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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVIII (1973 / Heft 130 und 131)

tig. Nach H. Poincare werden bei dem kreativen 
Prozeß vier Phasen unterschieden: 
1. die Präparationsphase, 2. die Inkubations- 
phase, 3. die llluminotionsphase und 4. die Veri- 
fikationsphase. Will man einen kreativen Prozeß 
außerhalb des Zentralnervensystems des Men- 
schen vollziehen und dafür die Möglichkeit der 
Speicher- und Verknüpfungskapazität einer EDV- 
Anlage benützen, so stellt sich grundlegend die 
Frage: Kann man aus dem Computer noch Voll- 
zug seines Arbeitsprozesses mehr (d. h. etwas 
qualitativ Neues) herausbekommen, als man 
durch das Programm vorher eingegeben hat? 
Vordergründig gilt sicher: ein Computer kann 
verarbeitet nur das ausgeben, was durch das 
Programm (durch den programmierenden Men- 
schen) eingegeben worden ist. Doch kann der 
Computerprozeß die Kombination und Korre- 
lation der eingegebenen Daten vornehmen und 
vielleicht Neues, Originäres schaffen? Auf brei- 
ter Basis diskutiert, in den Ansätzen praktisch 
und in der Theorie weitgehend gelöst (siehe hier- 
zu „Automat und Mensch" von Karl Steinbuch) 
ist das Problem der „maschinellen Intelligenz", 
der „lernenden Automaten". „Der Versuch, die 
oben aufgeführten Merkmale" zur Rechtferti- 
gung eines prinzipiellen Unterschieds zwischen 
dem intelligenten Verhalten des Menschen und 
den höchsten Formen der Leistungen elektroni- 
scher Rechenmaschinen zu benutzen, hält vor 
der Kritik der modernen Kybernetik und Infor- 
mationstheorie nicht stand. Dies gelingt besten- 
falls im Hinblick auf die große Masse der heute 
eingesetzten Rechenautomaten und Datenverar- 
beitungsanlagen; es Iäßt sich aber zeigen, daß 
sich alle oben aufgeführten Komponenten der 
Intelligenz maschinell imitieren lassen. Daher ist 
es im Sinne der kybernetischen Abstraktion zu- 
lässig, von ,maschineIIer lntelligenz' bzw. ,künst- 
licher lntelligenz' zu sprechen." (Aus dem „Wör- 
terbuch der Kybernetik 1" von Georg Klaus, 
Frankfurt 1969.) Sicher ist ein allzu großer Opti- 
mismus für die Entwicklung lernfähiger und pro- 
blemlösender Automaten (z. B. als perfekter 
Sprachübersetzer) entsprechend dem derzeitigen 
und absehbaren Stand der Elektronik nicht an- 
gebracht: sowohl von der Anzahl der Schalt- 
elemente (beim Computer Transistoren, beim 
Menschen Neuronen) als auch von der Größe 
und Qualität ist das Zentralnervensystem des 
Menschen dem programmgesteuerten Digital- 
rechner weit überlegen, allein in der Schnellig- 
keit und auch in der Präzision der Operationen 
leistet der Computer mehr als der Mensch. 
(Siehe hierzu Abb. 2.) Vor allen Dingen ist es 
ein Vorteil des menschlichen Gehirns gegenüber 
dem Automaten, mit Ungenauigkeiten, mit nur 
vage bestimmten Größen operieren zu können. 
Dies ist ein Vorteil, der besonders für kreative 
Prozesse bedeutend ist. Doch trotz alI dieser 
Einschränkungen gibt es schon Beispiele für lern- 
fähige Automatensysteme. In seinem Buch „Gott 
8. Golem inc." berichtet Norbert Wiener, der 
Schöpfer der Kybernetik, von einem Damespiel- 
automoten, der in diesem Spiel seinen Kon- 
strukteurprogrammierer A. L. Samuel über lange 
Zeit regelmäßig besiegt und so einen Beweis 
für seine Lernfähigkeit und Intelligenz gegeben 
hat. Zu betonen ist hier aber, doß dieser Spiel- 
automat (und auch kommende Schachspielauto- 
maten mit Meisterstärke) wohl als Beweis für 
eine „maschinelle lnteIligenz", kaum aber für 
eine „maschinelle Kreativität" angesehen werden 
können, denn ihre Leistung vollzieht sich inner- 
halb eines eindeutig determinierten Systems mit 
dem Ziel des Spielgewinnens nach eindeutigen 
Spielregeln. Erstaunlich sind die Komplexität, 
die Präzision und die Durchführungsgeschwin- 
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digkeit der maschinellen Kombinationen; Ori- 
ginalität, Schaffung von Neuem ist hier zunächst 
nicht gegeben. 
