uieter ächrage
Gibt es artifizielle
Kreativität? -
Uber die Möglichkeit der
Nachbildung kreativer
Prozesse durch Automaten
Paris 7959: Eine Maschine malt Bilder
Eine Malmaschine, die auf einer Papierralle
automatisch und schier endlos Bilder produ-
zierte, wurde anlößlich der Pariser Biennale 1959
einem staunenden Publikum vorgeführt. Erfin-
der dieser Malmaschine mit dem Namen „Meta-
matic" (Abb. 1) war der in der Schweiz geborene
und seit 1952 in Paris lebende Plastiker Jean
Tinguely, der in den folgenden Jahren dann
noch wiederholt mit „metamechanischen", teil-
weise ironisch-absurden „Maschinen" hervortrat.
Nach seiner Bilder produzierenden „Metamatic"
auf der Pariser Biennale schrieben manche Kri-
tiker - es war damals die Zeit der Dominanz
der abstrakten, meist tachistischen Malerei -
zwar nicht vom Ende der Kunst, doch aber vom
anbrechenden Ende der Bilderproduktion durch
den Künstler. Die Kunst aus der Maschine wurde
beschworen. Das Ende der Bilder malenden
Künstler kam bisher nicht. Tinguelys Sensations-
maschine wurde bald wieder vergessen. Und
Tinguely selbst baute eine neue, vielleicht pro-
phetische „Maschine": eine sich selbst zerstö-
rende Maschine mit dem Titel „Huldigung an
New York". Allein die ldee der Kunst aus der
Maschine blieb weiterhin wach. Und es ist eine
ldee, die es schon seit Jahrhunderten gegeben
hat: bereits um 1660 hatte Kirchner eine Kom-
poniermaschine beschrieben. (Siehe hierzu auch
„Kunstfertige Automaten als Traum und als Wirk-
lichkeit" von Goldscheider-Zemanekl.) In Tin-
guelys Malmaschine hatte diese ldee wieder
einmal eine aktuelle Ausprägung erfahren, und
in den Jahren nach 1960 wurde sie dann be-
sonders in der Computerkunst betont. Beson-
ders in den USA und in Deutschland tauchten
nach 1960 im Bereich der Musik, der Grafik und
dann auch der Literatur die ersten Kunstpro-
dukte auf, die als Computerkunst, als in einem
Computer produzierte Kunstwerke, bezeichnet
wurden. H. W. Franke hat in seinem 1971 er-
schienenen Buch „Computergraphik - Compu-
terkunst", das einen guten Überblick über die
bisherige Entwicklung gibt, die Computerkunst
wie folgt definiert: „Als Computerkunst soll ie-
des ästhetische Gebilde verstanden werden, das
auf Grund von logischen oder numerischen Um-
setzungen gegebener Daten mit Hilfe elektro-
nischer Automaten entstand." Entscheidend bei
der Kunst aus dem Computer ist, daß die künst-
lerische ldee, die kreative Phase in ein Pro-
gramm - zunächst in ein „künstlerisches Pro-
gramm", dann in ein mit Rechenschritten faß-
bares „mathematisches Programm" und schließ-
lich in ein in eine EDV-Anlage eingebbares
„Maschinenprogramm" - gefaßt werden kann
und daß der Schaffensvorgang des Kunstwer-
kes sowohl in seinem mechanistischen Teil als
auch in seiner komplexen Strukturverknüpfung
durch die spezifischen Möglichkeiten des Com-
puters simuliert wird.
Was ist Kreativität?
Die Computersimulation von Kunstprozessen, al-
so das modellhatte Nachbilden von kreativen
Vorgängen mit Hilfe von elektronischen Daten-
verarbeitungsanlagen, hat natürlich von Beginn
an zahlreiche Fragen nach dem Wesen der
Kunst hervorgerufen. Von einem reflektionsfeind-
60
ucnen, überkommenen Standpunkt aus wurde
von vornherein iede Möglichkeit, mit oder im
Computer Kunstprodukte herzustellen, geleugnet.
Urteile dieser Art berufen sich meist auf die
Unnachbildbarkeit schöpferischer Vorgänge und
betonen die eigentliche Unfaßbarkeit der nur
dem menschlichen Wesen eigenen und letztlich
nicht bestimmbaren Kreativität. Ungeachtet die-
ser Standpunkte entwickelten aber kunstambi-
tionierte Computeringenieure und Wissenschaft-
ler und zu technologischen (elektronischen) Ex-
perimenten fähige Künstler (bzw. aus Ingenieu-
ren, Wissenschaftlern und Künstlern bestehende
Arbeitsgruppen, wie z. B. die Wiener Computer-
kunstgruppe „ars intermedia") das, was in dem
vielschichtigen Spektrum der Kunst unserer Zeit
als Computerkunst Bedeutung und Beachtung
1 Jean Tinguely,_Molrrt_aschine „Metamatic", an-
läßlich der Pariser Biennale 1959 vom Erfinder
vorgeführt _
4 „Ars lntegrmedia" - imaginäre Architektur,
Turmkomblnat Neu-Babylon, Computerpro-
gramm 8t T, R, P, x, 5x, korr.; H 1971