tig. Nach H. Poincare werden bei dem kreativen
Prozeß vier Phasen unterschieden:
1. die Präparationsphase, 2. die Inkubations-
phase, 3. die llluminotionsphase und 4. die Veri-
fikationsphase. Will man einen kreativen Prozeß
außerhalb des Zentralnervensystems des Men-
schen vollziehen und dafür die Möglichkeit der
Speicher- und Verknüpfungskapazität einer EDV-
Anlage benützen, so stellt sich grundlegend die
Frage: Kann man aus dem Computer noch Voll-
zug seines Arbeitsprozesses mehr (d. h. etwas
qualitativ Neues) herausbekommen, als man
durch das Programm vorher eingegeben hat?
Vordergründig gilt sicher: ein Computer kann
verarbeitet nur das ausgeben, was durch das
Programm (durch den programmierenden Men-
schen) eingegeben worden ist. Doch kann der
Computerprozeß die Kombination und Korre-
lation der eingegebenen Daten vornehmen und
vielleicht Neues, Originäres schaffen? Auf brei-
ter Basis diskutiert, in den Ansätzen praktisch
und in der Theorie weitgehend gelöst (siehe hier-
zu „Automat und Mensch" von Karl Steinbuch)
ist das Problem der „maschinellen Intelligenz",
der „lernenden Automaten". „Der Versuch, die
oben aufgeführten Merkmale" zur Rechtferti-
gung eines prinzipiellen Unterschieds zwischen
dem intelligenten Verhalten des Menschen und
den höchsten Formen der Leistungen elektroni-
scher Rechenmaschinen zu benutzen, hält vor
der Kritik der modernen Kybernetik und Infor-
mationstheorie nicht stand. Dies gelingt besten-
falls im Hinblick auf die große Masse der heute
eingesetzten Rechenautomaten und Datenverar-
beitungsanlagen; es Iäßt sich aber zeigen, daß
sich alle oben aufgeführten Komponenten der
Intelligenz maschinell imitieren lassen. Daher ist
es im Sinne der kybernetischen Abstraktion zu-
lässig, von ,maschineIIer lntelligenz' bzw. ,künst-
licher lntelligenz' zu sprechen." (Aus dem „Wör-
terbuch der Kybernetik 1" von Georg Klaus,
Frankfurt 1969.) Sicher ist ein allzu großer Opti-
mismus für die Entwicklung lernfähiger und pro-
blemlösender Automaten (z. B. als perfekter
Sprachübersetzer) entsprechend dem derzeitigen
und absehbaren Stand der Elektronik nicht an-
gebracht: sowohl von der Anzahl der Schalt-
elemente (beim Computer Transistoren, beim
Menschen Neuronen) als auch von der Größe
und Qualität ist das Zentralnervensystem des
Menschen dem programmgesteuerten Digital-
rechner weit überlegen, allein in der Schnellig-
keit und auch in der Präzision der Operationen
leistet der Computer mehr als der Mensch.
(Siehe hierzu Abb. 2.) Vor allen Dingen ist es
ein Vorteil des menschlichen Gehirns gegenüber
dem Automaten, mit Ungenauigkeiten, mit nur
vage bestimmten Größen operieren zu können.
Dies ist ein Vorteil, der besonders für kreative
Prozesse bedeutend ist. Doch trotz alI dieser
Einschränkungen gibt es schon Beispiele für lern-
fähige Automatensysteme. In seinem Buch „Gott
8. Golem inc." berichtet Norbert Wiener, der
Schöpfer der Kybernetik, von einem Damespiel-
automoten, der in diesem Spiel seinen Kon-
strukteurprogrammierer A. L. Samuel über lange
Zeit regelmäßig besiegt und so einen Beweis
für seine Lernfähigkeit und Intelligenz gegeben
hat. Zu betonen ist hier aber, doß dieser Spiel-
automat (und auch kommende Schachspielauto-
maten mit Meisterstärke) wohl als Beweis für
eine „maschinelle lnteIligenz", kaum aber für
eine „maschinelle Kreativität" angesehen werden
können, denn ihre Leistung vollzieht sich inner-
halb eines eindeutig determinierten Systems mit
dem Ziel des Spielgewinnens nach eindeutigen
Spielregeln. Erstaunlich sind die Komplexität,
die Präzision und die Durchführungsgeschwin-
62
digkeit der maschinellen Kombinationen; Ori-
ginalität, Schaffung von Neuem ist hier zunächst
nicht gegeben.
