herzog Ferdinand von Tirol (1520-1595) im
Schloß Ambras bei Innsbruck angelegten Samm-
lungen erläutert; Sammlungen, die den Grund-
kern der diversen Wiener Museen bieten solltent.
Gerade in den Ambraser Sammlungen begegnet
man den interessantesten Beispielen von kunst-
voll und geistreich gestalteten Prunkgeräten, de-
ren Hauptbestandteil Muscheln aus dem Mittel-
meer und dem Indischen Ozean sind. Merk-
würdigerweise sind aber gerade diese im Mit-
telpunkt vorliegender Betrachtungen stehenden
Kunstgegenstände in den alten Katalogen nur
ganz beiläufig erwähnt, in einem unverkennba-
ren Stil subalterner Dienstboten gehalten, wie
von Schlosser ihn humorvoll kommentierts.
Das „Ambraser Aquamanile" ist hierfür ein ge-
radezu klassisches Vorbild: vier Meerweibchen
halten mit ihren Armflossen vier „Tridacna"-
Schalen, während ie eine „Pecten"-Schale zwi-
schen den Bein-Fischschwänzen eingeklemmt ist.
In die runde Fassung des Schüsselbodens paßt
die „Triton"-Kanne I, wobei ein Triton mit wasser-
triefendem Haar das fein gemaserte Gehäuse
balanciert. Fassung der Schüssel und Kannen-
träger sind in vergoldetem Silber ausgeführt,
in den Werkstätten des Elias und Cornelius Groß
in Augsburg in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts.
Zu einer heute verlorenen Schüssel sollte wohl
die „Triton"-Konne II passen. Hier ist die Basis
ein Metailabguß nach einem „Pecten iacoba-
eus", aus dem ein architektonisches Element in
Doppelvolute autsteigt, fast als eine Trage für
den finster dreinschauenden Triton, auf dem die
Schale lastet. Wie eine auffallende ähnliche
Tragse mit schreitendem Satyr und fein bemaltem
„Nautilus"-Becher in den Staatlichen Kunstsamm-
lungen zu Kassel mit einem unidentifizierten
Meisterzeichen sowie dem Beschauzeichen Ant-
werpen etwa 1560-1570 zeigt, kann diese Kanne
ebenfalls als ein holländisches Kunstwerk be-
trachtet werdenf.
Geistreich gegliedert ist der „Triton"-Leuchter:
den runden Fuß zieren fünf „Pecten", dann, am
Stamm, fünf kleine „Cordium Venus". Die wohl
abgeschnittene Spitze steckt in einer Hülse, so
daß die Öffnung nach oben weist, während
ein geflügelter Triton mit Wurmleib heraus-
kriecht, mit den Händen Halt suchend, während
er auf dem Kopf die Hülse für die Kerze balan-
ciert; an dieser fünf kleine „Cardium'".
Viele Nürnberger und Augsburger Goldschmiede
verarbeiteten die wohl in größeren Mengen auf
den Markt kommenden Schalen des „Nautilus
pompilius". Aber auch in London und Paris
erwachte das Verständnis für die neuen und un-
erwarteten künstlerischen Möglichkeiten, die von
weltlichen und kirchlichen Mäzenen großzügig
gefördert wurden, so daß heute viele europäi-
sche Museen mit solchen Prunkgeräten aufwar-
ten können. Eine systematische Bestandsaufnah-
me dieser Sondergattung von Goldschmiedewer-
ken würde manche neue Einsicht in die kulturellen
Verhältnisse Europas im 16. und 17. Jahrhundert
ergeben, mit besonderem Bezug auf den Manie-
rismus, in den sie sich mühelos einordnen lassen.
Das Manuskript dieses Aufsatzes war bereits
im Mai 1976 abgeschlossen, als zu Beginn dieses
Jahres der in ieder Hinsicht überraschende
Prachtband von J. F. Hayward zur Auslieferung
gelangte: „Virtuoso Goldsmiths and the triumph
of Manierism, 1540-1620". Weitgehend be-
rücksichtigt dieser Kenner die immer kostbaren,
oft recht geistreichen Fassungen exotischer Meer-
muscheln und ordnet sie den anderen Meister-
werken der europäischen Goldschmiedekunst zu.
Die Fülle des Gebotenen erlaubt eine prinzipiel-
le Feststellung: Neben vielen wirklich hervorra-
genden Leistungen dieser Epoche - inbegriffen
4
die Halbedelsteingefäße aus Mailänder und
Florentiner Werkstätten in ihren kostbaren Fas-
sungen - hat das Virtuosentum als Endzweck
Werke hinterlassen, die in ihrer Überladung, bei
aller Anerkennung ihres technologischen Raffine-
ments, vom ästhetischen Gesichtspunkt zumeist
unbefriedigt lassen: eben weil die maßlose, un-
gezügelte Vielfalt des Beiwerks die Grundformen
bis zur Unkenntlichkeit überwuchert.
