Siegfried Wichmann
Begegnungen
ostasiatischer
und europalscher
Kunsttraditionen in der
Malerei und Graphik des
19. Jahrhunderts
(Kunstdidaktische Bildreihen zum
Japonismus ca. 1850-1910).
I. Keine Methode didaktischer Kunstvermittlung
überzeugt mehr, als die genetisch aufgebaute
Bildreihe.
Von einem Grundtypus ausgehend, zeigt sie
viele Varianten, wie unsere japanischen und
europäischen Beispiele erläutern. Der Reihen-
vergleich ist thematisch beweiskräftig und gibt
darüber hinaus Auskunft über die künstlerischen
Mittel, wie Farbe, Form, Linie, Raum, Licht und
Schotten. Die Bildanalyse vermittelt jedoch dem
Betrachter prozeßhafte Abfolgen, die zu den je-
weiligen Motivationsansätzen führen und zu
vielfältigen interdisziplinären Ansätzen anregen
können. Die Frage nach dem Zustandekommen
bestimmter künstlerischer Analogien und Rezep-
tionen durch die Begegnung japanischer und
europäischer Kreativität ist durch das plurali-
stische Bildmaterial also gewährleistet.
Im Zentrum der Darlegungen steht hier die
Gliederung und Konzeption der Ausstellung
„Weltkulturen und moderne Kunst" in München
1972. Auch die in unserem Beitrag vorgestellten
Reihungen wählen aus dieser die Ostasien-
abteilung bewußt aus, um einmal den geogra-
phischen Bereich zu wahren, aber auch darüber
hinaus die Breitenwirkung der Themenstellungen
und Mittel überzeugend darlegen zu können.
Ein weiterer Kommentar im folgenden Heft wird
die Abteilungen Orient, Afrika, Ozeonien, Afro-
und lndoamerika berücksichtigen. Eine kurze In-
formation zum historischen Ablauf sei hier vor-
angestellt.
ll. Die durch den Commodore Perry am 31. März
1854 erzwungene Öffnung der japanischen Hä-
fen veranlaßte einen regen Austausch in allen
Wirtschaftssektoren, aber auch im Bereich der
Künste. Weltausstellungen, neue Verkehrswege
und technische Planungen trugen zum Verständ-
nis bei und öffneten das gegenseitige Interesse
an den Lebensformen. Japanische Seide, Porzel-
lan und Lack und vor allem Farbholzschnitte
vermittelten die kulturelle Bedeutung des Landes.
Die Künstler Frankreichs kamen mit Hokusais
„Manga" in Beziehung. Dieses fünfzehnbändige
Skizzenbuch, in zweifarbiger Holzschrlittechnik
ausgeführt, vermittelt treffend die alltägliche
Umwelt Japans. Sicher waren es auch die zahl-
reichen japanischen Anleitungsbücher, die ge-
nauso wie die Manga-Bände Einfluß ausgeübt
haben. Lackdosen, Fächer aus europäischem
Pappmache wurden hergestellt. Der Verleger
Zu den Bildreihen:
Die „Vergitterung" als tiefräumliche Sichtstufung
im japanischen Holzschnitt und der westlichen Malerei
im 19. Jahrhundert (Abb. 1-9) - (S. 51)
„Der Sinn für klare Gliederung im japanischen Farbholz-
schnitt hat mich von der ersten Begegnung an mit ihm
beeindruckt. Die Horizontale steht immer in einem inter-
essanten Verhältnis zur Vertikalen. Reiche Flüchen- und
Raumbezüge werden vom japanischen Maler erdarht. .. Er
vermag sogar ein Gitterwerk in Form von Pfosten oder
Baumen im Vorder-, Mittel- ader Hinlargrund zu entwickeln,
das künstlerischen Aufgaben dient . . ." (Abb. 1). Dieses Zi-
tat von Emil Orlik ist einem Schreiben an Julius Kurth ent-
nammen, zwei bedeutsame sarnrnler des Ukiya-e. Die
gradlinige Unterteilung im gitterhaften sinn war in Japan
durch pfostenartigen Baumwudls ge eben (Abb. 5, B). Die
vertikal stehenden Bambuswälder o er Zedernhaine mit ih-
ren kerzengeraden Schäflen und Stämmen vermitteln dem
Künstler iene Durchsicht, die er auch in seinen künstleri-
sahen Darstellungen gestaltet. Schon in den sechziger Jah-
50
Theodore Duret und der Sammler Cernuschi
brachten zahlreiche japanische Holzschnitte von
einer Japanreise mit. Später bot Siegfried Bing
in Paris Tausende Exemplare zum Kauf an.