Die Ersetzung der Intuition
durch den „Zufal "
Kreativität unterscheidet sich von Intelligenz da-
durch, daß bei der Intelligenz das Niveau des
Vorhabens, der formale Aspekt besonders be-
achtet wird, während bei der Kreativität die
Originalität und Aktivität im Vordergrund ste-
hen. Und eines der großen Probleme der „arti-
fiziellen Kreativität" ist es, daß in den ersten
Phasen des kreativen Prozesses (vor allem in der
Inkubotionsphase) mit vagen Werten und Grö-
ßen operiert wird. In einer Differenzierung zwi-
schen der Qualität des menschlichen Gehirns
und eines Computers hat Norbert Wiener be-
tont: „Wenn sich mechanische Komputer oder
wenigstens die uns heute zur Verfügung ste-
henden Komputer mit diesen unbestimmten Ideen
beschäftigen müssen, so sind sie kaum imstande,
sich selbst zu programmieren. Doch scheint das
Gehirn in Gedichten, Romanen und Gemälden
sehr gut mit Material arbeiten zu können, das
jeder Komputer als formlos abweisen müßte."
Es gibt aber schon heute eine Möglichkeit, daß
der Computer mit nicht bestimmten Größen ar-
beitet und so „kreative Prozesse" simuliert, näm-
lich im Bereich der künstlerischen Produktion.
Oskar Beckmann hat die Simulation solch eines
Prozesses in seinem Aufsatz „Der Kunstcompu-
ter a. U70 - ein Schaffensmodell" (Katalog der
Ausstellung „ars intermedia - Werkbeiträge zur
Computerkunst", Zentralsporkasse, Wien 1971)
beschrieben: „Für die Erstellung des Konzepts
für den Kunstcomputer a. i.l70 wurde als Ar-
beitshypothese die Modellvorstellung der mehr-
schichtigen Struktur des Schaffensprozesses ange-
nommen, die, angefangen von den Wurzeln in
der übergeordneten ldeenwelt und im Unterbe-
wußtsein des Künstlers, über die bereits besser
durchschaubare Kompasitionsebene und Schaf-
fenstechnik zur manuellen Ausführung des Kunst-
werkes führt (Abb. 3). Wichtiger Bestandteil die-
ser Arbeitshypothese sind dabei die Modellvor-
stellung der Rückkopplung, die während des
Schaffensprozesses eine Kontrolle, Auslese und
neue Impulse schafft, und die Modellvorstel-
Iung der ,intuitiven lmpulse', die direkt in den
Schaffensprozeß eingreifen." Es ist auch - sozu-
sagen als knapper Hinweis auf einen zentralen
Bereich - zu betonen, daß entscheidende Aspekte
in der kommenden Entwicklung einer „artifizieI-
len Kreativität" in der kommenden Entwicklung
neuer (nicht-logischer) Schaltungen innerhalb der
Rechner liegen.
Die Einsicht in die Möglichkeiten der Computer-
kunst bedeutet letztlich die Einsicht in die Er-
setzbarkeit der Intuition. In dem künstlerischen
Schaffen des Menschen wird dem Phänomen ln-
tuition, der unmittelbaren gefühlsmäßigen Ein-
gebung bzw. geistigen Anschauung, eine zen-
trale Bedeutung zuerkannt. In der Computer-
kunst wird dieses überkommene und eigentlich
nicht foßbare Phänomen ersetzt. „Es ist bemer-
kenswert, daß kybernetische Modelle, die krea-
tive Prozesse simulieren sollen, eine Art nicht-
klassischer Maschine, einen ,ZufaIIsgenerator' be-
nötigen. Zufallsprozesse scheinen die kyberne-
tische Entsprechung ,schöpferischer' Vorgänge zu
sein '." Der Computer verwirklicht bei dem Kunst-
prozeß nicht starr und unvariabel ein fixiertes
Programm, sondern er spielt in einem gewissen
Sinn mit. Dies geschieht mittels der „Zufallsgene-
ratoren". Das sind mathematische Verfahren, die
Zufallszahlen erzeugen. Die ästhetischen Pro-
gramme sind so geschaffen, daß sich bestimmte
„Entscheidungen" im Rahmen des Programmab-
Iaufes nicht von vornherein determinier
ziehen. Möglichen Zahlenwerten - wobei
Zahlenwerte durch den „Zufall" bestimm
den - sind mögliche Entscheidungen inn
der Kunstproduktion zugeordnet.