Wenzel Jamnitzers „MerkeIscher Tafeloufsatz",
der „Nautilus"-Pokal von Nikolaus Schmidt, der
Poradeschild des Pierre Redon sind solche Grenz-
fälle, denen gegenüber das Salzfaß des Ben-
venuto Cellini fast klassizistisch wirkt. Er beweist
den Zwiespalt seiner Zeit: Im lateinischen Geiste
immer noch ein Prinzip der Selbstbeherrschung
gegenüber der überkommenen klassischen Form
- im nordischen Geiste dagegen ein hemmungs-
Ioses Drängen bis zum unbegrenzten Fabulieren
und damit verbunden ein unbezwinglicher Drang
zum „Zeigen, was man kann".
Aber, wie immer man sich zum Manierismus in
der Goldschmiedekunst stellen mag, auch in sei-
nen ins letzte Extrem getriebenen Möglichkeiten
muß man seinen Meistern eine Fülle von phanta-
sievollen Einfällen zugestehen, wie man sie in
neuerer und iüngster Zeit nirgendwo mehr an-
trifft. Ein letztes Nachleuchten waren in dieser
Hinsicht „Liberty", „Art nouveau" oder „Floreal".
Die beiden katastrophalen Weltkriege in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ihre
verheerenden Folgen auch in der Geistessphäre
haben die „Lust zum FabuIieren" radikal ausge-
Iäscht.
Bei der Reichhaltigkeit der europäischen Samm-
lungen - wie etwa im „Grünen Gewölbe" zu
Dresden und im Germanischen Museum zu Nürn-
berg - mußte leider die Auswahl innerhalb enger
Grenzen erfolgen: richtungweisend die Wiener
Sammlungen, dann Beispiele aus Nürnberg und
Salzburg, von hier teilweise nach Florenz in das
heutige „Museo degli Argenti" gelangt.
Erzherzog Ferdinand von Tirol besaß nicht nur
Prachtexemplare von „Triton" und „Tridacna",
sondern auch eine Reihe schöner „Nautilus", die
von genialen Meistern zu auch heute noch an-
ziehenden Kunstwerken gestaltet wurden, auf
die noch zurückzukommen sein wird. Sein naher
Verwandter Wilhelm V. Herzog von Bayern er-
warb um 1570 eine Prunkkanne, welche Wenzel
Jamnitzer kurz vorher aus zwei großen „Trochus"-
Schalen gestaltet hatte, nachdem diese bis aufs
Perlmutter abgeschliffen waren'. In ieder Hin-
sicht eine Meisterleistung des Manierismus, über-
rascht diese Kanne durch die Vielfalt geist-
reicher Einfälle und schnurriger Absurdität: Ein
Adler Iäßt sich auf eine nach der Natur ge-
gossene „Murex trunculus" aus dem Mittelmeer
nieder, deren Leib eine gewöhnliche Weinberg-
schnecke ist, die über sich ringelnde Schlangen
hinwegkriecht. Als Bekrönung das Meerweib-
chen der Fischersagen, wie sie noch Mitte des
vorigen Jahrhunderts der Dichter und Maler
August Kopisch an der Meerenge von Messina
und in Sorrento bei Neapel hatte sammeln
kännen'.
Dieser Prunkkanne aus zwei abgeschliffenen
„Tochus"-Gehäusen lassen sich noch einige an-
dere Werke mit derselben Meerschnecke an-
reihen.
So der in Nürnberg um 1660 entstandene Pokal
in der Schatzkammer der Residenz in München;
in den Einzelheiten ungemein sorgfältig, iedoch
ungelenk in der Gesamtkomposition: auf nach-
mittelalterlichem Achtpaßsockel ein Jäger mit
Spieß und Horn und seiner Meute. Vom Roll-
werk auf seinem Kopf steigen die vier Halte-
bänder auf bis zum angesetzten Rand; auf dem
Deckel baden Diana mit ihren Nymphen in
TROCHUS
5 „Trochus"-Kanne. Werk des Wenzel Jamn
Silber, vergoldet und emailliert. Mün
Schatzkammer der Residenz.
6 „Trochus"-Becher mit Diana und Aktäan in
Szenen. München, Schatzkammer der Resi
NAUTILUS, (NATURZUSTAND)
7 „Nautilus"-Becher auf Schildkröte und Schr
Schale im Naturzustand. Madrid, Cole
Jose Lazaro Galdiano.
