richtig bewußt. Das Werk kann den Bezug auf die
Umwelt, auf ihre Gesetze dem Betrachter vermit-
teln (wie im nBogen-i) oder dem Betrachter Bedin-
gungen zu einem bestimmten Sehverhalten stel-
len (wie im i-Hügelbogenii).
In beidem wird die Rolle der Zeit greifbar.
Zeit und Licht
Zeit einer Plastik kann genausowenig wie ver-
gleichbar der Raum die physikalisch-empirische
i-AuBenzeit-i sein, die Dauer, die die Plastik sein
wird, schon war oder betrachtet wird. Zeit kann
auch nicht das sein, was mit der Plastik passiert,
etwa wenn sie als ganze bewegt wird.
Zeit muB wie der Raum sich als Eigenschaft der
Form in der Interpretation erweisen. Zeit kann als
Parameter jeder Veränderung damit auch Ver-
ständniswandlungen meinen.
Aber, und das ist das eigentliche Problem, für das
Hinweisen auf zeitliche Aspekte setzt man schon
eine Zeitvorstellung voraus. Wenn es relativ leicht
scheinen mag, sich am Raum der Werke unabhän-
gig vom Leer-Raum darumherum zu orientieren, so
schwer ist es, der Werke Eigen-Zeit überhaupt
sichtbar werden zu lassen. Dies kann nur in Bezie
hung zum Interpreten geschehen.
Zeit als Parameter jeder Veränderung ist für den
Interpreten nicht einfach Vergangenheit, Gegen-
wart und Zukunft. Dem wahrnehmenden Interpre-
ten sind nämlich Vergangenheit und Gegenwart
nicht Parameter von Veränderungen. In der Inter-
pretation, die immer nur als gegenwärtiger Prozeß
stattfinden kann, ist allein Zukunft Medium des
Wandels, also Zeit (dem historischen Betrachter
liegen vergangene 1, 2, 3 oder 10 Jahre gleich ne
beneinander, die Zeit in diese Richtung ist nicht
mehr möglich, während in die Zukunft 1, 2, 3 oder
10 Jahre genau diese Zeitspanne von heute ge-
rechnet brauchen, um überblickt zu werden). Man
kann Zeit nicht ontologisch, zeitlos definieren wol-
len. Die in der Form angelegte Offenheit einer Pla-
stik, die der Wahrnehmende erfüllen wird, das ist
Zeit.
Nicht bei jeder Form kumulieren sich die Einsich-
ten zu einem Gesamtbild, wie bei der "Mutter mit
Kind-r (Abb. 1), dem Werk, dessen Rezeption sich
ansammelt, bis keine Frage nach der Form mehr
offen ist. Dem räumlich-kompakten MaterieBlock
entspricht ein begrenzter Zeit-Block. Erst dieser
begrenzte Zeit-Raum macht eine ruhig-dauernde
Betrachtung möglich. Dieser Dauer der empiri-
schen Zeit unterliegen aber keine Veränderungen
der Ansichten der Plastik, der Eigenzeit mehr.
Beleuchtung, sie verändern am Formaten nichts.
Die Plastik ist jedem Wahrnehmungsmodus ge
genüber offen. Raum-Licht und Zeit-Struktur sind
von gleicher Einfachheit, die die archaisierende
Gebundenheit erfüllt. Ganz konkret: ob bei einer
bestimmten Beleuchtung eine Wange glänzt oder
bei einer anderen im Schatten liegt, verändert
den Ort der Wange nicht, der Licht-Schatten-
Gegensatz kann sie nicht weiter oben-unten-
seitwärts-etc. ansetzen lassen, die Grenzen sind
stabil.
Bei der "Saitenplastikii (Abb. 2) ist ein Lichtwandel
für die Betrachtungs-Zeit-Einheit nicht belanglos,
da eine Licht-Schatten-Grenze nicht in der eben
beschriebenen Weise mit einer Raumgrenze iden-
tisch sein muß. Den nachvollziehbaren Teilräu-
men entsprechen Teilzeiten, in denen die Wahr-
nehmung nur diese sich im Llchtwandel mehr oder
weniger verändernden Teilräume erfaßt, ohne auf
andere rückschließen zu können. Wie es keinen
einheitlich beschreibbaren Raum dieser Plastik
gibt, ebensowenig lassen sich die Teilzeiten unter
eine gemeinsame Dauer subsumleren. Dieses
Werk ist nicht von einer Seite ruhig zu betrachten,
immer entzieht sich ein Teil mit eigener Raum-
Zeit, die nicht vorstellbar zu ergänzen ist. Im Be-
leuchtungsspiel der nSaitenplastikrr kann man
nicht während der Wahrnehmung wzeitweiserr aus-
setzen, denn dann entgehen jeweils sich in den
Teilräumen konkretisierende Lichtverhältnisse
(oder im Licht sich, vorher durch Schatten ver-
deckte, nun öffnende Raumverhältnisse). Das
Werk verhüllt sich vor Pausen der Wahrnehmung
und harrt nicht aus.
