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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVIII (1973 / Heft 130 und 131)

Siegfried Wichmann 
Begegnungen 
ostasiatischer 
und europalscher 
Kunsttraditionen in der 
Malerei und Graphik des 
19. Jahrhunderts 
(Kunstdidaktische Bildreihen zum 
Japonismus ca. 1850-1910). 
I. Keine Methode didaktischer Kunstvermittlung 
überzeugt mehr, als die genetisch aufgebaute 
Bildreihe. 
Von einem Grundtypus ausgehend, zeigt sie 
viele Varianten, wie unsere japanischen und 
europäischen Beispiele erläutern. Der Reihen- 
vergleich ist thematisch beweiskräftig und gibt 
darüber hinaus Auskunft über die künstlerischen 
Mittel, wie Farbe, Form, Linie, Raum, Licht und 
Schotten. Die Bildanalyse vermittelt jedoch dem 
Betrachter prozeßhafte Abfolgen, die zu den je- 
weiligen Motivationsansätzen führen und zu 
vielfältigen interdisziplinären Ansätzen anregen 
können. Die Frage nach dem Zustandekommen 
bestimmter künstlerischer Analogien und Rezep- 
tionen durch die Begegnung japanischer und 
europäischer Kreativität ist durch das plurali- 
stische Bildmaterial also gewährleistet. 
Im Zentrum der Darlegungen steht hier die 
Gliederung und Konzeption der Ausstellung 
„Weltkulturen und moderne Kunst" in München 
1972. Auch die in unserem Beitrag vorgestellten 
Reihungen wählen aus dieser die Ostasien- 
abteilung bewußt aus, um einmal den geogra- 
phischen Bereich zu wahren, aber auch darüber 
hinaus die Breitenwirkung der Themenstellungen 
und Mittel überzeugend darlegen zu können. 
Ein weiterer Kommentar im folgenden Heft wird 
die Abteilungen Orient, Afrika, Ozeonien, Afro- 
und lndoamerika berücksichtigen. Eine kurze In- 
formation zum historischen Ablauf sei hier vor- 
angestellt. 
ll. Die durch den Commodore Perry am 31. März 
1854 erzwungene Öffnung der japanischen Hä- 
fen veranlaßte einen regen Austausch in allen 
Wirtschaftssektoren, aber auch im Bereich der 
Künste. Weltausstellungen, neue Verkehrswege 
und technische Planungen trugen zum Verständ- 
nis bei und öffneten das gegenseitige Interesse 
an den Lebensformen. Japanische Seide, Porzel- 
lan und Lack und vor allem Farbholzschnitte 
vermittelten die kulturelle Bedeutung des Landes. 
Die Künstler Frankreichs kamen mit Hokusais 
„Manga" in Beziehung. Dieses fünfzehnbändige 
Skizzenbuch, in zweifarbiger Holzschrlittechnik 
ausgeführt, vermittelt treffend die alltägliche 
Umwelt Japans. Sicher waren es auch die zahl- 
reichen japanischen Anleitungsbücher, die ge- 
nauso wie die Manga-Bände Einfluß ausgeübt 
haben. Lackdosen, Fächer aus europäischem 
Pappmache wurden hergestellt. Der Verleger 
Zu den Bildreihen: 
Die „Vergitterung" als tiefräumliche Sichtstufung 
im japanischen Holzschnitt und der westlichen Malerei 
im 19. Jahrhundert (Abb. 1-9) - (S. 51) 
„Der Sinn für klare Gliederung im japanischen Farbholz- 
schnitt hat mich von der ersten Begegnung an mit ihm 
beeindruckt. Die Horizontale steht immer in einem inter- 
essanten Verhältnis zur Vertikalen. Reiche Flüchen- und 
Raumbezüge werden vom japanischen Maler erdarht. .. Er 
vermag sogar ein Gitterwerk in Form von Pfosten oder 
Baumen im Vorder-, Mittel- ader Hinlargrund zu entwickeln, 
das künstlerischen Aufgaben dient . . ." (Abb. 1). Dieses Zi- 
tat von Emil Orlik ist einem Schreiben an Julius Kurth ent- 
nammen, zwei bedeutsame sarnrnler des Ukiya-e. Die 
gradlinige Unterteilung im gitterhaften sinn war in Japan 
durch pfostenartigen Baumwudls ge eben (Abb. 5, B). Die 
vertikal stehenden Bambuswälder o er Zedernhaine mit ih- 
ren kerzengeraden Schäflen und Stämmen vermitteln dem 
Künstler iene Durchsicht, die er auch in seinen künstleri- 
sahen Darstellungen gestaltet. Schon in den sechziger Jah- 
50 
Theodore Duret und der Sammler Cernuschi 
brachten zahlreiche japanische Holzschnitte von 
einer Japanreise mit. Später bot Siegfried Bing 
in Paris Tausende Exemplare zum Kauf an. 
