bis dahin unbekannte Spannweite der motivi-
schen und rhythmischen Variationsmöglichkeiten.
ln Kremsmünster wird diese Variabilität und
ihre perspektivisch-malerische Struktur bei den
Durchblicken aus dem Mittelschiff in die Ge-
wölbezone der Seitenschiffe ersichtlich. Völlig
der Architektur zugeordnet erscheint die Gir-
lande unterhalb des Gesimses im Mittelschiff,
in aufgelockerter Form an den Bogenunterzü-
gen der Mittelschiffsarkaden und frei rhythmi-
siert an den Außenwänden der Seitenschiffe.
Die rhythmisch geschwungene Girlandenform
wiederholt sich verkleinert in den verräumlich-
ten Kartuschen auf den Bogenscheiteln des Mit-
telschiffs, womit eine rhythmische Korrespon-
denz zu den Ausbuchtungen der Balustrade über
dem Gesims verbunden ist (Abb. 14). Diese
räumlich übergreifende rhythmische Korrespon-
denz des Girlanden- und Balustradenmotivs bil-
det die grundlegende Verwandtschaft mit der
Kuppelstukkatur Barbarinos in der Servitenkir-
che Wien. Dort wiederholen sie den längsava-
len Raumgrundriß und sind zugleich als über-
greifende Rahmenform bzw. als Bildsackel den
Deckengemälden zugeordnet (Abb. 15). Die Ge-
samtröumlichkeit der Girlande kommt in Krems-
münster vor allem dadurch zustande, daß sie
van den Bogenunterzügen der Mittelschiffsarka-
den und zwischen den Gewölbeiochen der
Seitenschiffe auf die Kapitellzone übergreift und
von dort an den Außenwänden in die Ge-
wölbedekorationen hinüberführt (Abb. 16). Da-
durch wird in den andersartigen Gegeben-
heiten eines mittelalterlichen Raumes dassel-
be erreicht wie im Ovalraum der Wiener Ser-
vitenkirche, nämlich eine ornamental instrumen-
tierte nicht abreißende Bewegung, die alle Raum-
teile miteinander verbindet. In diesen verschie-
denen Raumbereichen wird die Girlande einer
ständigen motivischen Variation und einer sol-
chen in der plastischen Stärke unterworfen, wo-
bei das optische Prinzip der Untersicht im Hin-
blick auf die Deckengemälde konsequent einge-
halten wird. Die Gewölbestukkaturen der Seiten-
schiffe verwirklichen dieses Prinzip der raumpla-
stischen Differenzierung und des ständigen Mo-
tivwechsels aufgrund ihrer Nahsichtigkeit am
konsequentesten (Abb. 17). Auf engstem Raum
erscheinen hier zwischen den Bogenunterzügen
und Deckengemälden die verschiedensten
pflanzlichen Motive in wechselnder plastischer
Stärke, so daß ein kontinuierlicher optischer
Ablauf zum Bildraum der Deckengemälde ent-
steht. Das Prinzip des ständigen Motivwechsels
finden wir bei der Kuppelstukkatur der Wiener
Servitenkirche an den Übergängen von den
Stichkapppen und Zwirkeln zum Kuppelscheitel
besonders prägnant ausgebildet (Abb. 18). Das
rhythmische Zusammenspiel der verschiedenen
Girlandenmotive mit den Draperien und figür-
lichen Elementen zeigt in Kremsmünster bei den
Eckdekoratianen am Westende der Seitenschiffe
die engste Verwandtschaft mit der Servitenkir-
che. Die eckverschleifende Gewanddrapierung
der Stuckplastik, das Verhältnis ihres Hauptes
zu den vom Gewölbegrat herabhängenden
Blattstäben und die von dort ausgehenden Rah-
men- und Gratornamente in jeweils andersarti-
gen naturalistischen Formen veranschaulichen
den Motivwechsel und die raumplastische Dif-
ferenzierung in Reinkultur (Abb. 19). Besonders
charakteristisch für Barbarinas Ornamentstruk-
tur an diesen räumlichen Übergängen und Ge-
lenkpunkten sind die Kartuschen, die sich über
den Jochtrennungsbögen der Seitenschiffe aus
den Gemälderahmen lösen und von denen bei-
nahe freiräumliche Kelchblattgirlanden herab-
höngen (Abb. 20). Funktionell und motivisch
entsprechen sie völlig den Kartuschen zwischen
den Fensterscheiteln und Stichkappen in der
Kuppel der Servitenkirche. An dieser Stelle er-
kennt man die räumliche Aufgliederung und
Lösung des Rahmenornaments zu einer vor der
Architektur und den Deckengemälden beinahe
schwebenden Schicht mit rhythmisch-räumlicher
Eigengesetzlichkeit als die beherrschende Struk-
tur der Stuckdekoration in der Stiftskirche Krems-
münster. Aufgrund der damit gegebenen s
turellen Identität mit der Kuppelstukkatur i:
Servitenkirche Wien ist der Gesamtentwur
Kremsmünsterer Stuckdekoration Giovanni
tista Barbarino zuzuschreiben.
Die oben beschriebene Aufgliederung des
menornaments finden wir strukturell und
visch eng verwandt über den Eingangsk
zum Altarraum im Mausoleum von Ehrenhi
(Entwurf: Joh. Bernhard Fischer v. Erlach.
führung: Alexander Serenio, um 1689190.
21W. Die Übereinstimmung mit den Stuck
ratianen Barbarinas ist verblüffend. Doch
aus einen direkten Einfluß Barbarinos a:
scher v. Erlach abzuleiten, wäre voreilig
für beide Meister eine gemeinsame strukt
Vorstufe in Rom nachgewiesen werden
Die Abschlußkapelle des linken Seitens:
in S. Larenzo in Damaso besitzt eine von
da Cortona entworfene Gewölbestukkatur
1635)", welche die verräumlichende Aufg
rung des Rahmens mittels Festons unter l
ziehung vallplastischer Engel zeigt (Abb
Die Rahmen- und Girlandenstukkatur ir
Attikazone der Seitenapsiden von Kremsm
stimmen mit Cortonas Dekoration struktui
einem Maße überein, daß sein bestimm
Einfluß hier offenkundig ist (Abb. 23). Die
terentwicklung dieser Ornamentstruktur be
tona erfolgt in den Stuckdekorationen dr
lazzo Pitti zu Florenz (1643-1647)". Be
tet man die stilgeschichtliche Situation der
dekorotion in Rom um 1640, so stößt ma
die Tendenz zur Lockerung der strenger
dung an die Architektur auch bei Borr
Das abgebildete Stuckdetail mit der lebl
Ornamentierung des wulstförmigen Flachki
rahmens im Palazzo Falconieri veranschx
die beginnende räumliche Lösung und de
mit verbundenen Motivwechsel (Abb. 24). l
selbe Richtung weisen die zwischen Archi
figürlicher Dekoration und Gemölderahme
gespannten und mit diesen großen Formel
trastierenden Voluten und Blattranken, I
den Gewälbezwickeln der Seitenschiffe i
Stiftskirche Kremsmünster erscheinen (Abi
Die strukturelle Übereinstimmung in der
mischen Gelöstheit des kleindimensioniertr
naments an einer Stelle starker raumplas
Spannungen mit dem abgebildeten Stucl-
aus Borraminis S. Maria dei Sette Dali