Die Chance einer „artifiziellen Kreatii
Zusammenfassend kann gesagt werden, dc
„artifizielle Kreativität", d. h. ein in einem
maten nachbildbarer kreativer Prozeß, unt
genden Aspekten möglich ist:
1. Der Schaffensprozeß muß programn
sein und sich in kleinste quantifizierbare S
auflösen lassen. Die kreative Dimensior
hierbei durch den vom „ZufaII" bestimmte
von Wahrscheinlichkeitsverteilungen geste
Ablauf erreicht.
2. Der programmierte und quantifizierte
fensprozeß erfährt durch die vom Cot
mögliche Kombination und Korrelation ein
originäre Dimension. D. h. quantitative
derungen schlagen in eine neue Qualiti
In diesem Sinne können z. B. auch bes
Schachspielzüge eines Automaten kreativ
Diese Ausführungen machen deutlich, da
„artifizielle Kreativität" zunächst an den
schen und an das vom Menschen gesch
Programm gebunden ist. In diesem Sinni
es richtig sein, bei der „artifiziellen Krea
- ähnlich wie bei der Intelligenz vorn
ligenzverstärker" - von einer „Kreativit
längerung" zu sprechen. Der Computer kt
gestalterischen Bereich als ein „kreatives
zeug" (Oskar Beckmann) zu einer Verläng
und einer konsequenten Durchführung
menschlichen Kreativität beitragen. Ein
ger gesellschaftlicher Aspekt dieser Mögl
wäre vor allen Dingen auch eine „Kreat
Verbreitung", d. h. es sollten maschinell
nisierte Strukturen entwickelt werden, di
allgemeine Partizipation an kreativen Pro
ermöglichen (z. B. durch Computerkunstz
mit Eingriffs- und Rückkoppelungssystem
das teilnehmende Publikum). In diesem Sii
es wesentlich, was Jürgen Claus in seinen
„Expansion der Kunst" (Reinbek 1970) ge
ben hat: „Aus einer Entwicklung, die schl
dazu führt, daß die Maschine ,Kunst proc
(worauf es nicht ankommt, wir haben
Mangel an Produkten, vielmehr einen h
an kreativer Erfahrung, und diese nicht fi
Handvoll Spezialisten, es geht darum, kt
Erfahrung allgemein zu machen), gelangi
heraus, wenn wir die Kategorien der Teilr
der Beeinflussung verstärken. An die Stel
computergenerierten Kunst muß das ötfe
Kommunikationssystem treten, in das Coi
einbezogen werden können. Hier ist der
puter am Platz. Vergleichen wir hierzu
Verwendung für komplexe Gesellschaftssys
In einer Gesellschaft, in der die Verflc
der menschlichen Kreativität ein besonderi
blem ist, ist die Frage nach dem Sinn ,
zieller Kreativität" klarzustellen.
Anmerkungen 3, 4 _ _
'1 Komponenten der Intelligenz Slttd: l. Konstruktrc
Abbildes der Außenwelt, 2. Fähigkeiten der speii
der zweckmäßigen Auswahl und Verknüpfung
formationen, 3. Konstruktion von Algorithmen i
Überprüfung dieser am internen Modell, 4. F
zur Anpassung dieser Algorithmen a_n eine ve
Umwelt, s. Vorwegnahme künftiger Situationen
ßenwelt durch deren Simulation am internen Mode
' H. W. Franke, „Phänomen kunst", München 1967.
II Unser Autor:
Dr. Dieter Schrage
Lindengasse 61119
A-Wien 1070