Vincent van Gogh erhielt durch die reiche Aus- 
wahl des Angebotes entscheidende Impulse. Die 
Ausstellung japanischer Holzschnitte in der 
Ecole des Beaux Arts ließ die künstlerische 
Größe aller japanischen Maler von Nishikowa 
Moronobu bis hin zu Hokusai erkennen. Auch 
die Utagawa-Schule trat auf Grund eigenarti- 
ger Farbmodulationen ins Blickfeld. Die Jugend- 
stilmalerei bis hin zum Frühexpressionismus er- 
hielt aus diesen Bereichen starke Impulse. 
lll. Die Gliederung der Ostasienabteilung in der 
Ausstellung „Weltkulturen und moderne Kunst" 
nach motivischen Sektionen, wie z. B. „Der 
Kimono als modisches Requisit" u. a., oder nach 
Themen, wie z. B. „Die Brücke", „Felsen im 
Meer" oder aber „Wellensysteme", der japa- 
nischen Kunst führten zum Verständnis gewisser 
Lebensformen Ostasiens. Die Aufteilung in Ge- 
biete der künstlerischen Mittel gab eine Einsicht 
in das Kunstwollen der Schöpfer: Diagonal- 
prinzip, Vergitterung, Bewegungsaktionen der 
Gestalt, komplizierte Formate zur Steigerung 
durchdachter Kompositionen, gezielt ange- 
wendete Massierungssysteme, Flächenstrukturen 
im Bild oder kalligraphische Kleinstrukturen als 
Chiffrierung von Objekten, die abkürzenden 
Tuschabbrevationen bis hin zur kalligraphischen 
Übung, aber auch inhaltlich - symbolistische 
Methoden wurden vorgeführt und haben den 
tieferen Sinn und vor allen Dingen Absicht und 
Ziel der schöpferischen Gruppe oder des einzel- 
nen vorgestellt. Die japanischen Vielfarbenholz- 
schnitte - Ukiyo-e - lenken nicht nur den Blick auf 
Themen der nahen Umwelt, wie das Theater und 
die Sage, sondern die fließende, bewegte Welt 
im Nah- und Fernblick ist Aufgabe und Ziel. 
Die Kompositionen der japanischen Farbenholz- 
schnitte vermitteln den europäischen Malern in 
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neue 
Raumflächenbezüge. 
Bildparalleler Aufbau und tiefenräumliche Illu- 
sion werden zur Synthese geführt. Pfeilförmige 
Sicht im Sinne eines einzigen Tiefenzuges oder 
gestaffelte Sichtabläufe führen zu dynamischen 
Naturraumsuggestionen. Starke Niedersicht ver- 
mittelt Raumferne und Tiefenflucht. Die Bildraum- 
grenze wird aufgelöst, neue Blickwinkel entste- 
hen und prägen die europäische Naturraum- 
Wiedergabe. 
lV. Die Unterteilung nach diesen thematischen 
und künstlerischen Merkmalen wurde zum er- 
stenmal in der Ausstellung in München vorge- 
führt und hat reiche Nachfolge gefunden. Der 
Wert der Ausstellung ist gerade in diesem Be- 
reich von Bedeutung, haben doch vor allen 
Dingen die japanischen Forscher und nicht min- 
der auch die französischen Spezialisten auf di 
sem Gebiet die Methode der didaktischen Gli 
derung aufgenommen, um nach diesem Prinzip 
weiterzuarbeiten. Vor allen Dingen ist es Hide- 
michi Tanaka, der in seiner Ulnspiration artisti- 
que de Nympheas de Monet diese didaktische 
 
ren des w. Jahrhunderts wird in Europa dieses „Gitter- 
System" aufgenommen (Abb. a). Riviera verlegt seine 
Baumreihen im sinne von Hokusai in den Fernraum und 
vermittelt diesen so, dae dahinter eine zweite Raumzane zu 
erkennen ist (Abb. 2). Aber audi Carl Thiemarln benutzt die 
bildparallele Schichtung von Baumstämmen, um sie einem 
tarbflädlenhaften System unterzuardnen (Abb. 9). Ein we- 
sentliches Gestaltun selement des frühen w. Jahrhunderts 
- der orthogonale fietsug wird damit durch bildparallele 
Reihungen des Baumwuchsas hervorgerufen (Abb. 4). Über 
die Öffnung hinaus sieht der Betrachter an den Baum- 
stämmen vorbei in einen gestuften Fernraum, entweder 
wird dieser durch farbperspektivische Gliederungen weiter- 
geführt oder aber durdl verzahnt: Flächenformen oder 
