Sr. Majestät
des Kaisers und Sr. kaiserlichen Hoheit des
Herrn E. H. Rainer bezeichnet.
In diesem kaiserlichen Handschreiben wurden
die Kunstschätze der Hofmuseen und Hofan-
stalten wie auch der kaiserlidxen Sdilösser mit
einer Großzügigkeit der zu gründenden ge-
meinnützigen Anstalt zur Verfügung gestellt,
wie sie in keinem anderen Lande bisher vorge-
kommen ist. Dieses glänzende Beispiel, welches
der Kaiser gegeben hat, hat auch bewirkt, daß
der Appell an den Patriotismus des Adels und
des besitzenden Publikums nicht ohne Nadi-
hall geblieben ist. Insbesondere ist es die Klo-
stergeistlicl-ikeit, und hier besonders jene Ober-
und Niederösterreichs, ferner der österreichisch-
ungarisdie Adel gewesen, weldie bis auf den
heutigen Tag dem glänzenden Beispiel des Kai-
sers nachgefolgt sind.
Eine siebenjährige Erfahrung hat bestätigt, wie
nützlich es war, dieses System leihweiser Über-
lassung von Kunst- und Kunstindustriegegen-
ständen einzuführen.
Heutzutage ganz besonders darf man die Wohl-
tat jener kaiserlichen Großzügigkeit hodisdiät-
zen, wo bei der fortwährenden Preissteigerung
solcher Kunstwerke, welche als Vorbilder zu
Am 4. November 1871 fand durd; Kaise
[oseph die feierliche Sehlußsteinlegung unt
nung des Gebäudes des Österreichischen I
für Kunst und Industrie am Stubenring stat
Neubau, dessen im fahre 1868 genehmigte
von dem Architekten Heinrich Ritter von
stammten, gaben der Ringstraße in der IN
Stubentores einen bedeutenden stiidtebaulie.
zent.
Im selben jahr, 1871, erschien im 36. jahrj
„Allgemeinen Bauzeitung" ein Bericht Hein
Ferstels über die Gesrhichte dieses im jal.
gegründeten ersten staatlichen Institutes u
die Anlage, Konstruktion und Ausstattung t
buues. In seiner Kürze ist er ein Musterbeis;
sadrlidaen Information. Aus Anlaß der hur
Wiederkehr dieser bedeutsamen Ereignisses
wir dieses nicht besser zu würdigen als d:
Abdrude der vom Erbauer selbst oerftzflten
lung.
Über das Gebäude selbst berichtete die Ne
Presse: „Es ist nicht bloß ein sdröner Bau,
der Anstalt, seinem Platze und der Stadt 1
gereicht; es wird durch das Neue, das es z
Kunst und Gewerbe anregend wirken, und i
Beziehungen lobt es seinen Meister, der sei
Talent, seine hervorragende Begabung für d
ren Seiten der Kunst glänzend bewährt hat
1 Gesamtansidn des Usterreidzisdien Museums m
Industrie m Wien, Ringstraßenfront, erbaut vor
Heinridi im" von FCHICI m den Jahren isst
Da. Aufnahme stammt vermutlidi aus u" zu" t
mm der Fertigstellung des Baues
z Innenansicht des Usterreidiisdien Museums im
Industrie mit maat auf 011m. und Arkadenhof