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einem wesentlichen Ausmaß der Tatsache, daß Namuths 
Photos bei ihrer Veröffentlichung häufig so beschnitten wur 
den, daß Poilock dem Betrachter näher und gleichzeitig tiefer 
in das Gemälde eingetaucht erschien. Durch einen Defekt an 
einer der Kameras wurden einige der Aufnahmen unscharf, 
ein giücklicher Zufail, durch den, wie der Photograph 
schiießlich erkannte, der Eindruck von Bewegung im Biid 
noch verstärkt wurde. 
Dieser »Spezialeffekt des unscharfen Fokus wurde«, wie 
Griselda Pollock und Fred Orton festgestellt haben, »Bestand 
teil der Codes, die Namuths Darstellung von Pollock aus- 
machten«.’'*^ Orton und Pollock erinnern uns daran, daß die 
photographische »Wahrheit« suspekt ist, und daß sie »histo 
rische Wirklichkeit vermittelt«, indem sie Bedeutungen produ 
ziert, die »vom Interesse des Betrachters abhängen«.”^ Das 
unscharfe photographische Bild hinterließ in der Tat den opti 
schen Eindruck von Pollock ;'n seiner Arbeit, ein Eindruck, der 
von Künstlern, die nach einem Weg suchten, um in Pollocks 
Richtung weiterzuarbeiten, intuitiv erfaßt werden konnte, 
während sie gleichzeitig die Möglichkeit hatten, einen Schritt 
weiterzugehen, über die im höchsten Maße individualisierten 
Arbeiten hinaus, die die Signatur des Malers trugen und für 
den Abstrakten Expressionismus charateristisch sind. Diese 
vielfältigen Möglichkeiten treten in dem Sprung, den Kaprows 
Vorstellungskraft vollzog, deutlich zutage; er bezeichnet eine 
Entwicklungslinie, die bis zur kubistischen Collage zurück- 
reioht und sich über das Action painting {und Namuths 
Photographien) bis hin zum Flappening erstreckt, Kaprow 
schreibt hierzu: 
Die Papierfetzen rollten sich von der Leinwand herunter, 
lösten sich von der Oberfläche, um eine eigenständige 
Existenz zu führen, entwickelten sich zu anderen, feste 
ren Materialien, reckten sich weiter in den Raum hinein, 
um ihn schließlich ganz zu füllen. Da gab es plötzlich 
Dschungel, belebte Straßen, mit Abfall übersäte Gassen, 
Sci-Fi-Traumwelten, Räume des Wahnsinns und Seelen 
speicher voller Gerümpel. 
Von dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung in den späten fünf 
ziger Jahren an waren Namuths Photographien Bestandteil 
141 Fred Orton, Griseida Pollock, »Jackson Pollock, Painting, and 
the Myth of Photography«, in: Art History, 6, 1, März 1983, S. 
117. 
142 ibid., S. 118-119. 
des sozialen und kulturellen Kontexte der Diskussionen um 
Pollock. Ferner trugen Namuths Bilder dazu bei, Pollock als 
heroischen Künstler darzustellen, als eine überlebensgroße 
Präsenz, die, wie Amelia Jones bemerkte, mit der Trope der 
Moderne, die Kreativität mit Männlichkeit und Göttlichkeit ver 
bindet, in Einklang steht: 
Der männliche Künstler ist paradigmatisch für das ideolo 
gisch zentrierte Subjekt der Moderne; er handelt als 
Stammvater für spätere Generationen künstlerischer 
Produzenten, als Genie, dessen durch und durch gewollte 
kreative Flandlungen von der Kunstgeschichte mit trans 
zendentaler Bedeutung versehen werden...Der Künstler 
verkörpert...die Konstruktion des männlichen Selbst als 
ein kohärentes Individuum auf Kosten der weiblichen 
Subjektivität, die dadurch nicht mehr zu fassen ist... Man 
könnte [sogar] so weit gehen und sagen, der Künstler tritt 
an die Stelle von Gott.“ 
Insbesondere in ihren Texten über Klein, Morris, Acconci und 
Bürden beobachtet Jones, daß die übertriebene Zurschau 
stellung von Männlichkeit, die die meisten männlichen Per- 
formances kennzeichnet, paradoxerweise kein Zeichen für 
diese Art ererbter patriarchaler Autorität ist, sondern eher die 
konkrete Darstellung einer vermittelten Männlichkeit. Durch 
»die Zurschaustellung und Inszenierung ihrer eigenen 
Körper«, so Jones, »rücken diese »Körperkünstler' unter 
schiedlich stark von jener transzendentalen und aus 
schließlich männlichen Vorstellung von künstlerischer Autori 
tät ab, wie sie in der Moderne verankert ist«.'“^ 
Mag das Geschlecht auch äußerst vieldeutig und vermittelt 
sein, wenn der Körper als Material für Kunst verwendet wird, 
so stellt Mira Schor doch die Behauptung auf, daß die »patri- 
lineare Erbfolge« in der Kunstgeschichte fortbesteht, daß also 
das Erbe noch immer auf männliche Ahnen zurückgeht, 
»selbst wenn Künstlerinnen...involviert sind.«'’’® Diese Be 
hauptung ist sicherlich zutreffend für die Photographie, die 
eine zentrale Rolle in der Entwicklung vom Action painting 
zum Flappening und später zur Body art und Performance 
gespielt hat. Die Namuth-Photographien sind ein typisches 
Beispiel und passen perfekt in die Artikelreihe »Painting a 
143 Allan Kaprow (wie Anm. 16), S. 165. 
144 Amelia Jones, ».Dis/playing the Phallus; Male Artists Perfotm 
Their Masculinities», in: Art History, 17, 4, Dezember 1994, S. 
547. 
145 Ibid. 
146 Mira Schor. »Patrilineage«, in: Art Journal, 50, 2, Sommer 1991, 
S. 58.
	        
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