I0 Franz Xaver Messerschmidt. "Der alte fröhliche Läch-
ler". Wien, Österreichische Galerie.
11 Franz Xaver Messerschmidt, x-Schnabelkopl (2.). Wien.
Österreichische Galerie.
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der Dtärenzfälle-i. Solch ein Beispiel ist der sog.
y-iröhliche alte Lächler-t (Abb, 10). Lachen und Wei-
nen scheinen sich hierzu vermischen und sind nicht
exakt zu trennen. Messerschmidt hat, wie man se-
hen kann, das Gegenüberstellen und den Kontrast
von Ausdruckssituationen geliebt. Er zeigt deutlich,
daß das menschliche Gesicht eine Unzahl von Aus-
drucksmöglichkeiten besitzen kann. Jeder Part der
Physiognomie übernimmt eine ganz bestimmte
Rolle des Ausdrucksspiels. Die Augen, die Nase, die
Mundpartie und die entsprechenden Muskeln sind
Ausdrucksträger und wirken zusammen oder auch
gegeneinander. Eine Sondererscheinung im Oeuvre
Messerschmidts sind die sog. nSchnabelköpie-t.
von denen einer vorgestellt sei (Abb. 11). Es ist kei-
neswegs richtig, dal! diese Werke beziehungslos zu
den anderen stehen. Gerade ein Kopf (Abb. 12), der
das "hohe Alter-r genannt wurde. beweist das Ge-
genteil. nämlich daB die untere Partie des Gesichts
last ebenso schnabelartig nach vor geschoben sein
kann und die Mundpartie beinahe zu einem animali-
schen Gefüge geformt wird's? Die Beziehung von
hierzu den offenbar späteren "Schnabelköpfem ist
deutlich genug. Diese stellen überhaupt Grenzfalle
des menschlichen Ausdrucks dar und sind mit nor-
malen kunsthistorischen Maßstäben kaum meßbar.
(Ernst Kris spricht einmal von nphallischen Symbo-
lenrr.) Seit der Renaissance hat sich die Kunst mit
den Problemen der menschlichen und tierischen
Physiognomie beschäftigt. In der Entwicklungs-
reihe bis zum 18. Jahrhundert fällt auch ein Fran-
zose auf, der sich intensiv mit solchen Themen aus-
einandersetzte. Es handelt sich um Charles Lebrun,
der Hofmaler Ludwigs XIV. war. In seiner "Conte-
rence sur Vexpressiom, in der er sich noch auf den
Philosophen Rehe Descartes beruft", gibt er ver-
schiedene physiognomische und mimische Situa-
tionen wiederw. Als Illustration verwendete er zahl-
reiche schematische Darstellungen und Diagram-
me. Interessant ist. daß die Zeichnungen weite Ver-
breitung, sicher auch im deutschen Sprachraum ge-
funden haben, und möglicherweise sind auch Mes-
serschmidt die Lebrunschen Theorien bekannt ge-
wesen. Es gibt immerhin einige trappante Parallelen
zwischen diesen beiden Künstlern. Das Blatt Le-
bruns, das sich --la tranquillite- (Abb. 13) bezeich-
net, ist einen Vergleich wert mit Messerschmidts
Kopf des "Künstlers ernste Bildung- (Abb. 3). Le-
bruns Diagramm zeigt einen menschlichen Kopf en
face und en profil, der streng in ein Raster- und
Koordinatensystem eingespannt ist. Es ist hier nie-
mand konkret abgebildet, vielmehr wird eine Aus-
gangsposition beschrieben. Ruhe. Unbewegtheit,
Gelöstheit und zugleich Spannung drücken sich
aus. Ein weiteres Blatt Lebruns, nämlich wie risw
(Abb. 14), ist eine Demonstration des Lachens. ge-
wissermaßen das y-ideale-t Lachen, Hier läßt sich
13 Lebrun, Y-La Tranquillitek. Diagramm. Paris, Louvre.
14 Lebrun, wLe Flisu. Diagramm (No 32). Paris, Louvre,