durch Verkleinerungen der Objekte JAbb. 6). Wichtig bleibt 
für den Europäer, daß er durch ie Begegnung mit der 
ostasiatischen Malerei viele Möglichkeiten der Raumauftei- 
lung über die zentrale Perspektive hinaus erfährt und sie 
auch schöpferisch anzuwenden weiß. Das Gitterwerk erhält 
Unterteilung benützt und in den Themer 
gen Felsen im Meer, Strukturen-Vergitte 
Brücken-Motive und angeschnittene Obj 
Werke Monets nachvollzieht. Damit err 
jene Übersichtlichkeit, die auf Grund dr 
zeugenden Beispiele das Konzept be 
Tanaka hat unter denselben Aspekten ü 
Einwirkung Japans auf Vincent van 
gearbeitet (Bulletin Annuel du Musee h 
d'art occidental). Auch Chisaburgh F. ' 
veröffentlichte in einem Sonderheft des N 
für westliche Kunst, Tokyo, im Herbst 19 
Studie zum Einfluß des japanischen Holzs 
auf die europäische Malerei des 19. .l 
derts. Deutlich ist auch in diesem Auf 
spüren, daß Yamada die Ansätze und 
rung der Ausstellung Weltkulturen he 
um damit das Thema wissenschaftlich z 
gen. Eine breite Forschung hat in Japal 
begonnen unter der Anleitung von Juzo 
hier wird Detailbereichen große Aufmerk 
gewidmet. Die Arbeiten von Yoko Mc 
gleichen Thema, die an einer quellenkur 
Vergleichsstudie arbeitet, ist ebenfalls na 
System der thematischen Unterteilung 
baut. Aber auch in Frankreich arbeite 
Berger an seiner Japonismus-Publikatic 
Kontakt zu seiner genetischen Arbeit w 
allen Dingen durch die Daten des JOPI 
neu belegt; auf Grund der Ausstellung 
zu einer freundschaftlichen Zusammenarb 
ben diesen Gesamtübersichten sind zal 
Einzelforscher damit beschäftigt, Künstl 
Literaten, die dem Japonismus verpflich 
ren, zu untersuchen und der Forschung z 
lich zu machen. Auch hier sind japanisc 
italienische Forscher maßgeblich beteiligt. 
Durch die Ausstellung „Weltkulturen ul 
derne Kunst" ergaben sich vor allern er 
ziehungen zu den Hokusai-Forschern 
Eine Zusammenarbeit mit Munesige N- 
und Yurio Shinoda war bisher äußerst fr 
und führte zu Kontakten mit zahlreiche 
zialbearbeitern. Ergebnis ist die gerne 
Edition des fünfzehnbändigen Werkes „ß 
von Hokusai im Verlag „Jitsugyo no Nil 
TokyoDie Parallelenzureuropäischen Beg 
mit dem großen japanischen Maler wurc 
bei erneut vorgestellt. 
Auch die von R. A. Crighten erarbeitete t 
lung „The Floating World" in London im 
1973 zeigt deutlich, wie direkt das Ther 
den Besuchern aufgegriffen wird, wenn si 
zeugende Gliederung nach Sektionen nai 
Die hier gegebene Zusammenfassung ist 
lich ein Hinweis oder Zwischenbericht zu 
ßen Thema, das in den kommenden M 
mit einer umfassenden wissenschaftlichen 
mentation vorgelegt wird. 
C1 Unser Autor: 
Prof. Dr. Siegfried Widlmann 
Lehrkanzel für Kunstgeschichte 
Staatl. Akademie der bildenden Künste 
Karlsruhe 1 
Reinhold-Frank-Straße B1 
attrnals einen Eigenwert, der bestimmend die Betr 
des Vordergrundes oder aber des Mittelgrundes 
(Abb. 7). Aber gerade diese Auffassung betont das 
das in der Farbhelle der impressionistisdlen Malers 
sam aufgesogen wurde. Durch die Gegenwärtigkeit 
eine neue Absprungssiahl, die fensterartig oder g 
gelenkt wird. 
Die Brücke als Bildthema in der ostasiatischer 
europäischen Malerei des 19.Johrhunderts 
(Abb. 10-22) - (S. 52, 53) 
Die Darstellung der Brücke war schon immer für d 
und Graphiker in Europa ein zentrales Thema. c 
spiele sind von Hubert Robert übermittelt. Aber I 
englischen Maler um Girlin, Canstable und Turne 
sich die Brüdne wiederholt als Thema gewählt. Ur 
Einfluß ja anischer und dninesisdler Malerei, vc 
aber in dier Begegnung mit dem japanischen r 
schnitt, erhdlt die Brückendarstellung in Europa g.
	        
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