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mit divergirenden Strahlen inmitten der mit feurigen Fransen gesäumten Wolkenstreifen,
dann sinkt ihre blutrothe Scheibe unter. Das Roth des Himmels verschwindet, an seine
Stelle tritt ein matter gelber Schimmer, der sich allmälig in Blau und Dunkelblau
verwandelt. Bald verglimmt auch der letzte Streifen Abendroth und funkelnde Sterne
steigen nach einander am Himmel empor. Es erhebt sich ein leiser kühler Schauer, der
sich bald zu einem stärkeren kalten Nachtwind steigert. Nun herrscht tiefe Stille, das
Summen der Insekten verstummt, die Dunkelheit nimmt rasch zu, der Schimmer der weißen
Mauerwände der Meierei erlischt, der Brunnenschwengel wird dünner und dünner und
verschwimmt endlich ganz. Der Gesichtskreis engt sich immer mehr zusammen, endlich
fließen Himmel und Erde in einander. Aber schon erfüllt die Luft das Gequake der
Frösche, aus weiter Ferne erschallt das Belfern der Hunde, hier und da schreit ein Vogel
ans, dort wandert eine Kranichschar, hier huschen einzelne Schnepfen dahin, von Zeit
zu Zeit schwirrt eine Fledermaus vorbei oder läßt eine Eule ihren unheimlichen Ruf
ertönen. Unterdessen ziehen Hirten und Herden nach dem Nachtlager, feierlich tönen die
Glocken der Leitochsen, von Zeit zu Zeit erschallt das Rufen oder die Peitsche des Hirten.
Bald flammen an den Nachtlagern rings umher die Feuer auf, von welchen melancholische
Weisen der Volkslieder oder die Töne einer Hirtenflöte oder eines Dudelsacks herüber
klingen, während der Mond sein Silberlicht über die in Schlaf versunkene Ebene ausgießt.
Das schönste Gewand legt das Alföld im Frühling an, wo die Weiden und Felder
grünen, alle Blumen, Sträucher und Bäume blühen und ein balsamischer Hauch die Luft
erfüllt; über den Blumen summen Bienen, schaukeln sich bunte Schmetterlinge, in den
Lüften tanzen Mückenschwärme, jagen zwitschernde Schwalben, singen die Lerchen. Im
L-ommer versengen die heißen Sonnenstrahlen die Triften und Wiesen; auf den Feldern
jedoch wogt noch das goldige Ährenmcer; bald aber kommen die Schnitter, unermüdlich
arbeiten sie Tag und Nacht, in ein paar Wochen beenden sie die Ernte, führen die Garben
ein und bauen auf den Tennen die Fehmen und Tristen auf. Die kleineren Ökonomen
entkörnen: das Getreide noch nach althergebrachter Sitte mit den Hufen der Pferde, auf
den größeren Wirtschaften bedient man sich schon der Dampfdreschmaschinen. Die Stoppel
felder schmückt das weiße Gliedkraut, eine zeitlang treibt man noch die Rinder, Schafe
und Schweine drauf, dann werden sie umgeackert und zur neuen Saat bestellt. Nach
einander werden eingeheimst das Futter, der Tabak, die Melone, der Mais, das Obst,
das Gemüse und die Weintrauben. Dann kommt der Herbst mit seinen Nebeln und Regen
güssen und kalten Winden. Nun ziehen die Herden nach Hause in die Stallungen oder in
die Hürden auf die Meiereien; der Storch und der Reiher wandern in südlichere wärmere
Länder, bald folgen ihnen die Schwalben und andere Vögel. Endlich tritt der Winter
ein, auf der trostlosen kahlen Ebene jagen wilde Sturmwinde einher, Schneegestöber