Vincent van Gogh erhielt durch die reiche Aus-
wahl des Angebotes entscheidende Impulse. Die
Ausstellung japanischer Holzschnitte in der
Ecole des Beaux Arts ließ die künstlerische
Größe aller japanischen Maler von Nishikowa
Moronobu bis hin zu Hokusai erkennen. Auch
die Utagawa-Schule trat auf Grund eigenarti-
ger Farbmodulationen ins Blickfeld. Die Jugend-
stilmalerei bis hin zum Frühexpressionismus er-
hielt aus diesen Bereichen starke Impulse.
lll. Die Gliederung der Ostasienabteilung in der
Ausstellung „Weltkulturen und moderne Kunst"
nach motivischen Sektionen, wie z. B. „Der
Kimono als modisches Requisit" u. a., oder nach
Themen, wie z. B. „Die Brücke", „Felsen im
Meer" oder aber „Wellensysteme", der japa-
nischen Kunst führten zum Verständnis gewisser
Lebensformen Ostasiens. Die Aufteilung in Ge-
biete der künstlerischen Mittel gab eine Einsicht
in das Kunstwollen der Schöpfer: Diagonal-
prinzip, Vergitterung, Bewegungsaktionen der
Gestalt, komplizierte Formate zur Steigerung
durchdachter Kompositionen, gezielt ange-
wendete Massierungssysteme, Flächenstrukturen
im Bild oder kalligraphische Kleinstrukturen als
Chiffrierung von Objekten, die abkürzenden
Tuschabbrevationen bis hin zur kalligraphischen
Übung, aber auch inhaltlich - symbolistische
Methoden wurden vorgeführt und haben den
tieferen Sinn und vor allen Dingen Absicht und
Ziel der schöpferischen Gruppe oder des einzel-
nen vorgestellt. Die japanischen Vielfarbenholz-
schnitte - Ukiyo-e - lenken nicht nur den Blick auf
Themen der nahen Umwelt, wie das Theater und
die Sage, sondern die fließende, bewegte Welt
im Nah- und Fernblick ist Aufgabe und Ziel.
Die Kompositionen der japanischen Farbenholz-
schnitte vermitteln den europäischen Malern in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neue
Raumflächenbezüge.
Bildparalleler Aufbau und tiefenräumliche Illu-
sion werden zur Synthese geführt. Pfeilförmige
Sicht im Sinne eines einzigen Tiefenzuges oder
gestaffelte Sichtabläufe führen zu dynamischen
Naturraumsuggestionen. Starke Niedersicht ver-
mittelt Raumferne und Tiefenflucht. Die Bildraum-
grenze wird aufgelöst, neue Blickwinkel entste-
hen und prägen die europäische Naturraum-
Wiedergabe.
lV. Die Unterteilung nach diesen thematischen
und künstlerischen Merkmalen wurde zum er-
stenmal in der Ausstellung in München vorge-
führt und hat reiche Nachfolge gefunden. Der
Wert der Ausstellung ist gerade in diesem Be-
reich von Bedeutung, haben doch vor allen
Dingen die japanischen Forscher und nicht min-
der auch die französischen Spezialisten auf di
sem Gebiet die Methode der didaktischen Gli
derung aufgenommen, um nach diesem Prinzip
weiterzuarbeiten. Vor allen Dingen ist es Hide-
michi Tanaka, der in seiner Ulnspiration artisti-
que de Nympheas de Monet diese didaktische
ren des w. Jahrhunderts wird in Europa dieses „Gitter-
System" aufgenommen (Abb. a). Riviera verlegt seine
Baumreihen im sinne von Hokusai in den Fernraum und
vermittelt diesen so, dae dahinter eine zweite Raumzane zu
erkennen ist (Abb. 2). Aber audi Carl Thiemarln benutzt die
bildparallele Schichtung von Baumstämmen, um sie einem
tarbflädlenhaften System unterzuardnen (Abb. 9). Ein we-
sentliches Gestaltun selement des frühen w. Jahrhunderts
- der orthogonale fietsug wird damit durch bildparallele
Reihungen des Baumwuchsas hervorgerufen (Abb. 4). Über
die Öffnung hinaus sieht der Betrachter an den Baum-
stämmen vorbei in einen gestuften Fernraum, entweder
wird dieser durch farbperspektivische Gliederungen weiter-
geführt oder aber durdl verzahnt: Flächenformen oder