Die Ersetzung der Intuition 
durch den „Zufal " 
Kreativität unterscheidet sich von Intelligenz da- 
durch, daß bei der Intelligenz das Niveau des 
Vorhabens, der formale Aspekt besonders be- 
achtet wird, während bei der Kreativität die 
Originalität und Aktivität im Vordergrund ste- 
hen. Und eines der großen Probleme der „arti- 
fiziellen Kreativität" ist es, daß in den ersten 
Phasen des kreativen Prozesses (vor allem in der 
Inkubotionsphase) mit vagen Werten und Grö- 
ßen operiert wird. In einer Differenzierung zwi- 
schen der Qualität des menschlichen Gehirns 
und eines Computers hat Norbert Wiener be- 
tont: „Wenn sich mechanische Komputer oder 
wenigstens die uns heute zur Verfügung ste- 
henden Komputer mit diesen unbestimmten Ideen 
beschäftigen müssen, so sind sie kaum imstande, 
sich selbst zu programmieren. Doch scheint das 
Gehirn in Gedichten, Romanen und Gemälden 
sehr gut mit Material arbeiten zu können, das 
jeder Komputer als formlos abweisen müßte." 
Es gibt aber schon heute eine Möglichkeit, daß 
der Computer mit nicht bestimmten Größen ar- 
beitet und so „kreative Prozesse" simuliert, näm- 
lich im Bereich der künstlerischen Produktion. 
Oskar Beckmann hat die Simulation solch eines 
Prozesses in seinem Aufsatz „Der Kunstcompu- 
ter a. U70 - ein Schaffensmodell" (Katalog der 
Ausstellung „ars intermedia - Werkbeiträge zur 
Computerkunst", Zentralsporkasse, Wien 1971) 
beschrieben: „Für die Erstellung des Konzepts 
für den Kunstcomputer a. i.l70 wurde als Ar- 
beitshypothese die Modellvorstellung der mehr- 
schichtigen Struktur des Schaffensprozesses ange- 
nommen, die, angefangen von den Wurzeln in 
der übergeordneten ldeenwelt und im Unterbe- 
wußtsein des Künstlers, über die bereits besser 
durchschaubare Kompasitionsebene und Schaf- 
fenstechnik zur manuellen Ausführung des Kunst- 
werkes führt (Abb. 3). Wichtiger Bestandteil die- 
ser Arbeitshypothese sind dabei die Modellvor- 
stellung der Rückkopplung, die während des 
Schaffensprozesses eine Kontrolle, Auslese und 
neue Impulse schafft, und die Modellvorstel- 
Iung der ,intuitiven lmpulse', die direkt in den 
Schaffensprozeß eingreifen." Es ist auch - sozu- 
sagen als knapper Hinweis auf einen zentralen 
Bereich - zu betonen, daß entscheidende Aspekte 
in der kommenden Entwicklung einer „artifizieI- 
len Kreativität" in der kommenden Entwicklung 
neuer (nicht-logischer) Schaltungen innerhalb der 
Rechner liegen. 
Die Einsicht in die Möglichkeiten der Computer- 
kunst bedeutet letztlich die Einsicht in die Er- 
setzbarkeit der Intuition. In dem künstlerischen 
Schaffen des Menschen wird dem Phänomen ln- 
tuition, der unmittelbaren gefühlsmäßigen Ein- 
gebung bzw. geistigen Anschauung, eine zen- 
trale Bedeutung zuerkannt. In der Computer- 
kunst wird dieses überkommene und eigentlich 
nicht foßbare Phänomen ersetzt. „Es ist bemer- 
kenswert, daß kybernetische Modelle, die krea- 
tive Prozesse simulieren sollen, eine Art nicht- 
klassischer Maschine, einen ,ZufaIIsgenerator' be- 
nötigen. Zufallsprozesse scheinen die kyberne- 
tische Entsprechung ,schöpferischer' Vorgänge zu 
sein '." Der Computer verwirklicht bei dem Kunst- 
prozeß nicht starr und unvariabel ein fixiertes 
Programm, sondern er spielt in einem gewissen 
Sinn mit. Dies geschieht mittels der „Zufallsgene- 
ratoren". Das sind mathematische Verfahren, die 
Zufallszahlen erzeugen. Die ästhetischen Pro- 
gramme sind so geschaffen, daß sich bestimmte 
„Entscheidungen" im Rahmen des Programmab- 
Iaufes nicht von vornherein determinier 
ziehen. Möglichen Zahlenwerten - wobei 
Zahlenwerte durch den „Zufall" bestimm 
den - sind mögliche Entscheidungen inn 
der Kunstproduktion zugeordnet. 