Anmerkungen 4-11
'Julius von Schlosser, Kunst- und Wunderkammei
Spatrenalssonce - Ein Beitrag zur Geschichte des
melwesens, „Monographien des Kunstgewerbes", I
Leipzig 1908. S. 30, Abb. 28. Zum „Kircherianam".
Abb. 88.
5 Alois Primisser, Die Kaiserlich-Königliche Ambraser
Iung mit neuen Registern von Manfred Kramer. L
Stanclartverzeichnis und Register der beschriebenen
schritten vermehrter Nachdruck der 1809 in Wi
schienenen Ausgabe, Graz 1972. Dagegen unbede
A. F. Richter, Neueste Darstellung der K. K. Arr
Sammlung im Belvedere in Wien, Wien 1887 und 18'
Beispiel der nüchternen Beschreibung der kunstvc
faßten Naturalien (Richter was, s. 96197): „In
Schrank erhaltene Gefäße und Becher sind merk
sowohl wegen der Verschiedenheit des Stoffes ol
der Form. Pokale und Hausgerätschaften aus vergo
Silber, aus Kakosnüssen, Stroußeneiern, Rhinazerr
großen Muscheln, Perlmuttermltsdieln und Schildki
Gestalt der Vögel, Drachen, eines Pelikans, eines I
eines Fahnenträgers, Schiffes, einer Erdkugel un
schiedener anderer Dinge, sämtlich zum Trinken
richtet, ergätzen das Auge auf eine überraschenc
Die varzüglichsten sind unter den Nummern 1, 2, E
6, 7, B, 9, 10, 11, 12, 13 und 38 enthalten. Unt
letzten Nummer bewundert man eine Schüssel aus
kröte wegen ihrer seltenen Größe merkwürdig [I
VI, Schrank 1)."
i Hayward, op. cit., S. 397, Abb. 609.
lSchlosser, op. cit. S. 50, Abb. 28.
' Hans Tttoma - Herbert Brunner, Schatzkamme
Residenz München, Katalog, München 1964, S. 233
Nr. 567, Abb. 37, mit irreführender Bezeichnung „Pi
lersdlnecke". _
'August Kopisch, Gedichte. ausgewählt und elttg
van Franz Brümmer, Leipzig o. J., Philipp Raclar
Die Feen zu Meta, S. 141, Die Meerfee, S. 143.
'" Hayward, op. cit., Farbtafel Xlll nach S. 140, Text
und 334, mit der exakten Angabe „Trochusrshell"_.
1' Hayward, op. cit. S. 383, Abb. 476 und 477. Diesi
dienstvolle Autor bietet nach einige andere Be
künstlerischer Auswertung von „Trochus"-Gehäusel
Hans Petzolcl in Nürnber , ini lmparrnuvszeti Muzr
Budapest; iugendlicher eergatt reitet auf einem
bläst ein „Triton"-Horn und balanciert die Musd
dieser eingesetzt ein hodtragender Becher, dessen
eine Halbfigur bekränt: eine Nymphe mit Hands
S. 333, Abb. 479. Van einem unbekannten Meister
werpen, um 1560, die denkbar einfachste Gestaltu
dein auf einen massiven Fuß direkt die Schale i_r
gesetztem Metallbecher gesetzt ist - geistig lreii
strengung; jetzt in den Musees Rayaux d'Art et d'l'
zu Brüssel. „TrochuW-Gehäuse wurden, nach Absdtl
Politur, mit Schablonenn gleichförmig zerschnitte
wie Kameen oder Edelsteine gefaßt zu werdemueirle
des Elias Geyer in Leipzig rnii etfektyoller Losung
im „Grünen Gewölbe" zu Dresden. Ein sllberverg
Salzfaß, ohne iegliches Kennzeichen, _wohl Engla
1600, mit Plattierungr gegenwärtig im Raval (
MIJSeUm zu Toronto. Endlich ein eleganter Flakor
land oder Holland, erste Hälfte des 17. Jahrhundi
einer Privatsammlun zu London. Haywatifs i
„mother of pearl" stimmt nicht, da klar und deutl
schräge Verlaul der Kante mehrerer verarbeitet:
hause erkennbar ist. Übrigens ist dieser ganz t
erscheinende Flakon inmitten des „Sdtatzes der__'
Paston" Gemälde von englischer oder hallan
Hand dargestellt, ietzt im Castle Museum zu N
Zu diesen zerschnittenen „Trochus": Hayward, o
S. 392 und Abb, 561; S. 403 und Abb. 674; S. 4
Abb. 690. Das Gemälde beschrieben S. 405 und AbI