durch Verkleinerungen der Objekte JAbb. 6). Wichtig bleibt
für den Europäer, daß er durch ie Begegnung mit der
ostasiatischen Malerei viele Möglichkeiten der Raumauftei-
lung über die zentrale Perspektive hinaus erfährt und sie
auch schöpferisch anzuwenden weiß. Das Gitterwerk erhält
Unterteilung benützt und in den Themer
gen Felsen im Meer, Strukturen-Vergitte
Brücken-Motive und angeschnittene Obj
Werke Monets nachvollzieht. Damit err
jene Übersichtlichkeit, die auf Grund dr
zeugenden Beispiele das Konzept be
Tanaka hat unter denselben Aspekten ü
Einwirkung Japans auf Vincent van
gearbeitet (Bulletin Annuel du Musee h
d'art occidental). Auch Chisaburgh F. '
veröffentlichte in einem Sonderheft des N
für westliche Kunst, Tokyo, im Herbst 19
Studie zum Einfluß des japanischen Holzs
auf die europäische Malerei des 19. .l
derts. Deutlich ist auch in diesem Auf
spüren, daß Yamada die Ansätze und
rung der Ausstellung Weltkulturen he
um damit das Thema wissenschaftlich z
gen. Eine breite Forschung hat in Japal
begonnen unter der Anleitung von Juzo
hier wird Detailbereichen große Aufmerk
gewidmet. Die Arbeiten von Yoko Mc
gleichen Thema, die an einer quellenkur
Vergleichsstudie arbeitet, ist ebenfalls na
System der thematischen Unterteilung
baut. Aber auch in Frankreich arbeite
Berger an seiner Japonismus-Publikatic
Kontakt zu seiner genetischen Arbeit w
allen Dingen durch die Daten des JOPI
neu belegt; auf Grund der Ausstellung
zu einer freundschaftlichen Zusammenarb
ben diesen Gesamtübersichten sind zal
Einzelforscher damit beschäftigt, Künstl
Literaten, die dem Japonismus verpflich
ren, zu untersuchen und der Forschung z
lich zu machen. Auch hier sind japanisc
italienische Forscher maßgeblich beteiligt.
Durch die Ausstellung „Weltkulturen ul
derne Kunst" ergaben sich vor allern er
ziehungen zu den Hokusai-Forschern
Eine Zusammenarbeit mit Munesige N-
und Yurio Shinoda war bisher äußerst fr
und führte zu Kontakten mit zahlreiche
zialbearbeitern. Ergebnis ist die gerne
Edition des fünfzehnbändigen Werkes „ß
von Hokusai im Verlag „Jitsugyo no Nil
TokyoDie Parallelenzureuropäischen Beg
mit dem großen japanischen Maler wurc
bei erneut vorgestellt.
Auch die von R. A. Crighten erarbeitete t
lung „The Floating World" in London im
1973 zeigt deutlich, wie direkt das Ther
den Besuchern aufgegriffen wird, wenn si
zeugende Gliederung nach Sektionen nai
Die hier gegebene Zusammenfassung ist
lich ein Hinweis oder Zwischenbericht zu
ßen Thema, das in den kommenden M
mit einer umfassenden wissenschaftlichen
mentation vorgelegt wird.
C1 Unser Autor:
Prof. Dr. Siegfried Widlmann
Lehrkanzel für Kunstgeschichte
Staatl. Akademie der bildenden Künste
Karlsruhe 1
Reinhold-Frank-Straße B1
attrnals einen Eigenwert, der bestimmend die Betr
des Vordergrundes oder aber des Mittelgrundes
(Abb. 7). Aber gerade diese Auffassung betont das
das in der Farbhelle der impressionistisdlen Malers
sam aufgesogen wurde. Durch die Gegenwärtigkeit
eine neue Absprungssiahl, die fensterartig oder g
gelenkt wird.
Die Brücke als Bildthema in der ostasiatischer
europäischen Malerei des 19.Johrhunderts
(Abb. 10-22) - (S. 52, 53)
Die Darstellung der Brücke war schon immer für d
und Graphiker in Europa ein zentrales Thema. c
spiele sind von Hubert Robert übermittelt. Aber I
englischen Maler um Girlin, Canstable und Turne
sich die Brüdne wiederholt als Thema gewählt. Ur
Einfluß ja anischer und dninesisdler Malerei, vc
aber in dier Begegnung mit dem japanischen r
schnitt, erhdlt die Brückendarstellung in Europa g.