Die Chance einer „artifiziellen Kreatii 
Zusammenfassend kann gesagt werden, dc 
„artifizielle Kreativität", d. h. ein in einem 
maten nachbildbarer kreativer Prozeß, unt 
genden Aspekten möglich ist: 
1. Der Schaffensprozeß muß programn 
sein und sich in kleinste quantifizierbare S 
auflösen lassen. Die kreative Dimensior 
hierbei durch den vom „ZufaII" bestimmte 
von Wahrscheinlichkeitsverteilungen geste 
Ablauf erreicht. 
2. Der programmierte und quantifizierte 
fensprozeß erfährt durch die vom Cot 
mögliche Kombination und Korrelation ein 
originäre Dimension. D. h. quantitative 
derungen schlagen in eine neue Qualiti 
In diesem Sinne können z. B. auch bes 
Schachspielzüge eines Automaten kreativ 
Diese Ausführungen machen deutlich, da 
„artifizielle Kreativität" zunächst an den 
schen und an das vom Menschen gesch 
Programm gebunden ist. In diesem Sinni 
es richtig sein, bei der „artifiziellen Krea 
- ähnlich wie bei der Intelligenz vorn 
ligenzverstärker" - von einer „Kreativit 
längerung" zu sprechen. Der Computer kt 
gestalterischen Bereich als ein „kreatives 
zeug" (Oskar Beckmann) zu einer Verläng 
und einer konsequenten Durchführung 
menschlichen Kreativität beitragen. Ein 
ger gesellschaftlicher Aspekt dieser Mögl 
wäre vor allen Dingen auch eine „Kreat 
Verbreitung", d. h. es sollten maschinell 
nisierte Strukturen entwickelt werden, di 
allgemeine Partizipation an kreativen Pro 
ermöglichen (z. B. durch Computerkunstz 
mit Eingriffs- und Rückkoppelungssystem 
das teilnehmende Publikum). In diesem Sii 
es wesentlich, was Jürgen Claus in seinen 
„Expansion der Kunst" (Reinbek 1970) ge 
ben hat: „Aus einer Entwicklung, die schl 
dazu führt, daß die Maschine ,Kunst proc 
(worauf es nicht ankommt, wir haben 
Mangel an Produkten, vielmehr einen h 
an kreativer Erfahrung, und diese nicht fi 
Handvoll Spezialisten, es geht darum, kt 
Erfahrung allgemein zu machen), gelangi 
heraus, wenn wir die Kategorien der Teilr 
der Beeinflussung verstärken. An die Stel 
computergenerierten Kunst muß das ötfe 
Kommunikationssystem treten, in das Coi 
einbezogen werden können. Hier ist der 
puter am Platz. Vergleichen wir hierzu 
Verwendung für komplexe Gesellschaftssys 
In einer Gesellschaft, in der die Verflc 
der menschlichen Kreativität ein besonderi 
blem ist, ist die Frage nach dem Sinn , 
zieller Kreativität" klarzustellen. 
Anmerkungen 3, 4 _ _ 
'1 Komponenten der Intelligenz Slttd: l. Konstruktrc 
Abbildes der Außenwelt, 2. Fähigkeiten der speii 
der zweckmäßigen Auswahl und Verknüpfung 
formationen, 3. Konstruktion von Algorithmen i 
Überprüfung dieser am internen Modell, 4. F 
zur Anpassung dieser Algorithmen a_n eine ve 
Umwelt, s. Vorwegnahme künftiger Situationen 
ßenwelt durch deren Simulation am internen Mode 
' H. W. Franke, „Phänomen kunst", München 1967. 
II Unser Autor: 
Dr. Dieter Schrage 
Lindengasse 61119 
A-Wien 1070
	        
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