Für den Kunstsammler
Wiener Möbel des Klassizismus l
Es hat fast den Anschein, als wöre der Früh-
klassizismus, insoweit es sich um das damalige
Mobiliar handelt, eine in Österreich heute
vernachlässigte, um nicht zu sagen eine vergessene
Epoche. Barock, Rokoko und Biedermeier sind allen
durchaus geläufig; ia es geht sogar so weit, daß
einem Barock- bzw. Rokokoschrank oder gar einem
Tabernakelkasten die Bedeutung von Statussymbolen
für kultiviertes Wohnen zukommt. Es gehört zum
guten Ton, den einen oder den anderen oder am
besten beide zu besitzen. Barock oder maria-
theresianisch muß ein Möbel sein, um als
erwerbenswert zu gelten.
Den Grund für eine solche Einengung bildet letztlich
die Unkenntnis über die tatsächliche Vielfalt und
den Formenreichtum der übrigen vergangenen
Möbelstile. Die Folge davon ist eine höchst bedenk-
liche geschmackliche Unsicherheit. Zu ausschließlich
wurde und wird immer noch bei ieder Gelegenheit
vom Glanz und der Größe des Barock, seiner
Kunst und Kultur geredet und geschrieben, während
man viel zuwenig auch von anderen Zeiten spricht.
Dabei wird übersehen, daß in den letzten Lebens-
iahren Maria Theresias das Rokoko, das fälschlich -
mit der Regierungszeit der großen Kaiserin .. ftgqfif-"JCCUJ-ßil.
identifiziert wird, auch an ihrem Hofe bereits '
überholt war. Sie selbst hat für die Möblierung des
von ihr so bevorzugten Schlosses Schloßhof, aber
auch für andere Schlösser, umfangreiche Garnituren
van Sitzmöbeln anfertigen lassen, die durchwegs
dem Formenkanon des Klassizismus folgen. Sie
gehören zu den schönsten, die wir aus jeder Zeit
besüzen.
Für den Stilwandel und mehr noch für die beacht-
liche Qualitätssteigerung, die bei den Wiener
Möbeln von Rang und Anspruch unleugbar ab den
siebziger Jahren des lB. Jahrhunderts festzustellen
sind, dürfte wahrscheinlich der ziemlich unvermittelt
einsetzende französische Einfluß ausschlaggebend
gewesen sein. Hier stoßen wir auf ein Phänomen,
das wegen seiner Vielschiditigkeit im Rahmen
dieser kurzen Information nur angedeutet werden
kann
Durch Jahrhunderte, seit der Renaissance, waren
die Herrscherhöuser Österreichs und Frankreichs
miteinander verfeindet gewesen. Das hatte zur
Folge, daß der Wiener Hof, konsequent in seiner
Gegnerschaft, auch französischen Einflüssen,
insbesondere auf dem Gebiet luxuriöser Wohn-
sitten und Einrichtung, ablehnend gegenüberstand.
Das Resultat ist bekannt. Bis weit über die Mitte
des lB. Jahrhunderts hinaus, zu einer Zeit also, da
die Möbelkunst in Frankreich eine Blüte ohne-
gleichen erlebte, die ihre Leistungen für ganz
Europa beispielgebend werden ließ, wurde für den
Wiener Hof auf diesem Gebiet nichts geschaffen,
das sich auch nur annähernd mit den Pariser
Erzeugnissen hätte messen können. Eine Wendung
trat erst ein, als zunächst in der Politik, angeregt
durch den damaligen kaiserlichen Gesandten am
Hofe von Versailles und späteren Staatskanzler,
Fürst Wenzel Kaunitz, endlich wieder eine
Annäherung und schließlich sogar ein Bündnis der
beiden Länder zustande kam.
Kaunitz hatte sich in Paris sehr genau umgesehen
und auch die kulturellen Belange nicht außer acht
gelassen. Dabei war er zu der Überzeugung
gekommen, daß die wichtigste Voraussetzung für
das allgemein so hohe Niveau der dortigen
dekorativen Künste in einem wohlorganisierten
Unterricht und in der Schulung der Handwerker
bestand. Diese Erkenntnis wußte der Staatskanzler
sogleich nutzbringend anzuwenden, als er im Jahre
l773 für eine Reform der Wiener Akademie der
Künste eintrat, deren Protektor er war. Unter der
neuen Bezeichnung: „K. k. Akademie der vereinig-
ten bildenden Künste" umfaßte sie fünf Abteilungen,
nämlich die für Malerei, Bildhauerei, Erzschneide-
kunst, Architektur und Kupferstecherei. Die Ab-
teilung für Erzschneidekunst war die Nachfolgerin
der ebenfalls von Fürst Kaunitz im Jahre 1758 als
Folge seiner Pariser Eindrücke angeregten „Erz-
verschneiderschule" oder „Possier-, Verschneid-
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