Die beiden ersten Werke reagieren auf Licht-
Wechsel jeweils verschieden. Dieser Wechsel ist
ein Zeitfaktcr; wenn ein Werk mehr als ein anderes
darauf anspricht, ist daraus zu schließen, daB es
in seiner Form offener auch der Wahrnehmung ge-
genüber ist. Die Form an sich zeigt dem passiven
Betrachter nichts, sie gibt aber dem Rezipienten
mehr oder weniger Bewegungs-Spiel-Raum.
Der entscheidene Schritt von einer verhältnismä-
Big primitiven Zeit-Form zu komplizierten Zeit-
Bezügen geschieht mit dem Ausbrechen kompak-
ter Oberflächen und der Schaffung von Innenräu-
men, womit ein Gleiten der Wahrnehmung um eine
und an einer Skulptur nicht mehr möglich ist.
Die folgenden Werke haben mit dem Licht sicht-
bar werdende Zeitstrukturen, die in der Bespre-
chung des räumlichen Aspektes schon angeklun-
gen sind.
Bei der nLiegenden Figur Nr. 14: (Abb. 3) wird in der
U m1 NULLDH
legt. Hierbei sind die verschiedenen Kreisläufe, in
die sich die Wahrnehmung einstimmt, das wich-
tigste, durch andere Blickinseln zu ergänzen, zeit-
liche Moment.
Wir sehen, daß grundsätzlich in derzeitbezogenen
Analyse verschiedene Bewegungsrichtungen und
-arten zu unterscheiden sind. Einmal wird die
Skulptur von allen Seiten betrachtet, dann von ei-
nem perspektivischen Feld vor dem Werk aus.
Schließlich können beide Arten unerschöpflich
kombiniert werden wie in der "Stehenden Doppel-
figuni (Abb. 4), die im jeweiligen Durchblick beim
Umschreiten sich nicht zu einem einheitlichen
Form-Bewußtsein fügt. Damit hat die Betrachtung
immer wieder anzusetzen, und die Zelt erfüllt sich
nicht in einfacher Weise wie z.B. in einem Um-
schreitungskreis.
In den 50er Jahren kann durch die Emotionalisie
rung der Formensprache auch eine Veränderung
der Geschwindigkeit notwendig werden. Das er-
schreckende Weichen der Mutter vor dem schna-
belnden Kind (Abb. 5) findet jäh und überraschend
statt, während ihr gemeinsamer Unterleib ruhig
bleibt.
Die im Scnnenlauf sich bewegenden Beleuch-
tungssituationen, der überindividuelle Tages- und
Jahreslauf, prägen langfristig die abgeschliffene
Felsen-Baum-Ruine des l-Bogensii (Abb. 7) von
oben her. Das Momentane ist genommen, in im-
mer neuen Varianten ordnet sich annährend der
Wahrnehmungsprozeß des Betrachters unter.
Zum Licht-Spiel hinzu tritt endlich beim w-Hügelbo
gen-i (Abb. 8) auch noch eine Determinierung der
Bewegung und damit eine Beschränkung mögli-
cher Einsichten in die zeitlichen Bezüge innerhalb
der Plastik.
Sch IuB
Der vorangegangene Ansatz, die Zeit als konstitu-
tive, der Form immanente Offenheit (und auch
Verschlossenheit) der Wahmehmungsbewegun-
gen aufzuzeigen, lassen einen Mangel erkennen:
unsere fehlende Sensibilität der Zeit gegenüber.
Die Zeit wird in naivem Rationalismus als eindi-
mensional und gestaltlos vorgestellt. Identifiziert
man sie mit dem potentiellen Feld der Wahrneh-
mung, erkennt man bald die Notwendigkeit einer
Erweiterung des Begriffes. Es kommt nicht auf die
Länge der (eindimensionalen) Zeitspanne an,
wenn man sich dem Werk nähert, sondern auf die
Art der Bewegung.
Die eindimensionale Zeit ist formal übersetzt das
Abschreiten einer Linie. Wenn man um ein Werk
im Kreis schreitet, so ist das eine weitere formale
Umsetzung, die historisch betrachtet dem mythi-
schen Denken als Zeit zugrunde lag. Und darüber
hinaus gibt es die Notwendigkeit ohne Achsen-
zentrum, den Formen folgend in mehrere Richtun-
gen (und Dimensionen) den Blick zu lenken. Mitei-
nigem Recht ist daher auch schon versucht wor-
den, solche Bewegungsarten als Zeitdimensionen
den Raumdimensionen (Punkt, Linie, Flache, Ku-
bus) anzuschließen.
Und auch das Licht ist nicht ein Zustand, sondern
das zentrale Medium, das uns Raum und Zeit als
Aspekte der Form erschließen läßt.
7 Henry Moore, Der Bogen, 1963 und 1969
8 Henry Moore, Der Hügelbogen, 1972. Seit 1878 vor der
Karlskirche in Wien
Ll Anschrift des Autors:
Dr. Thomas Zaunschirm
Assistent am Institut fllr Kunstgeschichte
der Universität Salzburg
Zillnerstraße 6
5020 Salzburg
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